Juristentricks: Vollkaskoversicherung für die Fifa-Chefs 

Sind die Spezialklauseln für die obersten Manager der Fifa rechtens? Unüblich sind sie auf jeden Fall.

So verliert eine fristlose Kündigung jeden Schrecken. Generalsekretär Jérôme Valcke und Finanzchef Markus Kattner sollten sämtliche Entschädigungen bis Ende der Vertragslaufzeit Ende 2019 (Valcke) und 2023 (Kattner) erhalten, selbst wenn ihnen aus wichtigem Grund fristlos gekündigt würde (Art. 337 OR). Und darüber hinaus verpflichtete sich die Fifa, sämtliche Kosten von Schadenersatz- oder Strafverfahren im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit zu übernehmen – sogar Bussen. So stehe es in zwei Zusatzklauseln, die Sepp Blatter am 30. April 2011 in die Verträge seiner beiden Mitarbeiter eingefügt habe, schreibt das amerikanische Anwaltsbüro Quinn Emanuel, das die interne Untersuchung der Fifa durchführt, in einer Medienmitteilung vom 3. Juni 2016. Und: «Diese zwei Klauseln scheinen gegen zwingendes Schweizer Recht zu verstossen.»

«Das ist eine klare Verletzung» 

Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen, gibt den Fifa-Anwälten recht: «Das ist eine klare Verletzung des Schweizer Arbeitsvertragsrechts und der Versuch einer Rechtsumgehung.» Ab Kündigung dürfe die Fifa keine Entschädigungen mehr zahlen. Bereits bezahlte Summen könnten aber nur schwer zurückgefordert werden. Die Klausel, dass die Fifa alle Kosten von zivil- oder strafrechtlichen Verfahren übernimmt, hält Geiser für «sicher nicht voll gültig». Es könne doch nicht sein, dass die Fifa auch die Anwalts- und Gerichtskosten von Valcke und Kattner zahlen muss, wenn sie die beiden verklagt. «Bussen muss zudem sicher der Betroffene bezahlen.»

«Völlig unüblich» – aber legal? 

Etwas anders sieht es der Zürcher Arbeitsrechtler Georges Chanson. «Das ist sicher ein goldenes Geschenk», räumt der Fachanwalt ein. «Eine volle Abfindung bei gerechtfertigter fristloser Entlassung ist zwar völlig unüblich, verstösst aber nicht offensichtlich gegen zwingendes Arbeitsvertragsrecht.» Das Schweizer Recht lässt viele Vertragsklauseln zu, wenn sie zugunsten des Arbeitnehmers sind. Nur wenige Bestimmungen schützen hingegen den Arbeitgeber. Die sind gemäss Chanson nicht verletzt.

Einen Weg, die Verträge von Valcke und Kattner anzufechten, sieht aber auch Chanson. «Es ist zu prüfen, ob der Vertragsschluss den strafrechtlichen Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung erfüllt», meint er. Dann könnte der Vertrag als widerrechtlich angefochten und die Zahlung der Entschädigungen verweigert werden.

Die Fifa strich Blatter den Bonus und griff auch bei Valckes Entschädigungen ein. Gegen beide hat die Bundesanwaltschaft bereits vor Bekanntwerden dieser Verträge ein Strafverfahren eingeleitet. Die Fifa-Anwälte haben die gefundenen Dokumente der Bundesanwaltschaft, der Fifa-Ethikkommission und den US-Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet. Ob die Fifa die Verfahrens- und Anwaltskosten des Ex-Generalsekretärs Valcke auf Grundlage dieser Vertragsklausel zu übernehmen hat, wird das zuständige Gericht entscheiden müssen.

(Dieser Text basiert auf einem Artikel des Autors im Tages-Anzeiger vom 4. Juni 2016)

Eine Ära geht zu Ende: fel. wird frühpensioniert

Markus Felber, der Bundesgerichtskorrespondent der NZZ, hört Ende Juni auf. Bei der Neubesetzung muss die NZZ darauf achten, dass sie ihren Marktvorteil sorgfältig pflegt.

2013 wäre eigentlich ein Jubeljahr für die NZZ: Seit genau 100 Jahren hat die alte Tante die Berichterstattung über das Bundesgericht gepflegt wie kein zweites Medium. Die Berichterstattung über die Urteile des höchsten Schweizer Gerichts gehört zum Markenzeichen der NZZ: Tausende wenn nicht gar zehntausende von Juristinnen und Juristen haben die NZZ nicht zuletzt deshalb abonniert – weil die Zusammenfassungen der höchstrichterlichen Entscheide eine schnelle und präzise Information erlauben.

Nur gerade vier Personen haben das Amt des Bundesgerichtskorrespondenten in diesen 100 Jahren innegehabt. Der letzte, Markus Felber, tat es mehr als 19 Jahre lang. Und er tat es mit juristisch-journalistischer Prägnanz und zielgenauer Kritik, wenn das Bundesgericht Verfahrensregeln zurechtbog, formalistisch anonymisierte oder höchste Richter fichieren liess. Der bestens informierte Felber irritierte einen einzelnen Bundesrichter sogar derart, dass der Magistrat den unbequemen, aber korrekten Journalisten in den heiligen Hallen zu Mon Repos anspuckte.

Die 100%-Stelle von Markus Felber wird durch eine feste 75%-Stelle (NZZ-Bundeshausjournalistin Katharina Fontana) und zusätzliche Stellvertretungen besetzt. Es ist zu hoffen, dass damit kein Abbau der Berichterstattung verbunden ist und die NZZ nicht ohne Not ihren einzigartigen Marktvorteil aus der Hand gibt. Viele Juristinnen und Juristen zählen auf die NZZ, wenn es darum geht, flächendeckend und in zuverlässiger Triage über die wichtigen Entscheide des Bundesgerichts informiert zu sein. Hoffentlich pflegt die alte Tante ihre mehr als 100-jährige Tradition sorgfältig weiter.

Inlandchef René Zeller betont auf Anfrage, dass „die NZZ der Tätigkeit der nationalen Gerichte unverändert eine hohe Bedeutung“ zumesse. Es gelte die Rechtsprechung „systematisch zu beobachten und kritisch zu begleiten.“

Nachtrag vom 9. Juli 2013: Felbers Nachfolgerin Katharina Fontana legte ihre juristisch-politische Grundhaltung in diesem Kommentar dar.

Pussy Riot unter Anwälten

Ein Tessiner Rechtsanwalt bezeichnet Pussy Riot als „drei dumme Weiber, die sich jetzt völlig zu Recht für zwei Jahre in ozonreicher Taigaluft erholen werden.“

Die Swisslawlist ist eine Mailing-Liste, auf der sich rund 1000 Anwältinnen und Anwälte austauschen. Meist tun sie dies gesittet über Fachfragen oder die Qualität von Gutachtern.

Übers letzte Wochenende entgleiste nun aber eine Diskussion: Da beschwerte sich RA Philippe Schweizer über die aktuelle Verketzerung des Rauchens und erhielt vom Tessiner RA Roberto Haab Zustimmung in folgenden Worten: „Das ist ungefähr, was +/- alle denken, sich aber damit nicht zu outen wagen. Dafür grosses Gezeter etwa wegen der drei dummen Weiber in Moskau, die sich jetzt völlig zu Recht für zwei Jahre in ozonreicher Taigaluft erholen werden.“

Damit billigte Haab das Urteil gegen die russischen Punk-Sängerinnen, die zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt wurden, weil sie in einer Kirche einen Protestsong gegen Putin gesungen hatten. Wird das Urteil rechtskräftig, werden die drei Frauen brutalen Haftbedingungen ausgesetzt sein.

Was war in den blitzgescheiten, scharfzüngigen Rechtsanwalt gefahren? „Meine Äusserung war zugegebnermassen etwas brutal“, schreibt er als Erklärung, „doch möchte ich materiell, was die Pussy Riots anbelangt, daran festhalten.“ Argumentativ führt Haab ins Feld, dass der Auftritt in der Kirche auch bei uns strafbar wäre (Art. 186 StGB Hausfriedensbruch und 261 II Verspottung von Kultushandlungen). „Meinetwegen zu anderm Tarif, aber eben doch“.

Zudem erklärt Haab, „als Mensch mit ostslawischen Wurzeln und mit regelmässigen Kontakten zur russischen Wirklichkeit“, dass der Durchschnittsrusse tief religiös sei und die Profanation einer Kirche deshalb entsprechend schwer wiege. Störer des Hausfriedens und des religiösen Kults „gehören halt strafrechtlich verfolgt und bestraft, auch wenn sie Gegner Putins sind oder sich ihr Handeln gut im strategischen westlichen Plan der Eindämmung russischer Macht einfügt.“

Haabs Worte („dumme Weiber“, „völlig zu Recht zu zwei Jahren“ verurteilt) werden durch diese Erklärungen etwas verständlicher, aber kaum überzeugender. Seine provokative Wortmeldung hat die Funktion, der schweizzentrierten Betrachtung des Geschehens in Russland die voreingenommene Betrachtungsweise vor Augen zu führen. Doch jenseits dieses löblichen Kerns fragt sich Justizblog trotzdem, wie man von „dummen Weibern“ schreiben kann, wenn man sie nicht kennt, und das Urteil für „völlig zu Recht“ ergangen erklärt, wenn man ein areligiöser Schweizer ist wie Haab.

Ist das Abstrahieren vom eigenen kulturellen Hintergrund nicht falsch, wenn man Urteile in andern Ländern beurteilt? Aus dem kulturell-religiösen Geist eines Landes heraus kann man ja alle Urteile rechtfertigen, selbst Steinigungen und Hand abhacken. Oder bin ich da falsch gewickelt?

Weshalb der Justizjournalismus in Helvetien darbt

Embedded Journalists, unerfahrene Gerichtsreporter, Desinteresse der Medien und die Angst der Justizbehörden vor Transparenz sind vier Gründe für das Malaise des Justizjournalismus in der Schweiz. Vier Forderungen, um dies zu ändern.

Der kritische Justizjournalismus darbt in der Schweiz. Das hat mit vier Gründen zu tun: Erstens bauen die Medien die Justizberichterstattung ab. So berichten heute selbst in der NZZ nur drei Personen über Justiz, hingegen fast zwei Dutzend Leute über Parlament und Regierung in Bund und Kanton Zürich. Das Missverhältnis in der Berichterstattung über die drei Gewalten ist bei andern Zeitung kaum anders. Oder kann sich jemand daran erinnern, dass Bundesrichterkandidaten vor den Wahlen ähnlich geröntgt wurden wie Bundesräte und Parlamentarier?

Zweitens sind die regelmässigen Gerichtsberichterstatter, welche die Kompetenz zur Justizkritik haben,  meist embedded journalists, die aus Rücksicht auf das Justiz-Biotop, in dem sie selbst leben, nicht alles schreiben können, was wichtig wäre. Drittens ist die grosse Masse der Gerichtsberichterstatter  unerfahren und vermeldet nur Sensationen, übt hingegen keine fundierte Justizkritik. Dass da die Justizbehörden von Polizei über Staatsanwaltschaften bis zu den Gerichten misstrauisch sind, ist zumindest zum Teil verständlich. Doch dies erklärt die Angst der Justizbehörden vor Transparenz bei weitem nicht, die viertens Justizkritik erschwert.

Schade eigentlich, denn Justizjournalismus tut not in der Schweiz. Er müsste drei Fragen stellen:

1. Liegt ein Justizfehler vor? (Wie zum Beispiel beim Bundesgerichtsentscheid zu Swissmedic)

2. Ist das juristisch korrekte Urteil auch gerecht? (Eine Frage, die sich zum Beispiel beim Fall Wyler/Zopfi stellt)

3. Gibt es Dysfunktionen im Justizsystem? (Wie zum Beispiel im Bezirk March, wo Anwälte und Richter Herrenabende feiern und sich danach wieder vor und hinter den Schranken des Gerichts unbefangen begegnen)

Damit Justizjournalismus und Justizkritik in der Schweiz diesen Fragen wieder fundiert nachgehen können, müssen 4 Forderungen erfüllt werden:

1. Sämtliche Justizbehörden müssen Zugang zu ihren Entscheiden gewährleisten. Kostenlos und schnell.

2. Justizjournalismus ist als spannendes Berufsfeld für Juristen bekannt zu machen.

3. Rechtswissenschaftliche Lehre und Justizjournalisten sollten häufiger zusammenarbeiten, denn beide machen das gleiche – wenn auch in unterschiedlichen Diskursen.

4. Medien sollten der Justizberichterstattung und der Justizkritik mehr Raum geben.

Also Bodenpersonal Justitias rege Dich!

www.investigativ.ch: Die Recherche-Plattform der Schweiz

Der Verein investigativ.ch baut seine Website zum Kompetenzzentrum für Recherche aus. Ab dem 1. November 2011 verraten Recherche-Journalistinnen und -Journalisten unter  www.investigativ.ch ihre Tipps und Tricks.

Der Mitgliederbereich der neuen Website bietet handfesten Service:  Rechercheanleitungen, kommentierte Links, Dossiers mit dem aktuellen Stand von Recherchen in wichtigen Themenbereichen. Zudem stehen Musterbriefe für Einsichtsgesuche zum Download bereit, und ein Forum ermöglicht den Austausch über konkrete Rechercheprobleme.

Auch Nicht-Mitglieder können sich über einen Blog über die aktuellen Entwicklungen in der weiten und nahen Welt der Recherche informieren. Und wer den Newsletter abonniert, ist über Veranstaltungen und Tagungen auf dem Laufenden.

Das Angebot wird von allen Mitgliedern des Vereins investigativ.ch aktualisiert und weiter angereichert. So berichtet die Website aktuell über die Herzberg-Tagung vom 2. November 2011, die dieses Jahr der Recherche gewidmet ist.

Recherchewissen ist shareware. Davon ist investigativ.ch überzeugt. Mitglied können alle hauptberuflichen Journalistinnen und Journalisten werden.

Investigativ.ch, das Recherche-Netzwerk Schweiz, ist  auch auf Twitter (investigativ_ch) und Facebook präsent. Reinschauen, „followen“ und „liken“.

Anwalt und Richter als Trinkkumpane

Ein Richter gilt nicht als befangen, auch wenn er mit dem Anwalt der Gegenpartei jede Woche Sport macht, Essen geht und in der Bar abhängt. Das meint das Bundesgericht.

Immer am Donnerstag gehen in Lachen (SZ) eine Handvoll Richter und Anwälte zusammen squashen, dann essen sie zusammen und beschliessen den Abend bei einem Digestif in der Bar. Herrenabend nennt sich das. Und die Herren kennen sich seit Jahren von der Studentenverbindung her.

Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Auch Juristen sollen Sport treiben und es lustig haben. Aber diese Herrenrunde trifft sich nicht nur zu Squash und Plausch am Donnerstagabend, sondern auch vor und hinter den Schranken des Gerichts. So geschehen in einem Verfahren um Eheschutz im März 2010 vor dem Bezirksgericht March.

Da sitzt also der eine Sport-, Ess- und Trinkumpan vorne auf dem Richterstuhl und der andere steht als Anwalt der Frau davor. Der Richter wird als Einzelrichter über die Unterhaltsfragen entscheiden. Das stört den Anwalt des Mannes. Er verlangt einen andern Richter, weil er mit dem Gegenanwalt freundschaftlich verbunden sei. Das sei ein Ausstandsgrund.

Doch der Einzelrichter aus dem Herrenabend, das Kantonsgericht Schwyz und nun auch das Bundesgericht sehen das anders. „Eine derartige freundschaftliche Beziehung weist nicht die Intensität und Qualität auf, die vom üblichen Mass abweicht“, schreiben die drei Bundesrichter. Es sei durchaus üblich und systembedingt, dass sich Richter und Anwälte auch ausserhalb ihrer beruflichen Tätigkeit in der Öffentlichkeit treffen.

„Dieser Entscheid befremdet mehr, als er überzeugt“, kritisiert Hansjörg Peter, Rechtsprofessor an der Universität Lausanne, den Entscheid in einem juristischen Fachblatt. Falls der Mann den Prozess am Schluss verliere, werde er überzeugt sein, dass dies nicht deshalb geschehe, weil es das Gesetz so will, sondern weil Richter und Gegenanwalt miteinander verbrüdert sind. „Genau das aber sollen die Regeln über Ausstand und Befangenheit verhindern: dass der Bürger einen unguten Eindruck der Justiz bekommt und das Vertrauen in sie verliert. Dem Einzelrichter wäre kein Zacken aus der Krone gefallen, wenn er sich zurückgezogen hätte – der Justiz hätte er einen grossen Dienst erwiesen.“

Medienanwalt Glasl eilt Staatsanwälten zu Hilfe

Rechtsanwalt Daniel Glasl redet die Transparenz der Staatsanwaltschaften schön. Die Medienfreiheit sei nicht in Gefahr, titelte er am 10. Mai 2011 in einem Gastbeitrag der NZZ. Und zeigte damit seine Naivität.

Medienanwalt Glasl reagiert mit seinem Kommentar auf einen Artikel in der NZZ, in dem ich schilderte, wie die Staatsanwaltschaften seit Anfang Jahr mit überlangen Verfahren und prohibitiven Kosten, die Medien davon abhalten, die Arbeit der Strafverfolger zu kontrollieren. Glasl referiert des langen über die Persönlichkeitsrechte, analysiert drei Fälle oberflächlich, hat aber von der eigentlichen Problematik wenig begriffen.

Denn mir und andern Medienschaffenden geht es nicht darum, eine Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten zu verhindern. Aber diese Abwägung soll der Staatsanwalt ohne langes Stellungnahmensverfahren machen – genau wie es die Gerichte seit Jahrzehnten zur vollen Zufriedenheit von Betroffenen und Medien machen und die Strafverfolger gemacht haben. Diese effizienten Einsichtsentscheide dauern meist nur Stunden oder ein, zwei Tage, kosten kaum etwas und erlauben die umfassende Sicherung der Persönlichkeitsrechte in der Interessenabwägung der in solchen Fragen erfahrenen Richter und Staatsanwälte.

So lief die Einsicht in Strafbefehle jahre- und jahrzehntelang problemlos. Erst seit Entscheiden des Bundesgerichts, welche die Rechte der Medien stärkten, haben die Staatsanwaltschaften zu mauern begonnen. Zumindest in Zug und Zürich – den finanzkräftigen Zentren mit Firmen und Privatpersonen, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen – vor allem wenn sie sich von Strafverfahren via Art. 53 StGB loskaufen. Und denen sich Glasl offenbar mit seinem Text empfehlen will. Greift diese Praxis um sich, ist die Geheimjustiz im Vormarsch und die Medienfreiheit eben doch in Gefahr.

In Basel und neu auch Luzern hingegen geht es übrigens anders: Da entscheiden die Staatsanwälte wie bisher selbst über Einsichtsgesuche – ohne langes Verfahren und mit minimalen Kosten für die Medien. Es geht also. Rechtlich lässt sich diese Lösung darauf stützen, dass Einsicht in sensible Personendaten gewährt wird, wenn das Gesetz (Art. 30 Abs. 3 BV und EMRK 6) dies erlaubt. Es braucht also keine Einwilligung des Betroffenen wie dies in Zürich und Zug neu konstruiert wird. Ansonsten müsste man konsequenterweise dasselbe prohibitive Einsichtsverfahren für die Einsicht in Urteile einführen – und davon ist das Bundesgericht, das seine Entscheide fast vollständig im Internet publiziert (!) weit entfernt.

Also Staatsanwälte: Stellt Eure Strafbefehle und Einstellungsverfügungen ins Internet. Denn gemäss Bundesgericht gibt es unter dem Aspekt von Art. 30 Abs. 3 BV keine nennenswerten Unterschiede zwischen Urteilen und Strafbefehlen.

Zweifel am Genfer Chefankläger Zappelli

Was im Kanton Genf derzeit abgeht, lässt nichts Gutes ahnen für das neue Wahlverfahren des Bundesanwalts und die neue Aufsicht über den eidgenössischen Chefankläger. Strafverfolgung wird verpolitisiert.

Im Kanton Genf wird der Chefankläger – einzigartig für die Schweiz – vom Volk gewählt. Mitentscheidend ist dabei das kriminalpolitische Konzept des Kandidaten. So segnete das Genfer Stimmvolk 2002 die Wahl des bürgerlichen Daniel Zappelli ab (wenn auch mit weniger als 150 Stimmen), der in seinem Wahlkampf klar das Primat auf die Verfolgung von Hausbesetzern und Drogendelinquenten gesetzt hat. Damit versprach er einen kriminalpolitischen Wechsel im Vergleich zu seinem Vorgänger Bernard Bertossa , der die Verfolgung von Geldwäscherei und internationaler Kriminalität zuoberst auf seine Agenda gesetzt hatte.

Nun aber zeigt dieser Wechsel Konsequenzen, die nicht nur für Genf, sondern für den ganzen Bankenstandort Schweiz zum Problem werden. Der bürgerliche Chefankläger Daniel Zappelli steht nämlich zumindest in zwei Fällen von schwerer Geldwäscherei im Verdacht, die Strafverfahren nicht mit dem nötigen Biss voranzutreiben. Davon profitiert vor allem seine eigene politische Klientel (Genfer Anwälte und Financiers) . Eines der Verfahren richtet sich gegen den aktuellen Staatspräsident Pakistans und einen ehemaligen Genfer Anwalt, der ihm geholfen haben soll, Schmiergelder zu waschen. Mehr dazu im aktuellen Beobachter.

Die Genfer Aufsichtsbehörde – der conseil supérieur de la magistrature – überzeugt gerade in diesen problematischen Fällen auch nicht: Wiederholt traten Mitglieder, die selbst bei den betroffenen Verfahren als Anwälte tätig waren, erst in den Ausstand, als sie dazu angehalten wurden  – oder wirkten bei Entscheiden gar mit. Dies führte dazu, dass Sanktionen von der nächsthöheren Aufsichtsinstanz wieder aufgehoben werden mussten.

In Genf scheint die Zusammensetzung der Aufsichtsbehörde aus Richtern, Anwälten und Professoren nicht wirklich zu einer Verbesserung der Strafverfolgung beigetragen zu haben. Ein Unikum: Der Chefankläger selbst ist teil der Aufsichtsbehörde und hat soeben eine Anzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung eingereicht, weil eine Sanktion gegen ihn publik geworden war. Als Täter kommen wohl nur die andern Mitglieder der Aufsichtsbehörde in Frage.

Auch auf Bundesebene soll auf Anfang 2011 eine vergleichbare Aufsichtsbehörde ihre Tätigkeit aufnehmen – und der Bundesanwalt soll neu vom Parlament gewählt werden. Es ist zu hoffen, dass nicht dieselben Dysfunktionen auftreten.

Unabhängig davon zeigt aber Genf, dass endlich ein Verbandsbeschwerderecht von NGOs im Bereich Korruption und Menschenrechte gesetzlich verankert werden sollte. Stellt nämlich ein politisch gewählter Chefankläger wichtige Verfahren von Korruption oder Geldwäscherei trotz erheblicher Beweise sang- und klanglos ein, kann niemand die Einstellung anfechten – sie wird nie überprüft.

Dignitas und das Steuergeheimnis

Recherchen zur Sterbehilfeorganisation Dignitas sind etwas Besonderes: Da wird der Journalist von Ludwig A. Minelli als „unanständig“ beschimpft und von nervösen Steuerbeamten unter dem Vorwand „Steuergeheimnis“ abgewimmelt.

Brav recherchierender Journalist, der ich bin, rufe ich beim Steueramt der Stadt Zürich an, um zu erfahren, ob denn Dignitas je im Steuerregister der Stadt Zürich verzeichnet gewesen sei. Nein, sagt der Beamte.

Ob der Verein Dignitas denn das nicht müsste, wenn er seinen statutarischen Sitz in Zürich hatte?

Doch, sagt der Beamte. Er wolle mit dem zuständigen Steuerkommissär Rücksprache nehmen und mir nach dem Wochenende Bescheid geben. Gleichentags bestätigt die Steuerverwaltung des Kantons in einem netten Gespräch, in einem solchen Fall werde in der Regel ein Nachsteuerverfahren eingeleitet – ohne zum konkreten Fall Stellung nehmen zu wollen.

Vor dem Wochenende telefoniere ich noch mit Dignitas Gründer Ludwig A. Minelli und frage ihn, wo denn der Verein Dignitas von 1998 bis 2006 seine Steuererklärung eingereicht habe. Er sei gerade im Ausland und habe keine Zeit für solche Fragen. „Ende der Durchsage“, meint der 78-Jährige und legt den Hörer auf. Trotzdem maile und faxe ich Minelli die Fragen. Darauf antwortet er mit einer Journalistenbeschimpfung (ich sei „unanständig“ und fortan von ihm als „Unperson“ registriert).

Nach dem Wochenende telefoniere ich wieder mit dem städtischen Steueramt.

Ja, er habe mit dem Steuerkommissär gesprochen, sagt der städtische Beamte. Aber der dürfe keine Auskunft geben. Steuergeheimnis. Ich solle mich an den Kanton wenden.

Doch der kantonale Steuerbeamte bellt in den Hörer: „Steuergeheimnis“.

Was ist da übers Wochenende passiert? Und wieso kann mir niemand erklären, wo Dignitas von 1998 bis 2006 Gewinn und Vermögen deklariert hat? Ist das nicht von öffentlichem Interesse? In Maur, wo Dignitas seit 2007 seinen Sitz hat, gibt es den derzeit einzigen Steuerregistereintrag von Dignitas. Fürs Jahr 2007. Das ist kein Wunder: Denn Ende 2006 hat Justizdirektor Markus Notter den Sterbehilfeverein zum Eintrag im Handelsregister gezwungen, weil er ein kaufmännisches Gewerbe betreibe.

Ich rufe bei der Gemeinde Küsnacht an, wo Minelli ein Haus geerbt hat. Ob bei ihnen ein Verein Dignitas im Steuerregister verzeichnet sei?Das sei Steuergeheimnis, sagt mir die Beamtin.Also formuliere ich es anders: Ich möchte gerne einen Steuerregisterauszug des Vereins Dignitas der Jahre 1998 bis 2006 beziehen.

Dafür müsse ich ein schriftliches Gesuch stellen. Gesagt, getan.

Am nächsten Tag telefoniert mir ein freundlicher Küsnachter Steuerbeamter: Man könne es kurz machen. Dignitas sei gar nicht bei ihnen steuerpflichtig, da der Verein weder Sitz noch Verwaltung hier habe.

Gut, danke. Mehr wollte ich ja nicht wissen. Und: hätte man auch einfacher haben können.

Bleibt nur das Geheimnis: Wo hat der Verein Dignitas von 1998 bis 2006 seine Steuererklärung eingereicht – wozu er vom kantonalen Steuergesetz schlicht und einfach verpflichtet ist?

Den ganzen Text zum zweifachen Millionär Ludwig A. Minelli und dem intransparenten Finanzgebaren von Dignitas finden sie hier. Der Zürcher EVP-Kantonsrat Walter Schoch hat zur Problemantik nun einen parlamentarischen Vorstoss eingereicht.

Neues zum Traumberuf Anwalt

Müssen Konsumenten in Zukunft vor horrenden nachträglichen Anwaltsrechnungen Angst haben? Das Bundesgericht erlaubte es unlängst einem Genfer Anwalt, sein Honorar eigenmächtig von 600’000 auf 1,8 Millionen Franken zu erhöhen, weil er den Fall für seinen Mandanten erfolgreich abgeschlossen hat (Justizblog berichtete). Der Schweizerische Anwaltsverband nimmt erstmals Stellung.

Rechtsanwalt Michael Hüppi, Mediensprecher des Schweizerischen Anwaltsverbandes SAV, versucht zu beruhigen: „Wenn von vornherein eine klare Honorarvereinbarung abgeschlossen wurde, muss man nicht damit rechnen, dass ein Anwalt plötzlich nach dem Prozessgewinn ein einseitig festgesetztes Honorar fordert“.

Das ist schön und gut. Wie verhält es sich nun aber, wenn der Anwalt seinen Klienten über seine Honorarpraxis im Dunkeln gelassen hat? „Gemäss Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwälte haben Anwältinnen und Anwälte bei Übernahme des Mandates die Klienten über die Grundsätze ihrer Rechnungsstellung aufzuklären“, beruhigt Hüppi weiter. „Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, verstösst gegen die einschlägigen Bestimmungen“.

Was Hüppi aber nicht sagt: Diese „einschlägigen Bestimmungen“ sind völlig zahnlos. Einem Anwalt, der seine Klienten nicht über seine Honorarpraxis aufklärt, droht höchstens eine Busse wegen einer Berufspflichtverletzung. Die Sanktion taugt also nicht, um Missständen den Riegel zu schieben.

Genau davor warnt im neuesten Beobachter der Rechtswissenschafter Daniel Schwander, der sich mit dem Bundesgerichtsentscheid intensiv auseinandergesetzt hat: „Dieses Urteil verleitet Anwälte dazu, ihre Klienten übers Honorar im Ungewissen zu lassen. Denn so können sie im Erfolgsfall eine gesalzene Zusatzrechnung aus dem Hut zaubern.“

Nötig wäre eine Praxisänderung des Bundesgerichts oder ein Bundesgesetz, das Anwälte, die schlecht über ihre Honoraransätze informieren, stärker sanktioniert.

Beobachter-Mitglieder finden übrigens qualifizierte Anwältinnen und Anwälte, die kein Erfolgshonorar verlangen unter www.helponline.ch/anwaltssuche