Goldgrube für Rechercheure: Strafverfügungen der Verwaltung

Nicht nur Gerichte, nicht nur Staatsanwälte, sondern auch ganz simple Rechtsdienste der Verwaltungen sprechen Strafen aus. Und diese Entscheide müssen öffentlich zugänglich sein. So geht Swissmedic gegen Personen vor, die illegal Medikamente einführen; das Bakom straft Medien, die Schleichwerbung schalten; das BAZL schreitet ein, wenn ein Flugzeug den Walensee zu tief überfliegt; die Oberzolldirektion straft Leute, die illegal Papageien einführen…

Diese Entscheide sind gerade für Journalistinnen und Journalisten spannend, denn dahinter stecken interessante Geschichten. Und das besondere: Diese Entscheide sind wie Urteile und Strafbefehle öffentlich zugänglich, weil das Bundesgericht das verfassungsmässige Gebot der Justizöffentlichkeit (Art. 30 Abs. 3 BV) auch auf solche Strafverfügungen ausgedehnt hat. Das geschah vor 20 Jahren. Doch bisher hats kaum jemand gemerkt, geschweige denn benutzt.

Ich habe einen Musterbrief für ein Einsichtsgesuch erstellt. Damit solche Einsichtnahmen einfacher sind und die Tätigkeit dieser Behörden des Verwaltungsstrafrecht besser kontrolliert wird.

Meldet mir Probleme, aber auch Erfolge mit dem Musterbrief. Auf spannende Geschichten!

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P.S. Tipp für engagierte RechercheurInnen: Wer diese Dokumente systematisch bewirtschaften will, sollte einfach mal die Systematische Rechtssammlung durchkämmen nach interessanten Gesetzen, das Gesetz anklicken und zum Ende scrollen: Da stehen allfällige Sanktionen, die ausgesprochen werden können. Dann rausfinden, welches Amt diese Sanktionen aussprechen darf und Einsicht verlangen. Eine wahre Goldader. Sicher. Beispiel gefällig: Das Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen. Gemäss Art. 25-27 können hohe Bussen verhängt werden. Ist das schon mal passiert? Gegen wen….?

Swissmedic erleichtert den Zugang zu Strafentscheiden

Seit Anfang Jahr mailt Swissmedic registrierten Journalistinnen und Journalisten vierteljährlich eine Liste aller  Strafbescheide, Strafverfügungen und Einstellungsverfügungen, die das Schweizerische Heilmittelinstitut in den vorangegangenen drei Monaten erlassen hat. Gestützt darauf können Medienschaffende gezielt einzelne Entscheide anfordern, die ihnen per Mail zugestellt werden.

Die vierteljährlich vermailte Liste der Swissmedic-Entscheide ist zwar anonymisiert, enthält aber detaillierte Angaben zu den betroffenen Unternehmen und Personen. Die registrierten Journalisten können gestützt darauf während drei Monaten gezielt einzelne Strafbescheide und Strafverfügungen anfordern, die – sofern sie rechtskräftig sind – in nicht-anonymisierter Form zugemailt werden. Einstellungsverfügungen erhalten die Journalisten nur in anonymisierter Form, ausser wenn die Einstellung aus Opportunitäts- oder Verjährungsgründen erfolgte. Nicht-rechtskräftige Entscheide werden nicht zugemailt (aber offenbar auf der Liste aufgeführt).

Die Regelung von Swissmedic ist ein grosser Fortschritt, denn bei den meisten kantonalen Staatsanwaltschaften erfahren die Medienschaffenden gar nicht, welche Entscheide die Strafverfolger gefällt haben – ausser sie gehen regelmässig in deren Büros vorbei. Und dort liegen die Entscheide nur zwischen 7 und 30 Tagen auf (je nach Kanton verschieden). Zudem sind oft nicht einmal Kopien möglich.

Bei Swissmedic können sich Journalisten nun mit vertretbarem Aufwand ein Bild der Rechtspraxis machen und erhalten einfach und schnell Einsicht in nicht-anonymisierte Strafentscheide. Das ist wichtig bei einer Aufsichtsbehörde, die im Heilmittelbereich Strafmassnahmen verfügen kann – zum Beispiel gegen Online-Anbieter, die Medikamente ohne Rezept abgeben, gegen Pharmaunternehmen, die Ärzte mit Vorteilen ködern oder wenn Medikamente illegal eingeführt werden.

Aber wie jede Regelung steckt der Teufel im Detail:

Entscheidend für das Funktionieren der neuen Regelung wird sein, wie detailliert Swissmedic die Fälle in der vierteljährlich versandten Liste umschreibt. Denn Journalisten müssen sich über die Tragweite eines Falles ein Bild machen können. Zudem verpflichtet Swissmedic die registrierten Journalisten „sich in konkreten Fällen an Auflagen bzw. Weisungen der Swissmedic zu halten, inbesondere solche zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte betroffener Personen resp. schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen betroffener Unternehmen“. Auch da wird sich noch zeigen müssen, wie restriktiv dies Swissmedic handhabt. Weiter ist offen, wie Swissmedic Gesuche behandeln wird, mit denen Journalisten Zugang zu Strafentscheiden verlangen, die älter als drei Monate sind.

Zu bedauern ist grundsätzlich, dass Journalisten keinen Zugang zu nicht-rechtskräftigen Strafentscheiden erhalten. Damit verletzt Swissmedic das Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung. Diese Bestimmung orientiert sich nämlich an der mündlichen Urteilsverkündigung, wo der anwesenden Öffentlichkeit Urteile kundgetan werden, die notabene nicht rechtskräftig sind. Viele kantonale Staatsanwaltschaften handhaben das genauso verfassungswidrig.

Doch trotzdem ist die neue Zugangsregelung des Heilmittelinstituts ein wichtiger Schritt zu mehr Justizöffentlichkeit, an der sich die kantonalen Staatsanwaltschaften ein Vorbild nehmen können

Hier geht es zur Registierung.

Deklaration von Interessenbindungen: Der Autor hat als Berater an der Entwicklung des neuen Zugangssystems mitgearbeitet.

Höchstrichterlicher Freipass für Pharma-Geschenke an Ärzte

Eigentlich dürfen Ärzte keine „geldwerten Vorteile“ annehmen, wenn sie Medikamente verschreiben. Mit dieser Regel wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Pharmafirmen mit Geschenken Einfluss auf  Ärzte und Apotheker nehmen. Das Bundesgericht zieht dem Gesetz nun aber die Zähne: Wenn Ärzte geldwerte Vorteile annehmen, können sie nicht bestraft werden. Die Strafnorm sei nämlich zu wenig bestimmt und deshalb nicht anwendbar, meint das Bundesgericht.

Seit Jahren geht das Schweizer Heilmittelinstitut Swissmedic gegen Ärzte und Apotheker vor, die von Pharmafirmen „Geschenke“ annehmen. Es tut dies gestützt auf Art. 33 Absatz 2 des Heilmittelgesetzes HMG, der im Abschnitt „Werbung und Preisvergleiche“ steht:

2 Personen, die Arzneimittel verschreiben oder abgeben, und Organisationen, die solche Personen beschäftigen, dürfen für die Verschreibung oder die Abgabe von Arzneimitteln geldwerte Vorteile weder fordern noch annehmen.

Deshalb führte Swissmedic verschiedene Verfahren gegen Ärzte und Apotheker und sprach Bussen aus. Dafür stützte es sich auf die Übertretungsnorm des Heilmittelgesetzes:

Art. 87 Übertretungen

1 Mit Haft oder mit Busse bis zu 50 000 Franken wird bestraft, wer vorsätzlich:

b. gegen die Bestimmungen über die Werbung für Arzneimittel verstösst;

 In zwei Entscheiden hat das Bundesgericht dieser Praxis nun die Grundlage entzogen. Im April 2012 stellte die II. öffentlich-rechtliche Abteilung fest, dass Art. 33 HMG Swissmedic keine Kompetenz gebe, gegen Pharmafirmen zu ermitteln, die unzulässige Rabatte an Ärzte und Apotheker gewähren (Art. 33 Abs. 3 HMG). Dafür sei der Artikel zu wenig klar.

Nun erklärt die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in einem Entscheid vom 11. Dezember 2012 den Artikel 87 Abs. 1 Bst. b HMG für zu wenig bestimmt und deshalb nicht anwendbar, weil die Strafnorm den sanktionierten Gesetzesartikel (Art. 33 Abs. 2 HMG) nicht ausdrücklich nenne.

Die fünf Bundesrichter begründen diese neue Praxis – die weitreichende Folgen im ganzen Verwaltungsstrafrecht haben wird – , ohne sich auch nur mit einem Wort mit der juristischen Lehre auseinandergesetzt zu haben.

Die einhellige Lehre ist nämlich anderer Meinung: Mark Pieth in der Schweizer  Ärztezeitung 2002 (und analog im Basler Kommentar zum StGB 2007): Diese Sondernorm [Art. 33 HMG] in einem verwaltungsrechtlichen Erlass ist ihrerseits durch die Strafbestimmungen des Heilmittelgesetzes (Art. 87) abgesichert“. Urs Saxer im Basler Kommentar zum HMG 2006: „Der Arzt eines öffentlichen Spitals, der geldwerte Vorteile im Zusammenhang mit der Arzneimittelabgabe annimmt, verletzt daher nebst Art. 33 allenfalls auch einen Straftatbestand gemäss Art.322ter ff. StGB.“ Gleicher Meinung sind Urs Jaisli und Benedikt Suter. Eine abweichende Meinung wird in keinem Kommentar vertreten.

Nach diesem Entscheid des Bundesgerichts reibt man sich die Augen: Apotheker und Ärzte können also derzeit unbehelligt von Swissmedic geldwerte Vorteile von Pharmafirmen entgegennehmen. Da hat offenbar das Parlament massiv gepatzert und ein völlig untaugliches Gesetz erlassen. Der unmittelbare Schaden für die Bekämpfung von unerwünschten Geschenken von Pharmafirmen an Ärzte wird sich in Grenzen halten, denn die Lücke wird durch die HMG-Revision bald behoben (vgl. Artikeln 57a + 57b und 86a E-HMG). Der Entwurf ist bereits in der Vernehmlassung.

Zahlreiche laufende Verfahren von Swissmedic hängen nun aber in der Luft. Zudem schafft das Bundesgericht mit diesem Entscheid einen umfassenden Überprüfungs- und Revisionsbedarf im Verwaltungsstrafrecht: Selbst bei Übertretungstatbeständen gilt nun gemäss Bundesgericht die strenge Anforderung, dass die sanktionierte Norm ausdrücklich genannt werden muss. Diese Voraussetzung erfüllen zahlreiche Verwaltungserlasse nicht.  Art. 71 des Gewässerschutzgesetzes etwa bedroht generell mit Busse, wer „in anderer Weise diesem Gesetz zuwiderhandelt“. Und Art. 90 Ziff. 1 des Strassenverkehrsgesetzes bestraft denjenigen mit Busse, „der Verkehrsregeln dieses Gesetzes“ verletzt. Das sind immerhin die Artikel 26 bis 57 des SVG! Solche allgemeinen Binnenverweise sind im Nebenstrafrecht völlig üblich.

Erstaunlich ist dabei, dass diese Erwägung des Bundesgerichts in der amtlichen Sammlung nicht publiziert wird. Amtlich veröffentlicht wird einzig die (begrüssenswerte) Neuerung der Praxis zur Verjährung: Neu läuft die Verjährung auch bei einem freisprechenden vorinstanzlichen Entscheid nicht mehr weiter (vgl. Erwägung 1 des BGE vom 11. Dezember 2012).

Erstaunlich ist zudem, dass kein einziges Schweizer Medium diese Entscheide des Bundesgerichts vertieft aufgegriffen hat. Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel widmet dem Thema Woche für Woche lange Artikel. So hat es vermeldet, dass in Deutschland in den letzten Jahren mehr als tausend Korruptionsverfahren gegen Ärzte eingeleitet wurden. Ob dies in der Schweiz so anders ist?

Bundesgericht stellt Swissmedic kalt

Die Untersuchungsbehörden von Swissmedic dürfen nicht mehr kontrollieren, ob Ärzte und Apotheker Rabatte, die sie von Pharmafirmen erhalten, an die Kunden weitergeben. Dafür gebe es keine gesetzliche Grundlage, urteilte das Bundesgericht.

Im Dezember 2007 verpflichtete das Schweizerische Heimittelinstitut Swissmedic den Medikamentengrossisten Galexis dazu, seine Kunden also Ärzte, Apotheker, Drogisten darüber zu informieren, dass sie Rabatte an ihre eigenen Kunden und Patienten weitergeben müssen.

Dagegen wehrte sich der Arzneimittelhändler vor Gericht. Doch das Bundesverwaltungsgericht als erste Instanz schützte Swissmedic im Dezember 2010 in seinem zentralen Anliegen: Galexis müsse die Abnehmer darüber informieren, dass allfällige Rabatte an die Kunden oder Patienten weiterzugeben sind. Diese Pflicht leitete das Bundesverwaltungsgericht aus Art. 33 Abs. 3 lit. b des Heilmittelgesetzes (HMG) ab und bezog sie auf fast sämtliche Medikamente.

Dem widerspricht nun das Bundesgericht in einem Leitentscheid, der zwar von fünf Bundesrichtern einstimmig gefällt wurde, erstaunlicherweise aber nicht zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen ist. Die Bestimmung des Heilmittelgesetzes sei zu wenig klar, um einen erheblichen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit möglich zu machen, argumentieren die Bundesrichter. «Eine Pflicht zur Weitergabe der Rabatte an die Patienten oder Endkunden ist nicht aus dieser Bestimmung abzuleiten.» Das Bundesgericht spielt den Ball ans Parlament weiter, das im Rahmen der geplanten Revision des HMG entscheiden müsse, ob eine klare gesetzliche Grundlage geschaffen werde.

Erstaunlich an der Begründung des Bundesgerichts ist, dass es den Strafartikel zu Art. 33 HMG nicht gefunden hat (Art. 87 Abs. 1 Bst. b HMG). Da es unter anderem aus dem „Fehlen“ der Strafnorm ableitet, Art. 33 Abs. 3 lit. b HMG sei eine unklare gesetzliche Formulierung und deshalb nicht anzuwenden, ist dieser Fehler ziemlich blamabel. Zudem stützen die höchsten Schweizer Richter ihre Begrüdung unter anderem auf den Artikel einer PR-Frau, die von der Pharma bezahlt wird, ohne die Entgegnungen von Swissmedic und der Krankenversicherer ebenfalls anzuführen („Wer wissen will, was gilt, weiss es“).

Bei Swissmedic ist man konsterniert. «Dieses Bundesgerichtsurteil führt dazu, dass Rabatte auf Arzneimitteln nicht an die Patientinnen und Patienten sowie an die Krankenversicherer weiter gegeben werden», antwortet das Heilmittelinstitut. Zwar gebe es im Krankenversicherungsrecht (Art. 56 Abs. 3 KVG) eine explizite Weitergabepflicht. «Diese ist bis heute jedoch toter Buchstabe geblieben.»

Im Gegensatz zum Heilmittelgesetz kann Swissmedic beim Krankenversicherungsrecht nicht tätig werden. Das können nur die Krankenversicherer selbst. Aber offenbar fehlen dort die Kapazitäten, um die Weitergabe der Rabatte einzufordern. Zudem gilt diese Weitergabepflicht nur für jene Medikamente, die auf der Spezialitätenliste des Bundesamtes für Gesundheit aufgeführt sind.

Ärzte, Apotheker und Drogisten müssen also ab sofort kaum mehr mit Konsequenzen rechnen, wenn sie Rabatte behalten, die sie von Pharmafirmen erhalten. Und dabei geht es um viel Geld: Zahlreiche Pharmafirmen gewähren bis zu 90 Prozent Rabatt auf Medikamente, die später den Kunden und Patienten zum vollen Preis verkauft werden (siehe Artikel zum Thema «Wie sich Ärzte von der Pharma kaufen lassen»)

Urteil 2C_92/2011 vom 12. April 2012


Legalen Hanfanbau torpediert

Ein St. Galler Staatsanwalt 
zerstört die Geschäftsgrundlage 
einer Firma, die völlig legal 
­Cannabis für medizinische ­Zwecke anbauen will.

Dienstag, 17. Januar 2012, morgens kurz nach acht in einem verschlafenen St. Galler Dorf. 20 Polizisten unter der Leitung von Staatsanwalt Jan Duttweiler durchsuchen die Firma Ai ­Fame, die in Indoor-Anlagen auf rund 500 Quadratmetern Fläche Hanf anbaut.

Marco Gantenbein, Leiter der Qualitätskontrolle des Betriebs, stellt sich dem Einsatztrupp entgegen. Er beteuert, dass die Firma mit fünf Angestellten nichts Unrechtes tue: Der Hanf werde für medizinische Zwecke angebaut. Gantenbein zeigt dem Staatsanwalt den Inspektionsbericht der Heilmittelkontrolle Ostschweiz vom November 2011, die Bewilligung der Arzneimittelbehörde Swissmedic vom 11. Januar 2012 sowie das versandbereite Gesuch ans Bundesamt für Gesundheit (BAG) für eine Ausnahmebewilligung nach Betäubungsmittelgesetz. Es steht also ein Verfahren für den medizinischen Anbau von Hanf kurz vor dem Abschluss, das die Firma bereits Mitte 2010 eingeleitet hat.

Doch der junge Staatsanwalt Duttweiler hat kein Erbarmen. Er habe das ganze Lager von 250 Kilogramm Hanf, Laptops und selbst den Brief ans BAG mitgenommen, erzählt Firmensprecher Gantenbein. Zwei Tage später macht Duttweiler vollends Ernst: Er lässt auch die Pflanzung roden und weitere rund 250 Kilogramm Hanf abtransportieren. «Diese unverhältnismässige Polizeiaktion hat unsere Firma ruiniert», sagt Gantenbein. Der beschlagnahmte Hanf sei unbrauchbar, weil die Qualitätsvorschriften von Swissmedic nicht mehr eingehalten werden können, wenn die Polizei das Gewächs lagere. Den Schaden beziffert er auf fünf Millionen Franken.

Die Firma Ai Fame baut schon seit Jahren Hanf an und stellt damit einen Likör her – ganz legal. Dies hat das Kantons­gericht St. Gallen im September 2010 festgestellt. Der Hanfanbau sei nur verboten, wenn er dazu diene, Betäubungsmittel zu produzieren, argumentierten die Richter. Das geschehe bei Ai Fame nicht. Mehr noch: Seit dem Jahr 2000 hätten die Untersuchungsbehörden den Geschäftsführer der Firma stetig überwacht, seine Telefonate abgehört und regelmässig Hausdurch­suchungen durchgeführt, ohne irgendein illegales Verhalten festzustellen. Die Kantonsrichter attestierten der Firma denn auch «Ernsthaftigkeit der Bestrebungen im Pharmabereich», weil sie sich intensiv um eine Bewilligung der Swissmedic bemühe.

Dieses Urteil war eine schallende Ohrfeige für die St. Galler Staatsanwaltschaft. Doch dann trat am 1. Juli 2011 schweizweit ein neues Recht in Kraft: Jeglicher Cannabis-Anbau wurde verboten – ausser der Hanf enthält weniger als ein Prozent des halluzinogenen Wirkstoffs THC oder es liegt eine Ausnahmebewilligung des BAG zum Anbau für medizinische Zwecke vor. So wollte der Gesetzgeber kontrollierte Drogenlabors in der Schweiz und die rezeptpflichtige Abgabe von Cannabis für Schmerztherapien ermöglichen. Damit hatte die St. Galler Staatsanwaltschaft eine neue Grundlage, um gegen Ai Fame vorzugehen, denn eine Ausnahmebewilligung des BAG liegt wegen des langwierigen Verfahrens noch nicht vor. Doch haben die Hanfpflanzen auch einen THC-Gehalt von mehr als ­einem Prozent? «Die THC-Analysen der Pflanzen dauern derzeit noch an», erklärt Staatsanwalt Jan Duttweiler freimütig.

Im Klartext: Die Strafermittler haben die Illegalität der Plantage vor der Razzia nicht gründlich abgeklärt. Gemäss Ai-Fame-Mitarbeiter Marco Gantenbein haben Messungen vor einem Monat einen THC-Gehalt der nunmehr beschlagnahmten Pflanzen von weniger als 0,5 Prozent ergeben. Was, wenn diese Messung stimmt? «Falls der Hanf weniger als ein Prozent THC enthält, wird es zur Haftungsfrage», sagt Jan Duttweiler lapidar. Will heissen: Der Kanton St. Gallen müsste zahlen.

Marco Gantenbein findet das Vorgehen des Staatsanwalts auch deshalb stossend, weil das Bewilligungsverfahren gemäss BAG in zwei Monaten abgeschlossen gewesen wäre. «Wieso konnte der Staatsanwalt diesen Entscheid nicht abwarten? Er hätte ja zum Beispiel die Räume versiegeln können.» Die Firma hätte sich auf das neue Recht halt einstellen müssen, entgegnet Staatsanwalt Duttweiler. «Nur weil kein Übergangsrecht erlassen wurde, muss ein Staatsanwalt nicht zuwarten.»