Einstellungsverfügung im Fall Nef

Die Einstellungsverfügung im Fall Nef zeigt: Wer zahlt, kann sich viel zu einfach von einem Strafverfahren freikaufen. Deshalb muss dringend das Strafgesetz geändert werden.

Jetzt ist sie öffentlich, die Einstellungsverfügung im Fall Nef. Es sind sechs Seiten. Darin begründet die Zürcher Staatsanwältin Judith Vogel, weshalb sie das Strafverfahren wegen sexueller Belästigung, Nötigung und Pornographie gegen Armeechef Roland Nef im Oktober 2007 eingestellt hat. Nef hat sich mehr als zwei Jahre lang dagegen gewehrt, dass dieses Papier öffentlich wird.

Und jetzt wird klar: Es steht fast nichts Neues drin. Weder die Summe, die Nef dem Opfer – seiner Ex-Partnerin – als Wiedergutmachung gezahlt hat, noch Details zur Strafuntersuchung selbst. Aufhorchen lässt einzig, dass Nef „in Würdigung aller Gesamtumstände noch mit einer bedingten Strafe rechnen hätte können“.

Im Klartext: Die Vorwürfe haben sich in der Strafuntersuchung offenbar erhärtet. Nef hat seine Ex-Partnerin „mittels Mobiltelefonen, Briefen und SMS, meist sexuellen Inhalts, sowie durch die Zusendung von Sex-Zeitschriften und einer ebensolchen DVD belästigt“ – 18 Monate lang. Zudem hat er offenbar im Namen der Ex-Partnerin auf Sex-Inserate geantwortet. Das Ganze war so schlimm, dass in den Augen der Staatsanwältin eine bedingte Strafe gerade noch drinlag.

Offenbar war es also ein schwerer Fall von Nötigung. In solchen Fällen will das Gesetz, dass ein Strafverfahren durchgeführt wird – egal, ob das Opfer dies möchte oder nicht. Solch schwere Straftaten sollen einfach geahndet werden, weil ein grundsätzliches öffentliches Interesse daran besteht, dass solche Täter nicht ohne Strafe herumlaufen können. Deshalb sind Delikte wie Nötigung oder Pornographie Offizialdelikte, und der Staat muss von Amtes wegen ermitteln. So will es der Gesetzgeber.

Einzige mögliche Ausnahme: Wenn der Täter Wiedergutmachung geleistet hat und „das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung gering ist“ (Art. 53 StGB).

Staatsanwältin Judith Vogel wischt die Frage, ob dies bei Nef zutrifft, mit einem einzigen Satz vom Tisch: „Die strafbaren Handlungen richteten sich nicht gegen eine Vielzahl von Menschen, sondern gegen eine bestimmte Person, und diese hat eine ausdrückliche Desinteresseerklärung abgegeben.“ Darum sei das Interesse an einer Strafverfolgung gering.

Im Klartext heisst das: Das Opfer kann bestimmen, ob der Staat einen Täter vor Gericht bringen soll – selbst bei Nötigung und Pornographie. Und wenn der Täter genug zahlt, kommt er nicht vor Gericht. Offizialdelikte werden so zu Antragsdelikten mit Kostennote.

Das darf nicht sein. Vordringliche Aufgabe von Staatsanwälten ist es, Täter vor Gericht zu bringen, wenn sich ein Verdacht auf ein schweres Delikt erhärtet. Wenn Art. 53 trotzdem die Einstellung ermöglicht, muss dies erstens zurückhaltend angewendet und zweitens ausführlich begründet werden.

Ansonsten kann man sich allzu leicht von Strafverfahren loskaufen – was Reichen möglich ist, Armen hingegen nicht. Für eine solche Klassenjustiz gibt es bereits Anzeichen: Der Milliardär Viktor Vekselberg konnte sich unlängst zusammen mit Mitangeklagten von einem Strafverfahren wegen Börsenvergehen freikaufen – für 10 Millionen Franken. Die Fifa konnte dank einer Zahlung von 5,5 Millionen Franken ein Verfahren gegen zwei ausländische Mitarbeiter beilegen, die Schmiergelder empfangen hatten. Und Carl Hirschmann, am Pranger wegen Körperverletzung, einigte sich dank einer Wiedergutmachung in unbekannter Höhe ebenfalls ohne vors Gericht stehen zu müssen.

Deshalb ist der Entscheid des Bundesgerichts so wichtig: Medien können nun kontrollieren, wie die Staatsanwälte in solchen Fällen genau entscheiden. Auch wenn bei so rudimentär begründeten Entscheiden wie im Fall Nef kaum eine vertiefte Kontrolle möglich ist. Wenigstens wird deutlich, wie einfach Täter sich freikaufen können.

Und wie schnell das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung auf der Strecke bleibt, denn es ist bei den Staatsanwälten in schlechten Händen. Die Untersuchungsbehörden haben nämlich ein Interesse, dass Fälle eingestellt werden, wenn der Täter zahlt: So gehts schnell, so ist man effizient, so steigert man die Erledigungszahlen und wird Ende Jahr gelobt. Der Gesetzgeber hat den Strafverfolgern kaum Schranken gesetzt: Bei Strafen bis zu 24 Monaten bedingt besteht diese Möglichkeit. Also auch bei schweren Körperverletzungen, Betrug, Vergewaltigungen.

Darum muss jetzt dringend das Parlament über die Bücher und den Artikel 53 des Strafgesetzbuchs abschaffen oder in der Anwendung einschränken.

Einstellungsverfügung und Bundesgerichtsentscheid sind aufgeschaltet unter www.beobachter.ch