Im Nachgang zum Fall Relotius habe ich mir überlegt, wie Storytelling, Wahrhaftigkeit und Recherche im Arbeitsablauf von Journalisten am besten aufeinander abgestimmt werden. Hier zwei Grundsätze und zwölf Schritte zum Umsetzen.
- Storytelling hat dienende Funktion. Zentral im Journalismus ist die relevante, faktenbasierte Information.
- Aber: Storytelling ist wichtig, denn nur so werden die journalistischen Recherchen und Informationen gelesen
Deshalb empfiehlt sich folgender Arbeitsablauf in 12 Schritten:
- Aussagewunsch/Recherchethese formulieren; Mindmap und darauf Rechercheplan erstellen (So ist das Storytelling bereits von Beginn weg integriert)
- bedingungslos Recherchieren: mit gleicher Verve den bestätigenden wie den widersprechenden Hinweisen/Indizien nachgehen; Recherchethese laufend anpassen oder über Bord werfen
- nur zum Storyinhalt machen, was wir mit mindestens zwei unabhängigen Quellen (oder einer harten Quelle: rechtskräftiges Urteil, amtliche Mitteilung) belegen können
- Recherche dokumentieren
- Bewusst von Recherche- zu Schreibphase wechseln: Recherchedokumentation, Materialsammlung weglegen; inkubieren – Joggen, Schlafen, um den Block laufen
- Story bauen: Fokus, Aussagewunsch formulieren (geschah bereits mit laufend justierter Recherchethese), Helden, Orte, Handlungen, Szenen bestimmen; Einstieg, Mitte, Ende festlegen, Erzählmuster, Plot etc.
- Freies Schreiben losgelöst von detaillierten Recherchebelegen (Recherchedoku, Materialiensammlung bewusst in Schublade legen)
- Faktencheck: Zu jedem im Text geschilderten Fakt den einen oder die zwei Belege in ein Mäppchen legen oder in der Online-Dok raussuchen
- Fairnesscheck: Zu jedem im Text geschilderten schweren Vorwurf die belegte Stellungnahme hervorsuchen
- Framing-Check: Habe ich nur dort Worte mit Spin verwendet, wo dies durch die belegten Fakten gedeckt ist?
- Storytelling-Check: Gebe ich durch das Storytelling den Faktenelementen einen Zusammenhang, der durch die Fakten gedeckt ist?
- Publizieren und gegebenenfalls sofort berichtigen, wenn sich Fakten als falsch erweisen.