Für faire Strafverfahren gegen Polizisten

Im Fall der Aargauer Sondereinheit Argus bahnt sich ein höchstrichterliches Präjudiz darüber an, wann in Strafverfahren gegen Polizisten ausserkantonale Staatsanwälte eingesetzt werden müssen.

Strafverfahren gegen Polizisten sind oft besondere Verfahren: Da werden Polizisten nicht als Zeugen einvernommen, sondern dürfen schriftliche Berichte abliefern – mit der Gefahr, dass die Schilderungen abgesprochen sind. Und die Untersuchung führt ein Staatsanwalt, der tagtäglich mit eben jenen Polizisten zusammenarbeiten muss, gegen die er ermittelt.

Der Fall des Serben Zeljko B., der in Wohlen AG alkoholisiert, aber alleine in seiner Wohnung herumzeterte, dann von sechs Polizeigrenadieren der Sondereinheit Argus umstellt und mit zwei Kugeln in den Bauch ausser Gefecht gesetzt wurde, könnte nun zu einem höchstrichterlichen Präjudiz führen.

Nicht nur Zeljko B.’s Verteidiger, sondern auch Justizdirektor Urs Hofmann, die zuständige Staatsanwältin und die Aargauer Oberstaatsanwaltschaft forderten bisher erfolglos einen ausserkantonalen Staatsanwalt für die Untersuchung. Das Aargauer Obergericht weigerte sich in mehreren Entscheiden, einen solchen einzusetzen.

Zuletzt im Juli 2011, als es den Antrag des leitenden Oberstaatsanwalts Philipp Umbricht ablehnte: Nur in einem allfälligen Strafverfahren gegen den Aargauer Kripochef Urs Winzenried, der in den Einsatz von Argus und den Gebrauch von Schusswaffen ohne Auflagen einwilligte, erachtet das Obergericht einen ausserkantonalen Staatsanwalt für nötig. Ein allfälliges Strafverfahren gegen den Einsatzleiter könne ein Staatsanwalt aus einer andern Region führen, jenes gegen die beiden schiessenden Polizisten könne bei der Staatsanwältin der Region Muri-Bremgarten bleiben.

Umbricht und Zeljko B.’s Verteidiger rekurrierten gegen diesen Entscheid. Der leitende Staatsanwalt erachtet den Entscheid des Obergerichts für realitätsfremd:«So wären vier unterschiedliche Staatsanwälte mit demselben Sachverhalt befasst!» Das führe zu riesigem Aufwand und zu einem Rattenschwanz von juristischen und praktischen Problemen. «Welcher Staatsanwalt darf einen Zeugen zuerst einvernehmen? Kann man einem Zeugen zumuten, zu den genau gleichen Fragen vier Mal einvernommen zu werden?», fragt Umbricht.

Hoffentlich nimmt das Bundesgericht den Fall zum Anlass, um ein Präjudiz darüber zu fällen, wann solche Verfahren von ausserordentlichen, allenfalls ausserkantonalen Staatsanwälten geführt werden müssen. Der Entscheid dürfte demnächst fallen.

Wie die AKW-Aufsicht Bürger abwimmelt

Ein Bürger will wissen, wieso ein Strafverfahren gegen Verantwortliche des AKW Gösgen wegen einer unterlassenen Meldung eines Störfalls eingestellt wurde. Das Bundesamt für Energie verweigert die Einsicht in die Einstellungsverfügung – der Bürger habe kein schutzwürdiges Interesse.

Am 24. Juni 2008 fallen alle vier 48-Volt-Gleichrichter des Notstandsystems im Kernkraftwerk Gösgen (KKG) aus. Der Störfall wird behoben, aber erst acht Monate später dem Eidgenös­sischen Nuklearsicherheits­inspektorat (Ensi) gemeldet. Das Gesetz verlangt aber eine Meldung innert 24 Stunden. Deshalb reicht das Ensi Straf­anzeige wegen Meldepflichtverletzung gegen die Betreiber des Kernkraftwerks ein.

Doch ohne Erfolg: Das Bundesamt für Energie stellt das Strafverfahren Anfang Juli 2011 ein. Es könne «nicht festgestellt werden, ob und wann von welchen Mitarbeitenden des KKG ein meldepflichtiges Ereignis hätte angenommen werden müssen».

Mehr steht nicht in der Pressemitteilung des Bundesamts. Spätestens seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima weiss man, wie wichtig Aufsichtsbehörden und die Aufsicht über Aufsichtsbehörden von Kernkraftwerken sind. Deshalb will Marco Zurfluh* die ganze Begründung der Einstellungsverfügung erfahren. Nur so lässt sich kontrollieren, ob die Aufsichtsbehörden sorgfältig arbeiten und ob sie über alle nötigen rechtlichen Mittel verfügen, um eine effektive Kon­trolle auszuüben.

Doch Zurfluhs Gesuch wird vom Bundesamt für Energie abgeblockt: Er habe als einfacher Bürger kein schutzwürdiges Interesse an einer Einsicht in das Dokument. «Von einem Reaktorunfall wäre ich aber sehr wohl betroffen», kritisiert Zurfluh diese Argumentation.

Weil Medien ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in Einstellungsverfügungen grundsätzlich zuerkannt wird, hat  der Beobachter ein Einsichtsgesuch gestellt und das entsprechende Dokument erhalten. Die AKW-Spezialisten prüfen nun die Begründung. Fortsetzung folgt.

Im Nachhinein mailte das Bundesamt für Energie Zurfluh übrigens, er solle doch nochmals ein Gesuch stellen und dartun, dass er im Gefahrenperimeter wohne – dann könne die Einsicht vielleicht gewährt werden. Dass Zurfluh in Küsnacht wohnt und deshalb bei einer Katastrophe gefährdet wäre, hätte das Bundesamt bereits beim ersten Gesuch am Briefkopf unschwer ablesen können.

* Name geändert