Weshalb der Justizjournalismus in Helvetien darbt

Embedded Journalists, unerfahrene Gerichtsreporter, Desinteresse der Medien und die Angst der Justizbehörden vor Transparenz sind vier Gründe für das Malaise des Justizjournalismus in der Schweiz. Vier Forderungen, um dies zu ändern.

Der kritische Justizjournalismus darbt in der Schweiz. Das hat mit vier Gründen zu tun: Erstens bauen die Medien die Justizberichterstattung ab. So berichten heute selbst in der NZZ nur drei Personen über Justiz, hingegen fast zwei Dutzend Leute über Parlament und Regierung in Bund und Kanton Zürich. Das Missverhältnis in der Berichterstattung über die drei Gewalten ist bei andern Zeitung kaum anders. Oder kann sich jemand daran erinnern, dass Bundesrichterkandidaten vor den Wahlen ähnlich geröntgt wurden wie Bundesräte und Parlamentarier?

Zweitens sind die regelmässigen Gerichtsberichterstatter, welche die Kompetenz zur Justizkritik haben,  meist embedded journalists, die aus Rücksicht auf das Justiz-Biotop, in dem sie selbst leben, nicht alles schreiben können, was wichtig wäre. Drittens ist die grosse Masse der Gerichtsberichterstatter  unerfahren und vermeldet nur Sensationen, übt hingegen keine fundierte Justizkritik. Dass da die Justizbehörden von Polizei über Staatsanwaltschaften bis zu den Gerichten misstrauisch sind, ist zumindest zum Teil verständlich. Doch dies erklärt die Angst der Justizbehörden vor Transparenz bei weitem nicht, die viertens Justizkritik erschwert.

Schade eigentlich, denn Justizjournalismus tut not in der Schweiz. Er müsste drei Fragen stellen:

1. Liegt ein Justizfehler vor? (Wie zum Beispiel beim Bundesgerichtsentscheid zu Swissmedic)

2. Ist das juristisch korrekte Urteil auch gerecht? (Eine Frage, die sich zum Beispiel beim Fall Wyler/Zopfi stellt)

3. Gibt es Dysfunktionen im Justizsystem? (Wie zum Beispiel im Bezirk March, wo Anwälte und Richter Herrenabende feiern und sich danach wieder vor und hinter den Schranken des Gerichts unbefangen begegnen)

Damit Justizjournalismus und Justizkritik in der Schweiz diesen Fragen wieder fundiert nachgehen können, müssen 4 Forderungen erfüllt werden:

1. Sämtliche Justizbehörden müssen Zugang zu ihren Entscheiden gewährleisten. Kostenlos und schnell.

2. Justizjournalismus ist als spannendes Berufsfeld für Juristen bekannt zu machen.

3. Rechtswissenschaftliche Lehre und Justizjournalisten sollten häufiger zusammenarbeiten, denn beide machen das gleiche – wenn auch in unterschiedlichen Diskursen.

4. Medien sollten der Justizberichterstattung und der Justizkritik mehr Raum geben.

Also Bodenpersonal Justitias rege Dich!

16 Gedanken zu “Weshalb der Justizjournalismus in Helvetien darbt

  1. Zeitungen richten ihr Angebot nach den vermuteten Interessen ihrer Leserschaft aus. In Zukunft wird der Interessierte vermehrt im Internet darüber lesen, wobei die Frage der Bezahlung der Schreibenden dabei ungelöst ist.

  2. Gerichtsreporter ist ein brotloser Job. Du solltest eine Juristenbildung haben. Viel Zeit, Verhandlungen dauern länger als Pressekonferenzen, und bezahlt wirst du – im Verhältnis zum Aufwand – hundsmiserabel.

    • Juristenausbildung ist schon gut. Aber sie ist weder hinreichend noch unerlässlich. Wichtig ist offener Geist, genaues Beobachten und Sensibilität für Gesellschafts- und Machtspiele. Ein hochinteressantes Gebiet. Es gab/gibt grosse Justizkritiker: z.B. Kurt Tucholsky, Karl Krauss, Carl von Ossietzky, Walter Rode, Gerhard Mauz, Gisela Friedrichsen; Walter M. Diggelmann, Margrit Sprecher, (CH). Grosse Strafverteidiger sind immer auch Justizkritiker. Grosse Strafverteidigerin der Schweiz?? Wen interessiert das? Es bräuchte Mutanfälle, auch bei Journalisten. Aber der Herr Präsident und erst beim Bundesgericht..Das sind heilige Kühe!

  3. Der Grund für mangelnde Kritikbereitschaft liegt tiefer: Wir denken zu obrigkeitlich. Der Glaube an die Justiz ist ungebrochen. Politik,Justiz und Strafverfolger machen ihr Geschäft mit der Angst vor Kriminalität. Die Journalisten wollen keinen Ärger, wollen es mit Behörden und Richtern guthaben, wollen Anerkennung. Ich habe mein ganzes Leben Justizkritik betrieben und Bücher publiziert über Justizaffären, Rechtsbrüche und Rechtssprüche (Justiz im Irrtum, Der Richter und das Mädchen, Basel-Pristina, Richter Hartmanns, Fall Plumey?etc etc) Wen hat das interessiert? Wer hat die Bücher besprochen? Wir kämpfen nicht solidarisch gegen das Unrecht. Erst wenn es uns persönlich an den Kragen geht, interessieren uns Verteidigungs- und Menschenrechte. Sonst halten wir eslieber mit der Justiz, fordern trügerische Sicherheit und untergraben unsere Freiheit. Schade! That’s the way ist is. Wir haben die XJustiz, die wir uns durch Schweigen redlich verdient haben. Peter Zihlmann, Schweiz

  4. Justizkritik ?
    Hat dann die Presse Angst ? Habe mit Herrn Meier vom Beobachter über den Fall Michael Bonderer gesprochen , hat auch der Beobachter kein Intresse an einem schwer kranken Häftling der in div. Heime gesteckt wurde (am Schluss noch di Gallo Wald bis er schwere epileptische Anfälle bekam und jetzt im Kantonsspital SG liegt und er vor dem Tod gerettet wurde. Solch ein Mensch ist nicht mehr Adressat des Staates. Nach meiner Meinung muss solch ein Fall an die Öffentlichkeit .Herr Zihlmann weiss Bescheid und war dabei beim Film auf Time to do .

  5. Es ist wahr, dass „der Schweizer“ nicht pauschal gegen das Unrecht in diesem Land kämpft. Ich gehörte vor unserer Geschichte (http://www.infosperber.ch/Artikel/FreiheitRecht/Auch-in-der-Schweiz-gibt-es-Folterkammern) ebenfalls zu jenen, die sich kaum für solches interessierten. Das Desinteresse kam -bei mir und wie ich in meinem Umfeld sehe bei etlichen anderen ebenso- nicht von der Ignoranz, sondern eher durch die Tatsache, dass alles immer als „Einzelfall“ behandelt wird. Es wimmelt nur so von diesen „Einzelfällen“ der Justizwillkür in diesem Land. Dazu kommt, dass die Schweizer Mentalität keine aufmüpfige ist; solange die Rübchen im eigenen Gärtchen noch wachsen, was kümmert uns da, wenn andere nichts mehr zu essen haben? Sie werden schon ihre eigene Schuld an ihrer Misere haben – die Justiz handelt gerecht und unsere Gesetze sind nicht anzuzweifeln, so denken immernoch erschreckend viele. Ich sehe es immer wieder in meinem Umfeld in Gesprächen. Würden öfter solche Artikel wie der oben genannte über den Justizwahnsinn in diesem Land publiziert werden (DÜRFEN), so hätte das Volk mehr Möglichkeit, die Wahrheit zu erfahren, was da wirklich geschieht in unserem ach so humanen Land!

  6. Sie schwelgen in romantischen Vorstellungen von Justizkritik. Das wäre aber nur ein kleiner Teil der Berichterstattung und der Alltag wäre weit trivialer. So oder so würde es immer um Verurteilte, Beschuldigte, Rechtsmittelverfahren etc. gehen. Unser Persönlichkeitsrecht („bei allen Beteiligten gilt natürlich die Unschuldsvermutung“) verunmöglicht da aber jede vernünftige Berichterstattung bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, und bis dann interessiert es keinen mehr, bzw. das Prozessthema ist so in sich zusammengesackt, das kaum noch eine ‚Story‘ zu erkennen ist.

    Sodann halten die Behörden sich vor allem darum bedeckt, weil jede noch so triviale Äusserung gleich durch alle Instanzen als Befangenheit angekreidet wird.

    Man schaue sich mal das Blocher-Verfahren an: Die eine Seite hat eine eigene Fersehsendung und kann frei von der Leber poltern, die andere muss sich für die Formulierung „potenziell beweisrelevant“ wegen angeblicher Befangenheit oder Amtsgeheimnisverletztung rechtfertigen. Das Missverhältnis ist schlicht absurd, da wird man es sich wohl lange überlegen, bevor man sich wieder zu etwas äussert, und auch wenn das nicht allen in den Kram passt: Berichterstattung, bei welcher die Justizperspektive nicht zu Wort kommt, ist so wenig wert wie jede andere einseitige Berichterstattung.

    • Ja, die Justizbehörden sollten sich mehr äussern. Das gilt aber vor allem für die Gerichte. Strafbehörden sind hingegen immer Partei und somit befangen. Ich bin aber ebenfalls dafür, dass sich Strafbehörden bei wichtigen Verfahren mehr äussern – dann aber sollte die Gegenseite, die beschuldigte Person Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Solche Berichterstattung bei laufendem Verfahren muss aufpassen, nicht zum medial vorweggenommenen Gerichtsverfahren zu werden. Deshalb sollte man trotzdem vorsichtig informieren (Die Oberstaatsanwaltschaft Zürich hat dazu übrigens in den Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft zum Vorverfahren WOSTA detaillierte Regelungen getroffen).
      Justizkritik, die ich vermisse, ist Kritik an schleppenden Verfahren, einseitigen Verfahren, unter Ausdehnung von Straftatbeständen (wie zum Beispiel beim Landfriedensbruch), mit befangenen Akteuren etc. – oder dann verständlich formulierte Urteilskritik.

      • Die privaten Parteien können sich doch immer äussern, auch jetzt schon, und völlig gefahrlos. Die jüngere Geschichte zeigt, dass manch eine ‚hochbrisante Recherche‘ einfach aus aufbereiteten Verteidiger- oder Geschädigtenvertreter-Infos bestand. Man kann sich als Verteidiger sogar selber einen Strafmilderungsgrund liefern, indem man die Medien diskret etwas anstachelt und dann vor Gericht über die Hetze lamentiert (und sagen Sie nicht, Sie wüssten nicht, dass das vorkommt). Und wie schon gesagt, bis zur Rechtskraft dürfen auch die sich wegen allfälliger Befangenheit nicht äussern, und wenn dann drei Jahre später das Bundesgericht die Rechtskraft eintreten lässt, ist die Sache längst gegessen.

        Im Übrigen: Strafbehörden sind tatsächlich Partei und genau darum hätten sie zu Wort zu kommen, wie die anderen Parteien auch. Natürlich sind sie alle befangen, aber eine seriöse Berichterstattung weiss hoffentlich damit umzugehen. Auch das Gericht ist Partei im Court of Public Opinion.

        Sie wollen Kritik an schleppenden Verfahren, an einseitigen Verfahren etc. Aber genau dazu müssten sich die kritisierten gefahrlos frei äussern können. Wenn die das könnten, wären Sie vielleicht überrascht, dass manch ein „einseitiges Verfahren“ gar nicht mehr so einseitig wäre. Aber dazu wird es nie kommen.

        Ich sähe die Lösung eher in einem Gesetz ähnlich dem Freedom of Information Act in den USA, wo man als Journalist zugang zu sonst nicht öffentlichen Unterlagen erhalten kann. Dann bräuchten wir nur noch Journalisten die auch damit umgehen können.

      • Den Freedom of Information Act gibt es in der Schweiz: Er heisst beim Bund Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), nimmt aber Strafverfahren explizit aus. Dort ist aber Art. 30 Abs. 3 BV anwendbar: Das Prinzip der Justizöffentlichkeit, welches das Bundesgericht auf Urteile, Strafbefehle, aber auch Einstellungsverfügungen anwendet.
        Zugang haben Medien aber bloss zu den Endentscheiden, meist nicht zu den Verfahrensakten – oder nur sehr selektiv und bei schutzwürdigem Interesse. Während eines Strafverfahrens finde ich das richtig. Danach sollten diese Akten aber auf Gesuch hin eingesehen werden können. Das ist heute nur ausnahmsweise der Fall.

      • Da gehe ich mit Ihnen einig. Effektive Justizkontrolle nur über Endentscheide geht nicht. Gratuliere übrigens noch zur FIFA-Sache. 🙂

        Das BGÖ ist im Vergleich zum FOIA ein lächerliches Feigenblatt. Es steht zwar Öffentlichkeit drauf, geregelt wird aber die Geheimhaltung. Typisch Schweiz halt.

  7. Die exzellente Analyse „Weshalb der Justizjournalismus in Helvetien darbt“ ist, wenn in ihrer Überschrift „Helvetien“ gegen „Germanien“ ausgetauscht und die praktischen Beispiele aus der helvetischen Justiz- und Politikpraxis herausgenommen werden, wie maßgeschneidert für die Situation in Deutschland: „Weshalb der Justizjournalismus in Germanien darbt“.

    Neben der sorgfältigen Analyse gefällt mir der Schlusssatz „Also Bodenpersonal Justitias rege Dich!“. Dieser Einbezug des Justizjournalismus in die Justiz ist zwar unüblich, aber eigentlich für das Funktionieren der Justiz unerlässlich.

    Wie häufig führt doch öffentlicher Druck dazu, dass die Justiz ihre Vorbehalte gegen die Korrektur gravierender eigener Fehler – wie im Fall Gustl Mollath [ https://www.focus.de/politik/deutschland/gustl-mollath-er-sass-sieben-jahre-unschuldig-in-der-psychiatrie-jetzt-will-er-millionen-vom-staat_id_8545989.html ] – aufgibt.

    Auch die Litigatiion PR ist in diesem Zusammenhang als reizvolle wie anspruchsvolle journalistische Aufgabe zu nennen.

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