Jugendliche härter bestraft als Erwachsene

Ab 1. Oktober 2013 werden Erwachsene, die nicht mehr als 10 Gramm Cannabis bei sich tragen, nur noch mit einer Ordnungsbusse in der Höhe von 100 Franken bestraft. Es gibt weder eine Verzeigung noch ein ordentliches Strafverfahren. Mit dieser Änderung des Betäubungsmittelgesetzes sollen Polizei und Justiz entlastet und Kosten gespart werden.

Damit behandelt die Schweiz in Zukunft geringfügigen Cannabiskonsum ähnlich wie eine Verkehrsbusse und macht einen Schritt in Richtung Legalisierung. Aber nur für Erwachsene. Jugendliche unter 18 Jahren werden bei Cannabiskonsum weiterhin in einem ordentlichen Verfahren nach  Jugendstrafprozessordnung beurteilt. (Die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit wollte das  Ordnungsbussenverfahren bereits ab 16 Jahren zulassen; erst in der nationalrätlichen Beratung wurde das Alter auf 18 Jahre erhöht.)

Dass Jugendliche schärfer bestraft werden als Erwachsene ist ungewöhnlich. Das Jugendstrafrecht führt in der Regel zu milderen Strafen. „Die unterschiedliche Behandlung halte ich für völlig uneinsichtig und auch inkonsistent“, meint denn auch der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli.

Anders sieht es sein Zürcher Kollege und SP-Nationalrat Daniel Jositsch: „Etwas Systemwidriges sehe ich da nicht“, sagt er. Man könne bezüglich Stafbarkeit von Drogenkonsum geteilter Meinung sein. „Der Gesetzgeber hat bei den Jugendlichen einen höheren Schutz gewollt.“

Höhere Strafe als höherer Schutz? Das werden Jugendliche anders sehen. Sicher ist, dass Cannabis weiterhin anders behandelt wird als Alkohol. Bei Alkohol sieht das Gesetz Verkaufsverbote vor, um die Jugendlichen zu schützen. Bestraft werden nicht die Jugendlichen, sondern nur die Händler, die Alkohol an Minderjährige  abgeben.

Wildwest am Kantonsgericht Schaffhausen

Die Schaffhauser Kantonsrichter verweigern einer Journalistin Einsicht ins Dispositiv und in die Akten eines wichtigen Urteils. Zudem haben sie es offenbar nicht geschafft, die korrekte rechtliche Grundlage für die Weiterleitung eines Entscheides ans Gesundheitsamt zu finden.

Eine Journalistin von Radio Munot wollte Mitte März 2013 beim Kantonsgericht Schaffhausen Einsicht in ein rechtskräftiges Urteil nehmen, in dem das Gericht einen Physiotherapeuten wegen mehrfacher sexueller Nötigung und sexueller Belästigung zu 22 Monaten bedingt verurteilte. Die Journalistin erhielt Dispositiv und Akten des Urteils zuerst von einem Mitarbeiter des Sekretariats ausgehändigt, drei Minuten später kam der zuständige Richter des Falls und nahm ihr die Unterlagen wieder weg – sie müsse ein schriftliches Gesuch stellen (eine Mustervorlage für Einsicht in Urteilsdispositive bei renitenten Gerichten findet man in diesesm Musterbrief_Urteil_ausführlich). Eine schriftliche Begründung des Urteils hat das Gericht nicht verfasst, da dies niemand innert Frist verlangt hatte.

Doch die Geschichte entwickelte sich weiter: Das Gesundheitsamt des Kantons Schaffhausen wollte der Journalistin zuerst keine Auskunft geben, ob der Physiotherapeut noch immer über eine Praxisbewilligung verfüge. Datenschutz, war hier das Argument. Erst nach einem Anruf beim Leiter des Gesundheitsamtes erhielt die Journalistin Antwort: Der Physiotherapeut habe eine Praxisbewilligung. Vom Entscheid des Kantonsgerichts wisse man nichts.

Damit war klar: Das Kantonsgericht hatte das Urteil nicht weitergeleitet. Die Nicht-Information des Amts begründete der zuständige SVP-Gerichtspräsident Markus Kübler damit, dass der Verurteilte seine Taten nicht als Physiotherapeut, sondern als Pfleger begangen habe, und dass das Gericht «keinen begründeten Anlass zur Prüfung weiterer Massnahmen» sah. Denn zum Zeitpunkt des Urteils habe der Verurteilte schon seit längerem nicht mehr als Pfleger gearbeitet, sondern im Bau.

Doch die Arbeit auf dem Bau zum Zeitpunkt des Urteils hätte der Verurteilte schon eine Woche nach der Verurteilung abbrechen und wieder als Physiotherapeut arbeiten können, ohne dass das Gericht davon erfahren hätte. Nicht die mögliche Zukunft des Verurteilten, sondern alleine das Urteil und die Schwere der Tat in Zusammenhang mit der Praxisbewilligung muss Grundlage des Entscheides der Meldung ans Gesundheitsamt sein. Dann ist am Gesundheitsamt, die Konsequenzen zu beurteilen. Es kann nicht sein, dass das Kantonsgericht aus falsch verstandenem Täterschutz die Abwägungen selber trifft, die das Gesundheitsamt vornehmen müsste.

In Artikel 74 Abs. 2 des Schaffhauser Justizgesetzes steht denn auch klipp und klar: „Die Strafbehörden haben die zuständigen Verwaltungsbehörden zu benachrichtigen und ihnen zweckdienliche Unterlagen zu übermitteln, wenn sich in einem Strafverfahren begründeter Anlass zur Prüfung ausserstrafrechtlicher Massnahmen ergibt.“

Nun untersucht die Justizkommission des Schaffhauser Kantonsrates die Praxis des Kantonsgerichts, denn dessen Reaktion zeigt, dass wohl weitere wichtige Informationen nicht ans Gesundheitsamt gelangten und somit Medizinalpersonen praktizieren, die eigentlich keine Bewilligung mehr haben dürften.

Der Fall illustriert exemplarisch, wie geheimniskrämerisch Gerichte Entscheide von der Öffentlichkeit abschirmen. Da muss definitiv ein Umdenken passieren. Das Ende der Omerta in der Justiz ist angesagt.

Die eindrückliche Berichterstattung von Radio Munot:

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Kraftausdrücke auf Facebook schlimmer als am Stammtisch

Zur Zeit wird in unserer Gesellschaft verhandelt, welche Bedeutung eine Äusserung auf sozialen Netzwerken hat. Ist sie vergleichbar mit einem Spruch am Stammtisch oder wie eine offizielle Publikation? Die Schweizer Justiz geht andere Wege als die britische.

Das Bezirksgericht Zürich hat am 3. Dezember 2012 einen 22jährigen Gymnasiasten wegen „Schreckung der Bevölkerung“ (Art. 258 StGB) zu einer unbedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen à 10 Franken verurteilt. Wie der Tages-Anzeiger berichtete, sass der junge Mann an seinem Geburtstag frustriert vor seinem Computer. Auf seinem Facebook-Profil kündigte er seinen 290 «Freunden» an, dass er es ihnen zurückzahlen werde, wenn sie sich heute nicht über seine Geburt freuen würden. Das sei keine Frage der Freundlichkeit, sondern eine Frage von Respekt und Ehre. Jetzt könne sie niemand mehr schützen. «Päng, Päng, Päng», beendete er seine Statusmeldung.

Ein Mitschüler meldete dies dem Schulleiter, und der Schulleiter erstattete Anzeige. Der junge Mann beteuerte, es sei ein Witz gewesen. Er hätte es nie wahrgemacht. Ein Gutachter bezeichnete ihn als „nicht gefährlich“. Die Richter verurteilten ihn, obwohl sie ihm glaubten, dass er nie zur Tat geschritten wäre. Aber die Äusserung sei geeignet gewesen, die Öffentlichkeit zu erschrecken.

Was also am Stammtisch ein blöder Spruch ist, ist auf Facebook eine Straftat. Daran werden sich Schweizerinnen und Schweizer erst gewöhnen müssen.*

Ganz anders sieht der Direktor der britischen Staatsanwaltschaft, Keir Starmer, am 19. Dezember 2012 die Problematik. Er setzte gemäss NZZ sehr hohe Hürden für Staatsanwälte fest, gegen Äusserungen auf Internetforen wie Twitter oder Facebook vorzugehen. Blosse Beleidigungen, schockierende oder verstörende Äussserungen zählten in der Regel nicht als Klagegründe, empfiehlt er seinen Untergebenen in einer offiziellen Richtline. Es spielt gemäss seinen Leitsätzen keine Rolle, wie geschmacklos oder schmerzhaft solche Aussagen für Einzelne sein könnten. Die Staatsanwälte sollen lediglich gegen Äusserungen im Interent vorgehen, wenn diese eine glaubwürdige Androohung von Gewalttaten gegen Personen oder Sachen entahlten.

Die Richtlinien stiessen in Grossbritannien auf breite Unterstützung. Für Aufsehen hatte der Fall des Bürgers Paul Chambers gesorgt, der im Januar 2010 auf Twitter schrieb: „Mist der Flughafen Robin Hood ist geschlossen. Ihr habt eine Woche Zeit, um eure Angelegenheiten zu ordnen, oder ich blase den Flughafen in die Luft.“ Ein Strafgericht verurteilte ihn wegen dieser Drohung, doch diesen Sommer hob es der Präsident der Gerichte in England und Wales mit der Begrüdung auf, Chambers habe offensichtlich nur dumm herumgealbert.

Staatsanwälte, Gerichte und Gesellschaft sind also in Europa noch arg auf der Suche, wie Social-Media-Äusserungen zu werten sind.

*Nachtrag vom 3. Mai 2015: Das Bundesgericht hat den Fehlentscheid des Zürcher Bezirksgerichts (und nachfolgend des Zürcher Obergerichts) korrigiert und den Betroffenen freigesprochen. Facebook sei nicht mit der Öffentlichkeit gleich zu setzen.

„Bergier-Kommission“ zu fürsorgerischen Zwangsmassnahmen

Der Entwurf für ein Gesetz zur Rehabilitierung administrativ Versorgter sieht eine Art Bergier-Kommission zur Sozialhilfepolitik der Schweiz von 1940 bis 1981 vor. Ein grosser Fortschritt – auf einem langen Weg.

Ende letzter Woche hat das Parlament das Gesetz zur Rehabillitierung administrativ Versorgter  (Rehabilitierung_Erlassentwurf_de) in die Vernehmlassung geschickt (läuft bis 22. Februar 2013). Das Gesetz wurde mit 17 zu 5 Stimmen von der Rechtskommission verabschiedet. Auf Distanz ging die SVP.

Das Gesetz ist ein grosser Schritt vorwärts:

– Es spricht von Rehabilitierung statt nur von Anerkennung von Unrecht und springt damit über den formaljuristischen Schatten (Der Begriff der Rehabilitierung ist für die Aufhebung von Urteilen reserviert. Hier fehlen aber gerade Gerichtsentscheide. Das ist gerade das Problem).

– Es sieht eine Historikerkommission à la Bergier-Kommission vor – und nicht bloss ein weiteres Programm des Nationalfonds. Das ist – wenn es durchkommt – eine ziemliche Sensation! Denn so erhält die Untersuchung der Sozialpolitik der Schweiz mit ihren dunklen Seiten der fürsorgischen Zwangsmassnahmen das nötige Gewicht und hat eine Chance, ins kollektive Bewusstsein der Schweizer Eingang zu finden. Danach müssten die Erkenntnisse aber auch in der Dauerausstellung des Landesmuseum und in den Schulbüchern Aufnahme finden.

Negativ am Entwurf ist, dass das eigentliche Unrecht verniedlicht wird, indem das Parlament den damaligen Behörden einen Persilschein ausstellt – dabei haben sich die damaligen Vormundschaftsbehörden zwar (teilweise) ans schwammig formulierte Gesetz gehalten, aber aus heutiger Sicht Kerngehaltsverletzungen von Grundrechten begangen. Das sind qualifizierte Rechtsverletzung. Das kommt im Entwurf leider nirgends zum Ausdruck.

Wichtig ist, dass die Kantone nicht davon abgehalten werden, finanzielle Wiedergutmachungen, die Einrichtung einer Anlaufstelle oder einen Härtefallfonds weiter zu prüfen. Die Konferenz der Kantone und die Sozialdirektorenkonferenz haben auf diesem nötigen Weg bereits ermutigende Schritte getan.

Abgekürztes Verfahren in Deutschland in der Kritik

Spannende Story in der Süddeutschen Zeitung: Mit der „Erforschung der Wahrheit“ nehmen es viele Richter in Deutschland nicht so genau. Mehr als die Hälfte von ihnen greift laut einer Umfrage in Strafprozessen bevorzugt zum informellen „Deal“, der strafmildernden Abmachung zwischen Anklage und Verteidigung.

Dabei akzeptieren die Richter Anwälten zufolge häufig falsche Geständnisse. Mehr als die Hälfte der in einer Studie befragten Rechtsanwälte berichtet von wahrscheinlichen Falschgeständnissen ihrer Mandanten, um bei einem Deal mit einer niedrigeren Strafe davonzukommen.

Wie das wohl in der Schweiz mit dem abgekürzten Verfahren ist? Das wäre mal eine Umfrage wert. Welcher Rechtsprofessor nimmt sich der Sache an? Welcher Journis macht sich dahinter?

Strafrecht bringt Geld für Hilfsorganisationen

Gemeinnützige Organisationen profitieren vom neuen Strafrecht: 2010 erhielten sie drei Millionen Franken aus Wiedergutmachungszahlungen.

Plötzlich eine Million Franken auf dem Postcheckkonto – wer wünscht sich das nicht. Für die Schweizer Patenschaft für Berggemeinden wurde der Wunsch Realität. Am 15. Oktober 2010 rieb sich Barbla Graf, Geschäftsleiterin der Hilfsorganisation, die Augen: Da liegt eine neue Million auf dem Konto. Erst aus der Presse erfährt Graf, dass der Geldsegen vom russischen Milliardär Viktor Vekselberg sowie den beiden Investoren Ronny Pecik und Georg Stumpf stammt.

Die Patenschaft für Berggemeinden wie auch die Schweizer Berghilfe erhielten von den drei Financiers jeweils eine Million Franken. Dazu überwies das Trio acht Millionen ans Eidgenössiche Finanzdepartement (EFD). Dies aber nicht freiwillig: Mit dieser Geldsumme kauften sich die drei Beschuldigten von einem Strafverfahren wegen Börsendelikten frei. Das EFD stellte darauf das Verfahren wegen Wiedergutmachung (Art. 53 Strafgesetzbuch) ein.

«Wir haben uns über das Geld natürlich gefreut», meint Barbla Graf von der Patenschaft für Berggemeinden. «Woher das Geld stammt und weshalb es gezahlt wurde, stört uns nicht. Es ist Geld wie jedes andere auch.» Bemerkenswert ist das Resultat dennoch: Ein russischer Milliardär und zwei österreichische Investoren unterstützen nun also Wasserversorgungen, Kindergärten und Lawinenverbauungen in Schweizer Berggemeinden, weil sie bei der Übernahme der Firma Sulzer Anlass zu einer Strafuntersuchung wegen Meldepflichtverletzungen gaben.

Auf diese Art hat das EFD in den letzten neun Monaten drei weitere Verfahren erledigt: gegen die Unternehmer Giorgio Behr und Dieter Meier sowie gegen die Firma Laxey/Implenia. Insgesamt flossen 9,25 Millionen Franken an Wiedergutmachungszahlungen in die allgemeine Bundeskasse und zusätzliche drei Millionen an gemeinnützige Organisationen.

Ein gutes Geschäft für alle also. Werden diese strafrechtlichen Ablasszahlungen nun also zum Normalfall? «Nein», sagt EFD-Mediensprecher Roland Meier, «wir wenden diese Art von Einstellung von Strafverfahren zurückhaltend und nur auf Initiative der Beschuldigten an». Die Wiedergutmachungszahlungen liegen gemäss Meier zudem im oberen Bereich realistischer Bussen, die bei einer Verurteilung zu erwarten gewesen wären.

Dass die Wiedergutmachung Ausnahme und nicht Regel ist, bestätigt auch die Statistik: Von Oktober 2010 bis Juni 2011 hat das EFD 14 Strafanzeigen wegen Widerhandlungen gegen das Börsengesetz eingereicht, davon nur zwei wegen Wiedergutmachungen eingestellt und erste Bussen ausgesprochen.

Checkbuchjustiz adé?

Zwei parlamentarische Vorstösse fordern die Streichung oder die Beschränkung der Wiedergutmachung im Schweizer Strafrecht.

Fifa-Funktionäre kauften sich für 5,5 Millionen, Milliardär Viktor Vekselberg und Partner für 10 Millionen und Ex-Armeechef Roland Nef für eine unbekannte Summe von Strafverfahren frei. Das hat nun Folgen: Nationalrat Rudolf Joder (SVP) verlangt mit einer parlamentarischen Initiative die Streichung von Artikel 53 des Strafgesetzbuches, der dies ermöglicht. Ratskollege Daniel Vischer (Grüne) will den Artikel mit einer Motion massiv einschränken: Freikaufen dürfe sich ein Täter nur, wenn er geständig ist und eine Strafe von weniger als 12 Monaten zu erwarten hat (derzeit 24).

Dies forderten die Strafverfolger bereits im August 2009 in einer Umfrage des Justizdepartements. Das Zürcher Obergericht hielt damals fest, der Artikel «bevorzugt wirtschaftlich potente Beschuldigte». Trotzdem fand Art. 53 StGB nicht Eingang in die laufende Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches.

Die Resultate der damaligen Umfrage sind eine Fundgrube für alle politisch interessierten Strafrechtler. Ein guter Überblick dazu gibt auch die Zusammenfassung des EJPD.

Alle Vergewaltiger zwingend ins Gefängnis?

In einem Kommentar zur Strafrechtsrevision forderte ich unlängst von den Richtern, Medien und Strafrechtsprofessoren, dass sie Strafurteile besser erklären sollen. Und schrieb dann den Satz: „Dann versteht die Bevölkerung vielleicht, weshalb ein Vergewaltiger, der in der Trennungsphase ein Nein seiner Partnerin missachtet und alkoholisiert den Beischlaf erzwingt,  unter Umständen mit einer bedingten Strafe davonkommt, während ein Vergewaltiger, der sein Opfer aus dem Busch heraus anfällt, in der Regel drei Jahre unbedingt ins Gefängnis wandert. Diese Unterscheidung gebietet das Schuldstrafrecht, obwohl beide Male eine Vergewaltigung vorliegt.“

Damit geriet ich ins Kreuzfeuer der Kritik eines Lesers und Bloggers. Der Vorwurf: „Vergewaltigung ist kein Kavaliersdelikt, das unter ‚verständlichen Umständen‘ bloss mit bedingter Freiheitsstrafe belegt werden sollte.“

Ich kann die Aufregung verstehen. Sie wirft ein grundsätzliches Licht auf die aktuelle Strafrechtsdebatte. Rasch schnellt der Moralfinger empor. Jeder ist der beste Richter. Aber ganz vergessen geht, dass das Strafrecht seit Jahrhunderten darum ringt, wie man am besten straft. Diese kulturelle Errungenschaft unseres Strafrechts wird heute leider zu wenig verstanden.

Unser Strafrecht verlangt, dass der Richter schaut, was im Kopf des Täters, hier also des Vergewaltigers, vorgegangen ist, salopp gesagt, ob seine kriminelle Energie gross oder klein ist.

Und deshalb muss ein Richter differenzieren zwischen dem nur für die Ex-Partnerin gefährlichen „Trennungsvergewaltiger“ und dem für alle Frauen gefährlichen „Busch-Vergewaltiger“.

Zudem ist die Gefahr gering, dass der Trennungsvergewaltiger rückfällig wird. Will man wie der Leser  und der Blogger fordern, dass alle Vergewaltiger unbesehen von den Umständen und dem Verschulden ihrer Tat unbedingt ins Gefängnis gesteckt werden müssen, steckt man 90 Prozent der Leute ins Gefängnis, die nicht rückfällig werden würden. Die Rückfallrate liegt nämlich bei 10 Prozent. 90 Prozent der Straftäter sässen also im Gefängnis, ohne dass sie draussen eine Gefahr für die Frauen wären.

Zudem ist die Abschreckungswirkung einer zwingend unbedingten Gefängnisstrafe für Vergewaltiger nicht wesentlich besser als wenn es auch bedingte gibt: Täter überlegen sich vor einer Tat nicht, wie viel Gefängnis für welches Delikt droht. Da sind die konkreten unmittelbaren Umstände viel bestimmender und die sind jenseits von Rationalität und Logik.

Eine unbedingte Strafe für den Ex-Partner würde vielleicht der Ex-Partnerin etwas bringen. Sie würde vor allem aber das Rachebedürfnis der Bevölkerung befriedigen.

Aber da Frage ich mich: Ist Rache ein guter Gesetzgeber?