Medienanwalt Glasl eilt Staatsanwälten zu Hilfe

Rechtsanwalt Daniel Glasl redet die Transparenz der Staatsanwaltschaften schön. Die Medienfreiheit sei nicht in Gefahr, titelte er am 10. Mai 2011 in einem Gastbeitrag der NZZ. Und zeigte damit seine Naivität.

Medienanwalt Glasl reagiert mit seinem Kommentar auf einen Artikel in der NZZ, in dem ich schilderte, wie die Staatsanwaltschaften seit Anfang Jahr mit überlangen Verfahren und prohibitiven Kosten, die Medien davon abhalten, die Arbeit der Strafverfolger zu kontrollieren. Glasl referiert des langen über die Persönlichkeitsrechte, analysiert drei Fälle oberflächlich, hat aber von der eigentlichen Problematik wenig begriffen.

Denn mir und andern Medienschaffenden geht es nicht darum, eine Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten zu verhindern. Aber diese Abwägung soll der Staatsanwalt ohne langes Stellungnahmensverfahren machen – genau wie es die Gerichte seit Jahrzehnten zur vollen Zufriedenheit von Betroffenen und Medien machen und die Strafverfolger gemacht haben. Diese effizienten Einsichtsentscheide dauern meist nur Stunden oder ein, zwei Tage, kosten kaum etwas und erlauben die umfassende Sicherung der Persönlichkeitsrechte in der Interessenabwägung der in solchen Fragen erfahrenen Richter und Staatsanwälte.

So lief die Einsicht in Strafbefehle jahre- und jahrzehntelang problemlos. Erst seit Entscheiden des Bundesgerichts, welche die Rechte der Medien stärkten, haben die Staatsanwaltschaften zu mauern begonnen. Zumindest in Zug und Zürich – den finanzkräftigen Zentren mit Firmen und Privatpersonen, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen – vor allem wenn sie sich von Strafverfahren via Art. 53 StGB loskaufen. Und denen sich Glasl offenbar mit seinem Text empfehlen will. Greift diese Praxis um sich, ist die Geheimjustiz im Vormarsch und die Medienfreiheit eben doch in Gefahr.

In Basel und neu auch Luzern hingegen geht es übrigens anders: Da entscheiden die Staatsanwälte wie bisher selbst über Einsichtsgesuche – ohne langes Verfahren und mit minimalen Kosten für die Medien. Es geht also. Rechtlich lässt sich diese Lösung darauf stützen, dass Einsicht in sensible Personendaten gewährt wird, wenn das Gesetz (Art. 30 Abs. 3 BV und EMRK 6) dies erlaubt. Es braucht also keine Einwilligung des Betroffenen wie dies in Zürich und Zug neu konstruiert wird. Ansonsten müsste man konsequenterweise dasselbe prohibitive Einsichtsverfahren für die Einsicht in Urteile einführen – und davon ist das Bundesgericht, das seine Entscheide fast vollständig im Internet publiziert (!) weit entfernt.

Also Staatsanwälte: Stellt Eure Strafbefehle und Einstellungsverfügungen ins Internet. Denn gemäss Bundesgericht gibt es unter dem Aspekt von Art. 30 Abs. 3 BV keine nennenswerten Unterschiede zwischen Urteilen und Strafbefehlen.

Unkontrollierbare Strafjustiz in St. Gallen

 

Im Kanton St. Gallen darf man nicht wissen, wie ein Raser bestraft wurde, der mit 260 kmh über die Autobahn und mit 160 kmh durch Dörfer fuhr.

Mit so einer Abfuhr hätte Martin Meier (Name geändert) nicht gerechnet. Dabei wollte er nichts Unsittliches vom ersten Staatsanwalt des Kantons St. Gallen. Nur eine Auskunft. Er hatte in der Zeitung gelesen, dass zwei Jugendliche ohne Fahrausweis mit einer Geschwindigkeit von 260 Stundenkilometern auf der Autobahn und mit 160 Stundenkilometer innerorts vor der St. Galler Polizei geflohen waren. Meier hatte die Strafverfolger gefragt, „welche Belohnung diese Schurken für diese Raserei erhalten haben.“ Nach fast einem Jahr und einem zweiten Brief erhielt der Rentner Antwort: „Da ich nicht davon ausgehe, dass Sie mit der ausgesprochenen Strafe zufrieden wären, weil sie wohl deutlich unter Ihren Erwartungen liegt, verzichte ich auf nähere Angaben“, antwortete Dr. iur. Thomas Hansjakob, erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, in knappen sechs Zeilen.

„Ist es möglich und zulässig, dass derart krasse Straftaten ‚hinter verschlossenen Türen’ behandelt werden können, und die Öffentlichkeit darüber nichts mehr erfahren darf?“, fragte Meier. Eigentlich nicht. Immer wieder hat das Bundesgericht betont, dass auch Strafentscheide von Staatsanwälten öffentlich gemacht werden müssen. Eine solche Justizkontrolle bedeute „eine Absage an jede Form geheimer Kabinettsjustiz“. Und das eidgenössische Strafprozessordnung hält seit Anfang Jahr unmissverständlich fest, dass jedermann auch Einsicht in Strafbefehle nehmen kann. Das ergibt sich gemäss der juristischen Fachzeitschrift plädoyer aus den Materialien zum neuen Art. 69 StPO (vgl. plädoyer 2/11, Seite 6). Doch offenbar hält sich der Kanton St. Gallen nicht daran.

Nun versuchte ich es als Journalist. Medien können auch berechtigte Interessen wie die Justizkontrolle geltend machen, Aber Thomas Hansjakob wies auch dieses Einsichtsgesuch ab – immerhin brauchte er diesmal nur einen Tag. Der Strafverfolger befand, dass es im Interesse des damals knapp 18-jährigen Beschuldigten liege, den Entscheid geheim zu halten. Und dieses Interesse sei wichtiger als jenes der Öffentlichkeit an der Information.

Seinen Schnellentscheid hat der Staatsanwalt nicht nur kaum begründet, sondern dabei auch vergessen, dass man den Namen des Betroffenen problemlos anonymisieren könnte. Ich möchte den Jugendlichen nämlich nicht an den Pranger stellen, sondern die Arbeit der Staatsanwaltschaft kontrollieren und zum Beispiel klären, wie es trotz der massiven Tempoüberschreitungen zu einem so milden Urteil kommen kann. Staatsanwälte können nämlich nur tiefe Strafen – oft bedingte Geldstrafen – selbst ausfällen. Aber vielleicht gibt es gute Gründe für die Milde. Dies zu erklären wäre wichtig, damit die Bürger das Strafrecht verstehen und kompetent abstimmen können. Bereits haben 110’000 Personen die eidgenössische Initiative „Schutz vor Rasern“ unterschrieben. Wird diese Initiative angenommen, müssen Raser zwingend ein bis vier Jahre ins Gefängnis, auch wenn es noch so gute Gründe für tiefere Strafen gäbe. Doch statt ihre Praxis zu erklären, schiebt die St. Galler Staatsanwaltschaft Täterschutz vor und verschanzt sich vor der Öffentlichkeit.

Geheimniskrämerei herrscht auch bei den Strafverfolgern der Kantone Zürich, Zug und Bern (vgl. Justizblog berichtete). Und schweizweit werden inzwischen mehr als 95 Prozent aller Strafurteile von Staatsanwälten gefällt, weniger als 5 Prozent von Gerichten. Viele Gerichte stellen ihre Entscheide ins Internet. Staatsanwälte hingegen geben nicht einmal auf Gesuch hin Auskunft. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht. Deshalb verlangt nun in Bern Grossrat Harald Jenk per Interpellation Auskunft über die intransparente Praxis. Und der Entscheid des St. Galler Staatsanwalts Thomas Hansjakob wurde angefochten.

Nachtrag Juli 2011: Die Beschwerde gegen den Entscheid des Staatsanwalts Hansjakob war erfolgreich: Strafbefehle können im Kanton St. Gallen nun herausverlangt werden. Dies hat das St. Galler Appellationsgericht entschieden. Mehr dazu hier.