Heikle Kommunikation mit der Bundesanwaltschaft

Stellen Medienschaffende einem Staatsanwalt Fragen, müssen sie künftig damit rechnen, dass ihre Kommunikation in den Verfahrensakten landet und so auch mutmasslichen Tätern bekannt wird. Das hat das Bundesstrafgericht entschieden. Wie es dazu kam, wie Redaktionsgeheimnis und Persönlichkeitsschutz trotzdem gewahrt werden können und weshalb Journalisten jetzt anfechtbare Verfügungen verlangen müssen.

Gemäss Bundesstrafgericht gehören Medienanfragen zu den Verfahrensakten und müssen den Parteien herausgegeben werden. Der Grund: Wenn eine Strafverfolgungsbehörde in der Kommunikation mit Medienschaffenden die Unschuldsvermutung verletze, könne dies ein Strafminderungs- und ein Befangenheitsgrund darstellen. Deshalb sei die Korrespondenz für das Verfahren relevant und offen zu legen. Aus diesem Grund wies das Bundesstrafgericht im April 2016 die Bundesanwaltschaft an, einem Anwalt und seinem Mandanten die Korrespondenz mit Journalisten zugänglich zu machen (BB.2015.128 20160428_BB_2015_128).

Das Bundesstrafverfahren dreht sich um einen ehemaligen Vertreter der Atomenergiebehörde der Ukraine, der verdächtigt wird, Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe kassiert und in der Schweiz deponiert zu haben. Das Bundesstrafgericht liess in diesem ersten Entscheid ausdrücklich offen, ob die Namen der Journalisten abgedeckt werden dürfen. Die Bundesanwaltschaft hatte nämlich gewarnt, dass viele Journalisten in bestimmten Ländern – u.a. in der Ukraine – ihre Arbeit nicht mehr sinnvoll und gefahrlos verrichten können, wenn die Namen und die konkreten Anfragen standardmässig Eingang ins Aktendossier finden würden.

Nach diesem ersten Entscheid des Bundesstrafgerichts gab die Bundesanwaltschaft dem Anwalt nur ihre Sprachregelungen («Wordings») heraus, die Staatsanwalt und Medienbeauftragte für allfällige Medienanfragen erstellt hatten. Die konkreten Anfragen der Journalisten und deren Namen legte sie hingegen nicht offen. Der Eingang einer E-Mail eines Journalisten könne nicht dazu geeignet sein, die Unschuldsvermutung zu verletzen, meinten die Strafverfolger des Bundes.

Doch auf Beschwerde des Anwalts hin rüffelte das Bundesstrafgericht die Bundesanwaltschaft erneut: Es «ist jede Korrespondenz mit den Journalisten betreffend das Strafverfahren in die Strafakten aufzunehmen unabhängig davon, ob sie eine anfragespezifische Antwort oder eine Standardantwort (…) enthält. Selbstredend sind dabei, soweit vorhanden, die Originalurkunden und im Fall von E-Mail-Verkehr etc. die unveränderten Ausdrucke in die Akten aufzunehmen», schrieb das Gericht in seinem Urteil vom 19. Dezember 2016 (BB.2016.270 BStG 2016-12-19_BB_2016_270).

Die Bundesanwaltschaft prüft nun, wie sie das Urteil konkret umsetzen soll. «Der Entscheid ist für alle beteiligten Akteure eine Herausforderung», meint Mediensprecher André Marty. Bei der Medienarbeit der Bundesanwaltschaft seien verschiedene, teilweise gegenläufige Interessen zu beachten: Persönlichkeitsschutz, der Opfer- sowie Täterschutz, die Verfahrenstaktik, das öffentliche Informationsbedürfnis und die Verhältnismässigkeit. «Es besteht eine Pflicht zur Abwägung aller Interessen im Einzelfall.»

Auch rechtlich sind die zentralen Fragen nicht beantwortet: Zwar weist das Bundesstrafgericht die Bundesanwaltschaft unmissverständlich an, «Originaldokumente und im Falle von E-Mail-Verkehr etc. die unveränderten Ausdrucke in die Akten aufzunehmen». Doch die Bundesanwaltschaft muss bei der Akteneinsicht gemäss Strafprozessordnung die erforderlichen Massnahmen treffen, um «berechtigte Geheimhaltungsinteressen zu schützen» (Art. 102 Abs. 1 StPO) und kann das rechtliche Gehör einschränken, wenn es «für die Sicherheit von Personen oder zur Wahrung öffentlicher oder privater Geheimhaltungsinteressen erforderlich ist.» (Art. 108 Abs. 1 Bst. b StPO). Zudem muss sie die Medienfreiheit und das daraus abgeleitete Redaktionsgeheimnis (Art. 17 BV, Art. 10 EMRK) berücksichtigen. Gestützt darauf können die Strafverfolger des Bundes im konkreten Fall Namen und Textstellen einschwärzen, die Rückschlüsse auf Journalisten und Informanten möglich machen würden.

Juristisch stehen die Urteile des Bundesstrafgerichts auf wackligen Füssen. Zum einen ist zweifelhaft, ob Medienanfragen überhaupt ins Verfahrensdossier gehören. Denn gemäss Strafprozessordnung sind Teil der Akten nur Verfahrens- und Einvernahmeprotokolle, von der Strafbehörde zusammengetragene und von den Parteien eingereichte Akten (Art. 100 StPO). Medienanfragen gehören in keine der drei Kategorien. Zum andern hat sich das Gericht mit keinem Wort mit dem verfassungsmässigen Recht der Medienfreiheit und dem darin enthaltenen Redaktionsgeheimnis auseinandergesetzt (Art. 17 BV, Art. 10 EMRK). Gestützt auf dieses Menschenrecht verlangt der europäische Gerichtshof für Menschenrechte von Behörden, dass sie Massnahmen unterlassen, die Medienschaffende von Anfragen abhalten, weil diese Nachteile befürchten («chilling effects»). Genau das könnte mit dem Entscheid des Bundesstrafgerichts eintreten. Leider gibt es gegen die beiden Urteile des Bundesstrafgerichts kein Rechtsmittel. Sie sind endgültig und können nicht ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Ein betroffener (ukrainischer oder Schweizer) Journalist könnte aber in einem separaten Verfahren verlangen, dass sein Name abgedeckt und der Wortlaut der Anfrage geschwärzt wird, wenn Rückschlüsse auf Quellen möglich sind. Er kann dies zum Beispiel über Ansprüche des Datenschutz- oder des Verwaltungsverfahrensgesetzes beantragen (zB. Art. 25 VwVG) und sich dabei auf die oben genannten Artikel der Strafprozessordnung, die Medienfreiheit und den Persönlichkeitsschutz berufen.

Was bedeuten die beiden Urteile des Bundesstrafgerichts für künftige Anfragen von Medienschaffenden an Strafverfolgungsbehörden?

  1. Bei Anfragen an die Bundesanwaltschaft müssen sich Journalisten in Zukunft den Wortlaut sehr sorgfältig überlegen, damit keine Rückschlüsse auf Quellen möglich sind. Zudem sollten sie – gestützt auf die Medienfreiheit – standardmässig verlangen, dass ihre Anfragen nicht in den Verfahrensakten abgelegt werden oder ihr Name und die zentralen Teile der Anfragen eingeschwärzt werden. Für den Fall, dass dies nicht gewährt wird, sollten Medienschaffende vorsorglich bereits mit der Anfrage eine anfechtbare Verfügung verlangen. Nur so erfahren Journalisten, wie ihre Anfragen behandelt werden, denn eine allfällige Herausgabe an Parteien wird ihnen nicht mitgeteilt. Und nur so kann man die Frage vom Bundesgericht und schliesslich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überprüfen lassen.
  1. Vom Wortlaut her betreffen die Urteile des Bundesstrafgerichts nur «Korrespondenz» und «E-Mail-Verkehr» mit Journalisten. Es wäre aber blauäugig, daraus zu schliessen, dass telefonische Anfragen nicht bekannt gegeben werden müssen. Denn auch diese Anfragen werden von Strafverfolgungsbehörden meist per Aktennotiz erfasst und abgelegt. Die Argumentation des Bundesstrafgerichts würde auch diese umfassen.
  1. Bis jetzt hat nur das Bundesstrafgericht die Offenlegung von Medienanfragen verlangt. Damit gilt diese Praxis nur bei Strafverfahren, die von diesem Gericht beurteilt werden, also bei so genannten Bundesstrafsachen: etwa Straftaten von oder gegen Bundesbeamte, Sprengstoffdelikte sowie Fälle von Wirtschaftskriminalität, organisiertem Verbrechen und Geldwäscherei mit interkantonalem oder internationalem Bezug. Mit solchen Strafverfahren können auch kantonale Strafbehörden betraut sein.
  1. Bei normalen Strafverfahren von kantonalen Staatsanwaltschaften entfaltet das Urteil des Bundesstrafgerichts keine direkte Wirkung. Gut möglich aber, dass ein Anwalt auch in einem normalen Strafverfahren Einsicht in die Korrespondenz der Staatsanwaltschaft mit Journalisten verlangt unter Verweis auf den Enscheid des Bundesstrafgerichts. Vorsichtshalber sollte also Punkt 1 auch in solchen Verfahren beachtet werden. Wie dann die kantonalen Gerichte und schliesslich Bundesgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden, ist auch nach den beiden Urteilen des Bundesstrafgerichts offen, weil diese Instanzen nicht an die Entscheide des Bundesstrafgerichts gebunden sind.

Nachtrag vom 4. Mai 2017: Unterdessen haben zwei Tamedia-Journalistinnen die Aussonderung ihrer Anfragen aus den Verfahrensakten der Bundesanwaltschaft im obgenannten Verfahren verlangt. Die Bundesanwaltschaft hat dies mit anfechtbarer Verfügung verweigert. Beschwerden dagegen liegen seit Anfang April 2017 (wiederum) bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts.

Urs Paul Engelers Kampf für den Quellenschutz: Strafverfahren droht eingestellt zu werden.

Journalisten erfahren nie, dass ausgewertet wurde, wann, wo und wie lange sie mit einem Informanten telefoniert oder gemailt haben (sogenannter Beifang). Werden die Randdaten eines Informanten erhoben, wissen die Staatsanwälte hingegen, welcher Journalist mit wem, wann und wo digital kommuniziert hat. So wird der Quellenschutz ausgehebelt. Zwar muss ein Zwangsmassnahmegericht diese Daten aussondern, tut dies aber erst fünf Tage später – und manchmal gar nicht. Und dann sind Journalisten machtlos: Sie können solche Entscheide mangels Parteistellung nicht anfechten.

Das musste und muss der renommierte Rechercheur Urs Paul Engeler erleben: Die Staatsanwaltschaft hat all seine Recherchegespräche mit Informanten im Fall Hildebrand ausgewertet und im Strafverfahren gegen Christoph Blocher sowie in jenem gegen Rechtsanwalt Hermann Lei und den Bankangestellten Reto T. verwendet. Engeler wusste davon bis zu Prozessbeginn nichts und erfuhr es erst durch Zufall.

Darauf reichte er Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Amtsgeheimnisverletzung ein. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aber am 5. September ein. Begründung gemäss Engeler:

a) Im Falle der Publikation der Randdaten aus dem Verfahren Blocher handle es sich tatsächlich um eine Verletzung des Amtsgeheimnisses, allerdings könne jetzt nicht mehr eruiert werden, wer dafür verantwortlich sei. „Befragungen hat er, keine vorgenommen“, kritisiert Engeler.

b) Im Falle der Publikation seiner Kommunikationsinhalte mit Lei hätten Lei und dessen Anwalt Landmann ja die Einwilligung zur Verwendung im Strafverfahren gegegeben. Mithin liege da kein Verstoss gegen irgendeine Norm vor. Auf Engelers Argument, dass Lei nicht als Herr seiner Daten auftreten könne, ging der Staatsanwalt nicht ein.

Urs Paul Engeler hat die Einstellungsverfügung am 29. September angefochten und dafür einen Kostenvorschuss von 4000 Franken bezahlt. Rechtliche Hintergründe zu diesem Fall habe ich in einem früheren Blogpost geschildert. Der Fehler liegt beim Zwangsmassnahmegericht, das die Kommunikationsdaten Engelers nicht aussonderte, obwohl es dies gemäss Art. 271 Abs. 3 StPO hätte tun müssen. Eine Aufsichtsbeschwerde wäre angebracht.

Mehr zu den rechtlichen Hintergründen des Falles hier und hier.

Vorratsdatenspeicherung ist verfassungsmässig: Adieu Quellenschutz

Nationalrat Balthasar Glättli und 5 weitere Personen (darunter ich) haben die Löschung unserer Vorratsdaten verlangt. Der Dienst ÜPF hat sie verweigert.  Nun hat das Bundesverwaltungsgericht unsere Beschwerde abgewiesen. Die Speicherung von Randdaten sei vereinbar mit der persönlichen Freiheit, der Meinungs-, Medien- und Versammlungsfreiheit und der Unschuldsvermutung.

Ich verlangte die Löschung unter anderem, weil der Quellenschutz ausgehebelt wird, wenn die Randdaten meiner digitalen Kommunikation sechs Monate lang gespeichert werden. Damit können Staatsanwälte nämlich rekonstruieren, wer wann wo wie lange mit mir als Journalist kommuniziert hat. In seinem Urteil hat sich das Gericht leider mit der Frage des Quellenschutzes nicht befasst. Das sei im Rahmen eines konkreten Strafverfahrens geltend zu machen, meinten die Bundesverwaltungsrichter. Nur: Journalisten erfahren gar nie, dass sie mitüberwacht werden, wenn sie mit einem Informanten telefonieren (sogenannter Beifang). Und können entsprechende Verfügungen mangels Parteistellung auch nicht anfechten.

Das musste und muss der renommierte Rechercheur Urs Paul Engeler erleben: Die Staatsanwaltschaft hat all seine Recherchegespräche mit Informanten im Fall Hildebrand ausgewertet und im Strafverfahren gegen sie verwendet. Engeler wusste davon bis zu Prozessbeginn nichts und erfuhr es erst durch Zufall (vgl. separaten Blog).

Nach diesem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sind die Berufsgeheimnisse von Anwälten, Priestern, Ärzten sowie der Quellenschutz von Journalisten faktisch ausgehebelt, denn gemäss Praxis (!) des Dienstes ÜPF werden die Randdaten einem anfragenden Staatsanwalt von den Telekomfirmen sofort ausgehändigt und das Zwangsmassnahmegericht entscheidet erst nach 5 Tagen, welche Daten (wegen Art. 271 Abs. 3 StPO – Schutz von Berufsgeheimnisträgern und Quellenschutz) ausgesondert werden müssen.

Faktisch weiss also der Staatsanwalt immer, mit welchen Quellen Journalisten kommuniziert haben, auch wenn er die Randdaten allenfalls als Beweis im Strafverfahren (zB wegen Amtsgeheimnisverletzung) nicht verwerten darf.

Ob wir das Urteil anfechten, ist noch offen.

Bis zu einem anders lautenden Urteil ist der rechtliche Quellenschutz im digitalen Zeitalter schwer eingeschränkt. Er greift nur noch als Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht oder als Editionsverweigerungsrecht bei Beschlagnahme von Dokumenten (beim Journalisten  und beim Informanten). Doch oft wird das wenig nützen, weil der Staatsanwalt über die Randdaten eh schon weiss, wer der Informant war und deshalb wegen einer Geheimnisverletzung angeklagt wird.

Wirklich nützen tut nur noch der technische Quellenschutz in der Vollausbauvariante: End-to-end Verschlüsselung + Surfen über Tor-Browser. Diese Infrastruktur müssen die Redaktionen bereit stellen, so die Forderung des Schweizer Recherchenetzwerkes investigativ.ch.

Einen Kurs dazu, wie das geht, biete ich an der Schweizer Journalistenschule MAZ an.

Mehr zur Rechtslage finden Sie in diesem Blogbeitrag: https://dominiquestrebel.wordpress.com/2016/04/11/prekaerer-quellenschutz-im-digitalen-zeitalter/, und bei der Digitalen Gesellschaft steht das Urteil im Volltext zum Download bereit: www.digitale-gesellschaft.ch

Fall Gut/Sarasin: Tipps für prozessfeste Recherchen bei anonymen Quellen

Medienschaffende, die Vorwürfe und Kritik an Personen nur auf anonyme Quellen stützen, müssen eine Verurteilung wegen Ehrverletzung in Kauf nehmen. Quellenschutz hat die Richter dabei nicht zu interessieren. Das ist juristisch absolut korrekt. Es gibt aber Massnahmen, die das Risiko einer Verurteilung der Medienschaffenden verkleinern.

«Dieses Urteil ist ein Knieschuss gegen die Medienfreiheit», schrieb «10vor10»-Reporter Reto Kohler auf Twitter, als die Verurteilung von Philipp Gut bekannt wurde. Das Zürcher Bezirksgericht hatte den stellvertretenden Weltwoche-Chefredaktor am 30. September 2016 wegen mehrfacher übler Nachrede und mehrfacher Widerhandlung gegen das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt.

Philipp Gut werfe Geschichtsprofessor Philipp Sarasin in seinem Artikel «Helden der Doppelmoral» vor, sich nicht wie «ein charakterlich anständiger Mensch» benommen zu haben, meinte der Einzelrichter. Zudem könne Gut weder beweisen, dass dies wahr ist noch dass er ernsthafte Gründe hatte, die gemachten Äusserungen in guten Treuen für wahr zu halten. In Juristendeutsch: Gut hat Sarasins Ehre verletzt, ohne den Wahrheits- oder den Gutglaubensbeweis erbringen zu können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Für Gut gilt die Unschuldsvermutung.

Der Tages-Anzeiger titelte daraufhin: «Er [Philipp Gut] durfte sich nicht auf den Quellenschutz berufen.» Wurde Philipp Gut zu Unrecht verurteilt, weil er sich nicht auf den Quellenschutz berufen durfte? Hätte der Richter den Quellenschutz zu Gunsten des Journalisten gewichten müssen? Ist das Urteil also ein «Knieschuss gegen die Medienfreiheit»?

Juristisch korrekt

Nein. Das Urteil ist da juristisch völlig korrekt. Wer die Ehre eines andern verletzt, kann nichts aus dem Quellenschutz ableiten, um sein Handeln zu rechtfertigen. Er entgeht einer Strafe nur, wenn er beweisen kann, dass seine Behauptungen stimmen oder dass er ernsthafte Gründe hatte, die publizierten Äusserungen in guten Treuen für wahr zu halten. Es stellt sich also gar nicht die Frage, ob Gut sich auf Quellenschutz berufen darf oder nicht. Philipp Gut muss den Wahrheits- oder Gutglaubensbeweis erbringen und in diesem Zusammenhang entscheiden, ob er dafür auf seine Quellen zurückgreifen kann. Das ist sein Entscheid.

Der Richter seinerseits darf den Quellenschutz gar nicht berücksichtigen, um eine Ehrverletzung zu rechtfertigen. Er muss einzig beurteilen, ob der Journalist die Wahrheit seiner Äusserungen belegen kann oder zumindest ob er ernsthafte Gründe hatte diese in guten Treuen für wahr zu halten. Anonyme Quellen alleine können dies nicht belegen, denn wer garantiert, dass die geschützten Quellen auch wirklich existieren und sorgfältig vom Journalisten auf Glaubwürdigkeit überprüft worden sind?

Deshalb muss ein Journalist, der seine Story nur oder zur Hauptsache auf anonyme Quellen stützt und diese pflichtgemässs schützt, im Extremfall eine Verurteilung wegen Ehrverletzung in Kauf nehmen. Doch mit ein paar handwerklichen Massnahmen lässt sich dieses Risiko verkleinern.

Tipps für prozessfeste Recherchen bei anonymen Quellen

Da der Richter Beweise frei würdigt, muss der Journalist alles unternehmen, um in seiner Recherche Dokumente zu beschaffen, die seinen guten Glauben belegen.

  1. Anonyme Quellen sollten ihre Aussagen gegenüber einem Anwalt wiederholen, der vom Medium und vom Journalisten möglichst unabhängig ist. Dabei ist es sinnvoll, dass der Anwalt Fragen zur Glaubwürdigkeit («Was sind Ihre Motive?») und zur Unabhängigkeit der Quelle stellt. Auf Grund dieses Gespräches erstellt der Anwalt eine so genannte «anwaltliche Versicherung», welche die Aussagen wiedergibt und die Glaubwürdigkeit der Quelle umschreibt. Eine solche anwaltliche Versicherung ist in Deutschland üblich. Sie hat zwar keinen Urkundencharakter oder erhöhte Glaubwürdigkeit, weil sie nicht unter Strafandrohung bei Falschaussage zustande kam, aber im Rahmen der freien Beweiswürdigung kann sie für den Richter entscheidend sein, um dem Journalisten den guten Glauben zuzubilligen. Zudem lässt sich der Anwalt auch als Zeuge befragen. Andere Formen wie eidesstattliche Erklärungen oder Unterschriftenbeglaubigungen eines Notars sind hingegen untaugliche Mittel, weil sie nicht anonym abgegeben werden können und der Richter – auch wenn diese eingeschwärzt eingereicht werden – vom Notar verlangen kann, das Original mit Unterschrift herauszugeben. Die «anwaltliche Versicherung» sollte möglichst vor der Publikation, spätestens aber im Stadium der Strafuntersuchung erstellt werden. Ob sie im Fall Gut/Sarasin vor zweiter Instanz noch eingereicht werden kann, hängt davon ab, ob es ein unzulässiger oder ein zulässiger neuer Beweis ist.
  2. Handnotizen von Gesprächen oder E-Mails sollten unbedingt eingereicht werden – am besten in eingeschwärzter, aber notariell beglaubigter Kopie. Philipp Gut hat Zusammenfassungen seiner Handnotizen eingereicht, nicht die eingeschwärzte Kopien der Originale. Dies ist weniger beweiskräftig und kann im Gegenteil Zweifel an der Glaubwürdigkeit erzeugen.
  3. Der Journalist muss alles unternehmen, um seinen übrigen Sorgfaltspflichten nachzukommen: Er sollte etwa die anonymen Quellen und Sachverhalte so genau wie nur möglich umschreiben, im Text die Glaubwürdigkeit der anonymen Quellen reflektieren und der Version des Kritisierten genügend Raum geben.
  4. Es hilft hingegen nicht, die Quelle nur dem Gericht zu offenbaren, denn die Parteien haben dann ein Recht darauf, die Quelle zu kennen und ins Kreuzverhör zu nehmen. Prüfenswert ist deshalb eine Änderung der Strafprozessordnung. Anonyme Quellen sollten ähnlich wie verdeckte Ermittler (Art. 151 StPO) im Strafprozess anonym befragt werden können.

Fall Ludovic Rocchi liegt anders

Ähnlich wie Philipp Gut hat sich etwa auch Mathias Ninck (NZZ am Sonntag) im Fall Marko Turina verhalten. Ninck hat dem Herzspezialisten in einem Artikel gestützt auf anonyme und eine namentlich zitierte Quelle vorgeworfen, den Tod einer Frau in Kauf genommen zu haben, der er wissentlich ein Herz mit falscher Blutgruppe implantiert habe. Auch Ninck hat seine Quellen nicht offen gelegt und damit in Kauf genommen, dass er in einen Vergleich mit dem Chefarzt einwilligen musste.

Anders liegt hingegen der Fall des «Le Matin»-Journalisten Ludovic Rocchi, der einem Professoren der Universität Neuenburg vorwarf, Plagiate zu verbreiten. Rocchi berief sich auf den Quellenschutz, als der Staatsanwalt auf dem Umweg einer Ehrverletzungsklage gegen Rocchi versuchte, an die Quellen der Amtsgeheimnisverletzung heranzukommen. Deshalb beurteilte das Zwangsmassnahmengericht Val-de-Ruz die Hausdurchsuchung bei Rocchi und die Beschlagnahme seines Computers für unzulässig. Damit schützt Rocchi seine Quellen und rechtfertigt nicht seine Ehrverletzung. Das Ehrverletzungsverfahren gegen Rocchi ist noch hängig und der Journalist ist guter Dinge, mit Dokumenten den Wahrheitsbeweis anzutreten.

(Erstmals veröffentlicht in der Medienwoche vom 5. 10. 2016)

Prekärer Quellenschutz im digitalen Zeitalter


Urs Paul Engeler, preisgekrönter Schweizer Recherchejournalist, hat Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht, weil seine Kommunikation mit den SVP-Politikern Christoph Blocher und Hermann Lei im Fall Hildebrand von Polizei und Staatsanwaltschaft ausgewertet wurde. Die Zürcher Staatsanwaltschaft beteuert, sie habe Engeler nicht überwacht. Seine Kommunikationsdaten seien bloss «Beifang» der Überwachung der beiden Beschuldigten Blocher und Lei gewesen. Müssen Journalisten mit Überwachung rechnen? Taugt der Quellenschutz im digitalen Zeitalter gar nichts mehr? Dürfen sie nicht mehr digital kommunizieren, wenn sie den Quellenschutz ernst nehmen? 6 Fragen und 6 Antworten.

1. Wie gelangte die Abschrift an die Öffentlichkeit?
Wie so oft steht am Anfang einer wichtigen Geschichte der Zufall Nach der Affäre Hildebrand im Januar 2012 liefen gleich drei Strafverfahren parallel: Gegen Reto T., der die geheimen Bankunterlagen Hildebrands beschafft, gegen Hermann Lei, der sie an die Weltwoche weitergegeben haben soll und gegen Christoph Blocher, der sie ermuntert haben soll, die Dokumente weiterzugeben.

Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Computer und Mobiltelefone von allen drei und beschaffte sich über den Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldewesens die Telekommunikations-Randdaten bei den Fernmeldedienstanbietern. Daraus erstellte sie eine 19-seitige Liste der SMS, E-Mails, Combox-Nachrichten und Telefongespräche, die Christoph Blocher, Rechtsanwalt Hermann Lei, die Journalisten Roger Köppel und Urs Paul Engeler sowie weitere Personen ausgetauscht haben. Teilweise steht da nur, wer mit wem wann kommuniziert hat (Randdaten), teilweise ist auch der Inhalt notiert. Schön datiert und geordnet.

Hermann Lei und Reto T. akzeptierten, dass die Staatsanwaltschaft sowohl ihre Datenträger wie auch ihre Randdaten vollumfänglich auswerteten. Sie beriefen sich auch nicht auf Quellenschutz. Einzig Christoph Blocher wollte, dass jene Daten auf seinem Computer und Mobiltelefon im Strafverfahren ausgesondert werden, die aus einer Kommunikation mit Journalisten stammen. Und er wehrte sich bis vor Bundesgericht. Deshalb schickte der Staatsanwalt, der gegen Blocher ermittelte, die 19-seitige Liste ans höchste Schweizer Gericht. Das Bundesgericht entschied im Juli 2014, dass die Daten auf Blochers Computer und seinem Mobiltelefon wegen Quellenschutz im Verfahren nicht verwendet werden dürfen (Urteile des Bundesgerichts 1B_424/2013 und 1B_436/2013). Nichts gesagt hat das Bundesgericht aber zur Frage, ob auch die Randdaten aus der rückwirkenden Telefonüberwachung verwendet werden dürfen, weil Blocher es in einer separaten Beschwerdenicht geltend gemacht hat.

Nach diesen beiden Urteilen hat die Zürcher Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben alle Listen versiegelt, die sie noch hatte, und auch Blochers Randdaten nicht verwendet, um dem Anliegen nach weit gefasstem Quellenschutz nachzukommen, wie sie gegenüber der NZZ am Sonntag betonte. Allerdings habe man vergessen auch jene Liste, die vom Bundesgericht erst später zurückgeschickt und in den Verfahrensakten abgelegt wurde, ebenfalls zu versiegeln.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren gegen Blocher im Dezember 2015 ein, brachte aber jene gegen Hermann Lei und Reto T. zur Anklage. Bei der Vorbereitung zum Prozess von Ende März 2016 schaute sich Reto T.s Anwalt die Akten des eingestellten Verfahrens Blocher an und fand die Liste. Der Anwalt verwendete sie bei seinem öffentlichen Plädoyer, der Tages-Anzeiger wertete die Informationen für einen Artikel aus und beschrieb auch die elektronische Kommunikation des Journalisten Urs Paul Engeler.

2. Wieso hat Urs Paul Engeler erst aus der Zeitung erfahren, dass seine Kommunikation aufgezeichnet und ausgewertet wurde?
Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat Urs Paul Engelers Telefon und E-Mail nicht direkt überwacht. Die Staatsanwaltschaft konnte seine Kommunikation nur nachverfolgen, weil sie die Kommunikation von Engelers Gesprächspartnern – Hermann Lei und Christoph Blocher – ausgewertet hat. Das bezeichnet die Staatsanwaltschaft als «Beifang». Die Kommunikationspartner werden nie informiert, wenn sie mitüberwacht werden. Deshalb hat Engeler es erst erfahren, als es der Tages-Anzeiger publik gemacht hat. Daraufhin hat der Journalist Anzeige gegen Unbekannt erstattet.

3. Was kann Engeler mit seiner Strafanzeige erreichen?
Nun muss ein Staatsanwalt prüfen, was genau passiert ist, und ob jemand sich strafbar gemacht hat. Dabei stellen sich unter anderem folgende Fragen:

  • Wer ist dafür verantwortlich, dass nicht alle der 19-seitigen Listen mit Kommunikationsdaten aus den Akten von Blochers Strafverfahren entfernt wurden? Ist es der Kanzleibeamte, der die Liste wieder in Blochers Verfahrensakten gelegt hat, als sie vom Bundesgericht zurückkam? Ist es der Staatsanwalt, der dies nicht gemerkt hat? Ist es Blochers Anwalt, der die Liste nicht aus den Akten entfernen liess?
  • Und ist dieser Fehler strafbar? Die Prognose sei gewagt: Für diesen Fehler ist wohl niemand strafrechtlich verantwortlich. Aber die Staatsanwaltschaft muss ihre Aktenverwaltung besser organisieren, damit dies nicht wieder passieren kann.
  • Hätte das Zwangsmassnahmengericht nicht eh von sich aus in allen drei Verfahren alle Kommunikationsdaten mit Journalisten entfernen müssen?

Dabei gilt es zwischen Daten, die auf Computern und Mobiltelefonen liegen, und jenen zu unterscheiden, die via rückwirkende Telefonüberwachung bei den Fernmeldedienstanbietern erhoben werden. Daten auf Computern und Mobiltelefonen sind Eigentum der Quelle. Wenn die Quelle sie von sich aus frei gibt und auf Quellenschutz verzichtet (wie das im konkreten Fall die beiden Beschuldigten Hermann Lei und Reto T. getan haben), kann der Journalist nicht dagegen opponieren. Ein Staatsanwalt kann sie im Verfahren verwenden. Und das Zwangsmassnahmengericht muss sich gar nicht damit befassen.

Anders hingegen ist die Rechtslage bei den Daten, die via rückwirkende Telefonüberwachung erhoben wurden. GemässArtikel 271 Absatz 3 der Strafprozessordnung muss das Zwangsmassnahmengericht alle Informationen aussondern, über die ein Berufsgeheimnisträger (also Journalist, aber auch Arzt oder Anwalt) «das Zeugnis verweigern könnte». Diese Informationen sind «sofort zu vernichten; sie dürfen nicht verwendet werden.» Das muss das Zwangsmassnahmengericht spätestens innert fünf Tagen tun, nachdem der Staatsanwalt die Daten verlangt hat. Zu diesem Zeitpunkt weiss die Quelle noch gar nicht, dass ihre Kommunikation rückwirkend erhoben werden soll. Sie erfährt es erst Monate später, spätestens am Ende des Vorverfahrens. Muss das Zwangsmassnahmengericht also von Gesetzes wegen und unabhängig vom Willen der Quelle sämtliche Kommunikationsspuren mit Journalisten vernichten? Der Gesetzeswortlaut sowie Sinn und Zweck des Artikels legen dies nahe. Im konkreten Fall hat es das Zwangsmassnahmengericht nicht getan – weder im Verfahren gegen Reto T., noch gegen Hermann Lei noch gegen Christoph Blocher. Damit hat es die Strafprozessordnung verletzt. Strafbar ist das aber wohl kaum. Urteile zu dieser wichtigen Frage gibt es leider noch keine.

4. Müssen Journalisten mit Überwachung rechnen?
Der Fall Engeler führt Journalisten unangenehme Tatsachen vor Augen:

  • Ja, Journalisten werden überwacht. Die Randdaten ihrer elektronischen Kommunikation werden von den Fernmeldedienstanbietern 6 Monate lang gespeichert.
  • Und ja, Staatsanwälte können sie bei dringendem Verdacht auf ein Verbrechen oder Vergehen gegen einen Beschuldigten sichten (also auch bei Amtsgeheimnis- oder Bankgeheimnisverletzung).
  • Und ja, Staatsanwälte können die Kommunikation auf jeden Fall bis zu fünf Tage lang auswerten. Denn die Daten werden ihnen von den Fernmeldedienstanbietern unverzüglich zugestellt. Das Zwangsmassnahmengericht prüft die Rechtmässigkeit erst nachträglich und nur innert fünf Tagen nach Anordnung der rückwirkenden Telefonüberwachung.
  • Und ja, offenbar sind Zwangsmassnahmengerichte bei der zwingenden Aussonderung von Kommunikationsdaten von Berufsgeheimnisträgern zu wenig am Gesetz orientiert. Deshalb können Strafverfolger solche Kommunikationsdaten oft wochen- oder monatelang nutzen, bis nämlich die Quelle informiert wird und dann allenfalls Beschwerde einlegt. Dringt die Beschwerde durch, kann der Staatsanwalt die Kommunikationsdaten zwar als Beweise nicht verwenden, doch das daraus gewonnene Wissen gibt ihm bei den Ermittlungen einen grossen Vorteil.
  • Und ja, Journalisten müssen nicht informiert werden, wenn ihre Kommunikation mit Quellen nachträglich ausgewertet wird. Sie haben nicht einmal die Möglichkeit, die entsprechenden Entscheide einzusehen, da die Zwangsmassnahmengerichte sie nicht herausgeben.
  • Und ja, auch im Bereich der präventiven Überwachung durch Nachrichtendienste wird Überwachung von Journalisten der Fall sein, wie die Snowden-Enthüllungen gezeigt haben.

5. Können Journalisten den Quellenschutz trotzdem sichern?
Es ist wichtig, dass Journalisten ihren Informanten sagen, dass sie sofort eine Versiegelung verlangen sollen, wenn ein Staatsanwalt Computer oder Mobiltelefone beschlagnahmen will (vgl. dazuInfoblatt für Informanten). Denn das Recht, dass Unterlagen von und (Kommunikations)daten mit Journalisten nicht beschlagnahmt werden, gilt gemäss Gesetz (Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO) und einschlägigem Bundesgerichtsentscheid (Urteile 1B_424/2013 und 1B_436/2013) «ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden».

Zudem sollten Journalisten nur mit verschlüsselten E-Mails über Tor-Browser oder per Post mit heiklen Quellen kommunizieren. So schützen sie die Kommunikation gegen rückwirkende Telefonüberwachung. Redaktionen und Verlage müssen ihren Journalisten die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellen.

6. Welche Forderungen stellen sich an Justiz und Politik?

  1. Zwangsmassnahmengerichte müssen den Quellenschutz von Amtes wegen zwingend berücksichtigen und entsprechende Kommunikationsspuren von Amtes wegen vernichten. Art. 271 Abs. 3 StPO ist konsequent anzuwenden.
  2. Die Überwachung muss nicht nur dem Beschuldigten, sondern auch dem Geheimnisträger, wie z.B. Journalisten, mitgeteilt werden.
  3. Entscheide von Zwangsmassnahmengerichten müssen öffentlich einsehbar sein, damit wichtige Entscheide wie die Aussonderung von Quellenschutzdaten oder die Bewilligung von Staatstrojanern von der Öffentlichkeit kontrolliert werden können.
  4. Der Gesetzgeber sollte die Vorratsdatenspeicherung abschaffen, da sie mit wichtigen Grundsätzen wie dem Quellenschutz offensichtlich nicht vereinbar ist.

Interessenbindung des Autors: Der Autor ist Co-Präsident des Schweizer Recherchenetzwerkes investigativ.ch und hat beim Dienst für Überwachung des Post- und Fernmeldewesens (Dienst ÜPF) die Löschung seiner Vorratsdaten verlangt. Eine Beschwerde gegen die ablehnende Verfügung des Dienstes ÜPF liegt zur Zeit vor Bundesverwaltungsgericht.

(Erschienen in http://www.medienwoche.ch vom 11. April 2015)

Test zum Quellenschutz: Medienschaffende schlechter als Schimpansen

Eine Befragung zeigt, dass Medienschaffende ihre Möglichkeiten zum Quellenschutz stark überschätzen.

Der Journalist und Jus-Student Alex Dutler (Watson) befragte im Rahmen seiner Bachelorarbeit (Im Volltext: BA_Alex_Dutler_Quellenschutz) an der Fernuniversität Schweiz 49 Medienschaffende zu sieben konkreten Fallkonstellationen aus ihrem Alltag. Die Journalisten mussten entscheiden, ob Quellenschutz besteht oder nicht. Denn das Schweizer Recht gewährt zwar grundsätzlich Quellenschutz, sieht aber bei 25 Delikten Ausnahmen vor. In diesen Fällen können Strafverfolgungsbehörden  – nach einer Abwägung von Medienfreiheit und Strafverfolgungsinteressen – auch Journalistinnen und Journalisten dazu zwingen, die Quelle bekannt und Dokumente herauszugeben. Dazu hat der Justiz- und Rechercheblog einen Kurzlehrgang in 11 Lektionen publiziert.

Das erschreckende Resultat von Dutlers Befragung: Nur 44 Prozent der Antworten waren richtig – weniger als das Zufallsergebnis von 50 Prozent, das selbst ein Schimpanse erreichen würde. Dabei fällt auf: Die Medienschaffenden überschätzen ihre Möglichkeit zum Informanten- und Quellenschutz generell und stark. So meinten etwa fast 70 Prozent der Befragten, dass sie einem Politiker, der in Kreisen der Mafia verkehrt, Quellenschutz zusichern können. Erstaunlich vor allem auch, dass mehr als 60 Prozent der Journalisten glauben, den Strafverfolgern Auskünfte über einen Marihuanadealer verwehren zu  können, der mehr als 10‘000 Franken Gewinn pro Jahr macht. Denn just dieser Fall wurde vom Bundesgericht Ende Januar 2014 zu Ungunsten der Journalistin entschieden.

Über diesen Entscheid haben die Medien breit berichtet. Auch der Recherche- und Justizblog.

Doch offenbar haben die Medienschaffenden ihn nicht wahrgenommen. Bleibt also ein beträchtliches Ausbildungspotenzial für Journalistenschulen und interne Weiterbildungen.

Quellenschutz in 11 Lektionen

2014 war das Jahr des Quellenschutzes: Die Gerichte stärkten ihn in fünf wichtigen Urteilen, das Parlament stoppte eine medienfeindliche Whistleblower-Vorlage und unlautere Praktiken gegen recherchierende Journalisten erreichten eine neue Dimension. Grund genug für einen Crashkurs in Quellenschutz.

Lektion 1: Quellenschutz im Detail abklären

Journalisten dürfen in den meisten Fällen das Zeugnis verweigern, so zum Beispiel in Verfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung. Sie dürfen sich auch gegen die Beschlagnahme von Dokumenten und Daten und eine Redaktions- oder Hausdurchsuchung wehren (so genanntes Zeugnis- und Editionsverweigerungsrecht, vgl. Art. 28a StGB; Art. 172 und 248 StPO). Dieses Verweigerungsrecht gilt aber nicht in allen Fällen. Das Gesetz definiert Ausnahmen vom Quellenschutz. So können Medienschaffende Informanten nicht schützen, wenn es um einen von 25 Tatbeständen geht, die im Gesetz ausdrücklich genannt werden: Neben Mord und vorsätzlicher Tötung gilt das zum Beispiel auch bei Kinderpornographie (Art. 197 Ziff.3 StGB) oder schweren Fällen von Drogendelikten (Art. 19 Abs. 2 BetMG). Dieser Ausnahmekatalog birgt Überraschungen. So fällt auf, dass ausgerechnet  Korruptionsdelikte wie Bestechung oder Vorteilsannahme vom Quellenschutz ausgenommen sind (Art. 322ter bis Art. 322septies StGB). Eine wenig durchdachte Regelung. Aber gerade deshalb sollten Journalisten den Ausnahmekatalog studieren. Damit er einfacher zu erfassen ist, ist hier eine Liste abrufbar (Deliktskatalog_Quellenschutz_kurz_15_01_16).

Dass der Quellenschutz löchrig ist, musste 2014 eine Journalistin der Basler Zeitung (BAZ) erfahren. Sie hatte einen Hanfhändler porträtiert und dabei erwähnt, dass er mit seinem Cannabisgeschäft 12‘000 Franken Jahresgewinn macht. Das hätte sie besser bleiben lassen. Ab einem Jahresgewinn von 10’000 Franken gilt gemäss Gerichtspraxis auch der Handel mit Hanfprodukten als «schwerer Fall» im Sinn von Art. 19 Abs. 2 BetMG. Das Bundesgericht hat den Quellenschutz also verneint und – erstaunlicherweise – das Strafverfolgungsinteresse höher gewichtet als die Medienfreiheit (vgl. Urteil 1B_293/2013 des Bundesgerichts vom 31. Januar 2014; Erläuterungen dazu von Denise Schmohl in medialex 3/2014, S. 70ff). Das öffentliche Interesse am BAZ-Text ist gemäss Bundesgericht nicht gross, da die Journalistin dem Hanfhändler eine Plattform eingeräumt und den Drogenhandel verharmlosend als „quasi normales Gewerbe unter Kollegen“ dargestellt habe. Konsequenz: Die Journalistin muss den Namen nennen, oder sie wird gebüsst. Da sie jedoch den Fall an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) weitergezogen hat, verzichtet die Staatsanwaltschaft bis auf weiteres auf eine Busse. Bis der EGMR entscheidet, dauert es im Durchschnitt sechs Jahre. Übrigens: Die Journalistin hätte sich den Ärger ohne grosse Abstriche am Text sparen können, wenn sie keine Zahl oder dann 9999 Franken Jahresgewinn genannt hätte (mit einem Smiley für den Staatsanwalt).

Lektion 2: Die Quelle von Anfang an schützen

Quellenschutz beginnt nicht erst, wenn der Journalist vor dem Staatsanwalt antraben muss und dem Amtsträger tapfer sagt: „Ich beanspruche mein Zeugnisverweigerungsrecht“. Dann ist es oft zu spät. Quellenschutz beginnt bereits beim ersten Kontakt mit dem Informanten. Dabei sind die untenstehenden Punkte 3 bis 10 zu beachten und mit dem Informanten ausführlich zu besprechen.

Im Frühling 2014 hat ein Sonntagsblick-Journalist in einem Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung, das Nationalrat Christoph Mörgeli gegen Amtskollegin Kathy Riklin eingeleitet hatte, freiwillig auf seinen Quellenschutz verzichtet und gegenüber den Untersuchungsbehörden eine Aussage gemacht. Das Vorgehen stiess auf Kritik: Ein Journalist habe den Quellenschutz in jedem Fall zu beanspruchen, sonst verliere er seine Glaubwürdigkeit – lautete die einhellige Reaktion in Sozialen Medien, von Presserat und Sonntagsblick-Chefredaktorin Christine Maier. (vgl. Bericht im Tages-Anzeiger vom 30. Juni 2014).

Lektion 3: Reinen Wein einschenken und frei entscheiden lassen

Die Journalistin sollte mit dem Informanten besprechen, welche Konsequenzen Whistleblowing für ihn hat. Gemäss aktueller Rechtsprechung verletzt zum Beispiel ein öffentlich-rechtlich Angestellter das Amtsgeheimnis, wenn er Missstände nicht zuerst dem Vorgesetzten oder einer internen Meldestelle und danach einer externen Behörde (Staatsanwalt, Ombudsstelle) meldet, bevor er sich an die Medien wendet. Der Schutz vor Kündigung ist im öffentlichen Recht teilweise gut (vgl. etwa Art. 22a des Bundespersonalgesetzes), teilweise schlecht ausgebaut – im Privatrecht inexistent (die Kündigung ist in jedem Fall gültig; wegen missbräuchlicher Kündigung kann höchstens eine Entschädigung von 3-4 Monatslöhnen erstritten werden). Die aktuelle Gesetzesvorlage des Bundesrates will den Schutz von Whistleblowern im Privatrecht sogar noch verschlechtern und den Gang an die Medien ganz verbieten (vgl. dazu Justizblog: „Die Angst des Parlaments vor sich selbst“). Informanten sollten ihren Entscheid, an die Öffentlichkeit zu gehen, im vollen Bewusstsein der allfälligen Konsequenzen fällen. Eine solche Aufklärung schützt den Journalisten auch vor einem möglichen Vorwurf der Anstiftung zu Delikten wie Amts- oder Bankgeheimnisverletzung.

Lektion 4: Die Nadel im Heuhaufen verstecken

Der Journalist muss am Anfang seiner Arbeit mit der Informantin abklären, ob die Quelle überhaupt geschützt werden kann. Hat zum Beispiel die Informantin einen Missstand bereits als einzige an den Chef gemeldet, ist dem Chef sofort klar, wer an die Medien gelangt ist, wenn genau dieser Missstand öffentlich wird. Manchmal kann der Journalist mit gezielten Massnahmen die Nadel im Heuhaufen verstecken: Er nimmt mit möglichst vielen Personen innerhalb der Firma, des Amtes Kontakt auf, aus der die Informantin stammt, um so den Verdacht auf mehrere Personen zu verteilen. Verfügen die Informanten (oder das Medium) über finanzielle Mittel, lohnt es sich, einen Anwalt vorzuschalten. Der Anwalt tritt dann stellvertretend für die Informanten an die Öffentlichkeit. Er kann die Quelle zusätzlich durch das Anwaltsgeheimnis schützen.

 So hat etwa der Zürcher Rechtsanwalt Ueli Vogel-Etienne Missstände im Migrationsamt des Kantons Zürich publik gemacht, die zur Entlassung des Verantwortlichen geführt haben (vgl. den externen Untersuchungsbericht). Die Whistleblower konnten anonym bleiben.

Lektion 5: Mit den Informanten das Verhalten besprechen

Sinnvoll sind Instruktionen, was die Informantin machen soll, damit sie keinen (zusätzlichen) Verdacht auf sich zieht (vgl. die Verhaltenstipps für Whistleblower des Beobachters auf https://sichermelden.ch/). Whistleblower outen sich nämlich durch unvorsichtiges Vorgehen meist selbst. Gibt es zum Beispiel interne Sicherungsmassnahmen beim Zugang zu Dokumenten oder Dateien auf internen Computern? Oder wird das Layout von Dokumenten leicht geändert, um den Zeitraum des Downloads nachträglich bestimmen zu können?

Lektion 6: Informanten auf Strafverfolger vorbereiten (Versiegelung)

Der Journalist sollte den Informanten instruieren, dass dieser bei einer Hausdurchsuchung oder der Beschlagnahme von Dateien, Computern, Dokumenten sofort die Versiegelung verlangt (Art. 248 Abs. 1 StPO). Journalistische Dokumente oder Kontakte fallen nämlich gemäss Bundesgericht unter Quellenschutz – egal, wo sie sich befinden (vgl. Urteile 1B_424/2013, 1B_436/2013) – vorausgesetzt natürlich, dass überhaupt Quellenschutz besteht (vgl. Lektion 1).

Diese Entscheide hat Christoph Blocher erstritten. Gegen ihn ermittelt die Zürcher Staatsanwaltschaft wegen Gehilfenschaft und Anstiftung zur Bankgeheimnisverletzung im Fall Hildebrand. Sie durchsuchte im März 2012 sein Haus, beschlagnahmte Dokumente und Datenträger. Blocher verlangte sofort die Versiegelung und wehrte sich erfolgreich bis vor Bundesgericht gegen die Entsiegelung: Die Strafverfolger dürfen keine journalistischen Dokumente der «Weltwoche» verwenden – weder in Papier- noch in Datenform, urteilten die Richter (Urteile vom 22. Juli 2014 1B_424/2013, 1B_436/2013.).

Lektion 7: Informanten vor unlauteren Aktionen warnen

Informanten und Journalisten müssen sich bewusst sein, dass sie allenfalls von der kritisierten Person mit unlauteren Mitteln angegangen werden – zum Beispiel durch Privatdetektive, die sich als Journalisten ausgeben. Auch diese Erkenntnis wuchs im Jahre 2014 durch zwei Aufsehen erregende Fälle.

So wurden etwa Ärzte, die Missstände im Herz-Zentrum Bodensee öffentlich gemacht hatten, von einem angeblichen Journalisten eines deutschen Fernsehsenders interviewt. Auf seiner Visitenkarte stand „Medienrecherche für Filmdokumentation“. Der Interviewer war aber nicht Journalist, sondern Privatdetektiv, der für die kritisierte Klinikleitung Informationen beschaffte (vgl Beobachter vom 21. Februar 2014 „Schnüffler gegen Ärzte“). In einem anderen Fall fand der damalige RTS-Journalist Yves Steiner auf seinem Computer eine von aussen installierte Software, die ihn ausspionieren sollte. Damals recherchierte er im Fall des Walliser Weinhändlers Dominique Giroud wegen des Verdachts auf Weinpanscherei und Steuerhinterziehung. Giroud soll mit Hilfe eines Privatdetektivs, einem Agenten des Nachrichtendienstes des Bundes und einem Hacker einen Trojaner auf den Computern des RTS-Journalisten und der Walliser-Korrespondentin von Le Temps eingeschleust haben. In dieser Sache laufen verschiedene Verfahren (vgl. Tages-Anzeiger vom 26. Juni 2014 „Girouds Anwälte gehen aufs Westschweizer Fernsehen los“). Unter anderem fordert Giroud von der SRG eine Entschädigung von 30 Millionen Franken. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) hat Mitte Oktober 2014 eine Beschwerde Girouds mit fünf zu vier Stimmen knapp abgewiesen.

Lektion 8: Wenn immer möglich analog kommunizieren

Die Journalistin sollte mit dem Informanten die Form der Kommunikation definieren. Analoge Kommunikation bietet den besten Quellenschutz: Direkte Treffen und Gespräche, physische Übergabe von Dokumenten. Digitale Kommunikation, also telefonieren mit Festnetz oder Mobile sowie verschicken von E-Mails, ist unsicher und kann nachträglich via Vorratsdatenspeicherung vom Staatsanwalt nachvollzogen werden.

Daran hat selbst Christoph Blocher nicht gedacht, als er sich – erfolglos – gegen die nachträgliche Telefonüberwachung wehrte (Bundesgerichtsentscheid vom 22. Juli 2014, Urteil 1B420/2013). Er hat nicht gerügt, dass durch die Auswertung seiner Kommunikationsdaten der Quellenschutz verletzt worden sei. Darum hat das Bundesgericht diese Frage gar nicht behandelt.

 Immerhin darf ein Staatsanwalt E-Mails nicht direkt beim Arbeitgeber herausverlangen mit dem Argument, der Chef habe ja Anzeige erstattet und müsse jetzt im Verfahren auch gebührend mitwirken. Die Strafverfolger müssen diese Daten beim Dienst ÜPF anfordern und brauchen dafür eine Bewilligung des Zwangsmassnahmegerichts. Dies hat das Bezirksgericht Zürich im Fall Iris Ritzmann festgestellt (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2014).

Die Universität Zürich hatte im Rahmen eines Strafverfahrens, das sie selbst durch eine Anzeige ausgelöst hatte, freiwillig und ohne Zwang E-Mails an Medienschaffende von Ritzmann und anderen Mitarbeitern der Universität übergeben. Die Staatsanwaltschaft kann diese nicht als Beweise verwerten, weil sie nicht auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg beschafft wurden. Sie hätte die E-Mails via nachträgliche Telefonüberwachung beim Dienst ÜPF herausverlangen müssen.

Lektion 9: Elektronische Kommunikation unzugänglich machen

Falls eine Medienschaffende auf Telefon und E-Mail nicht verzichten will, sollte sie mit der Informantin vereinbaren, dass sie nur von (einer der wenigen verbliebenen) öffentlichen Telefonkabinen aus oder mit verschlüsselten Mails (Pretty Good Privacy PGP; vgl. Anleitung der Privacy Foundation) via Tor-Netzwerk kommuniziert. Für den Upload von Dateien gibt es sichere Software (vgl. etwa beim Beobachter www.sichermelden.ch); mit etwas Geduld lässt sich ein vergleichbar sicherer elektronischer Briefkasten auch privat installieren (vgl. etwa secure drop der Freedom of Press Foundation). Eine gute Zusammenstellung von Tipps und Tools für Whistleblowers findet sich auf der Website des Global Investigative Journalism Network. Medienschaffende sollten von ihren Chefs und Verlegern unbedingt fordern, dass es in der Redaktion mindestens einen Computer gibt, der mit der nötigen Software ausgerüstet ist.

Lektion 10: Vorsorgliches Gesuch an den Dienst für Überwachung stellen

Falls die Journalistin mit dem Informanten ungesichert mobil oder per Festnetz telefoniert hat, sollten sie dem Dienst für Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Dienst ÜPF) des Bundes umgehend mitteilen, dass diese Kommunikation unter Quellenschutz fällt und bei einem allfälligen Gesuch einer Strafverfolgungsbehörde auszusondern ist. Der Dienst ÜPF muss den Namen des Journalisten, des Informanten und die Intervention selbst geheim halten. Stellt später in einem allfälligen Strafverfahren ein Staatsanwalt ein Gesuch auf nachträgliche Telefonüberwachung, kann man diese Daten nicht mehr entfernen, ohne die Quelle zu verraten.

Nachtrag vom 5. April 2016: Diese Lösung ist schwer praktikabel, da man das Gesuch an die Polizei der 26 Kantone und die Fernmeldedienstanbieter stellen müsste. Nach Auskunft von Niels Güggi vom Dienst ÜPF werden die Randdaten bei der rückwirkenden Telefonüberwachung direkt vom Fernmeldedienstanbieter an die Polizei geschickt, ohne dass der Dienst ÜPF oder ein Zwangsmassnahmegericht eine Triage vornehmen könnten. So hebelt die Vorratsdatenspeicherung den Quellenschutz definitiv aus, denn der Beschuldigte erfährt davon erst am Ende des Vorverfahrens, der Journalist mitunter gar nie.

Lektion 11: An den eigenen Schutz denken

Nicht nur gegen Informanten, sondern auch gegen Journalisten können Strafverfahren eingeleitet werden. Das musste der Le Matin-Journalist Ludovic Rocchi erleben, der zu einem Neuenburger Universitätsprofessor wegen Plagiatsvorwürfen recherchierte und publizierte. Der Betroffene reichte gegen Rocchi eine Strafanzeige wegen Ehrverletzung ein. In diesem Verfahren führte der Staatsanwalt eine Hausdurchsuchung bei Rocchi durch und beschlagnahmte Datenträger. Dies geschah widerrechtlich, wie das Zwangsmassnahmegericht Val de Ruz (NE) in einem unterdessen rechtskräftigen Entscheid am 22. Mai 2014 feststellte (vgl. dazu auch den Artikel in Le Matin „Affaire Rocchi: Une Victoire pour la presse“. Der Quellenschutz schützt journalistische Dokumente auch in einem Strafverfahren gegen den Medienschaffenden selbst.

Die Daten dürfen nicht verwertet werden, aber trotzdem hatte der Staatsanwalt in den Stunden, bevor Rocchi die Versiegelung verlangte, wichtige Informationen einsehen können. Entscheidend ist also, dass der Journalist sofort die Versiegelung verlangt (Art. 248 Abs. 1 StPO), wenn die Polizisten mit Hausdurchsuchungsbefehl vor dem Haus stehen.

Literatur:

_Schmohl, Denise, Der Schutz des Redaktionsgeheimnisses in der Schweiz, Diss. Universität Zürich, Schulthess 2013
_Schmohl, Denise, Die Gewährleistung des Informanten- und Quellenschutz im Strafverfahren, Medialex 3/2014 vom 29. 8. 2014
_Zeller, Franz, Kommentar zu Art. 28a StGB in: Niggli, Marcel Alexander / Wiprächtiger, Hans (Hrsg.), Basler Kommentar Strafrecht, 3. Auflage, Basel 2013, 539 – 620
_Zeller, Franz, Kommentar zu Art. 172 StPO (Quellenschutz der Medienschaffenden), in: Niggli, Marcel Alexander / Heer, Marianne / Wiprächtiger, Hans (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Auflage, Basel 2014, 1323 – 1358

Vorratsdaten hebeln Quellenschutz aus

Anhand von Natel- und Festnetzdaten, die in der Schweiz 6 Monate lang auf Vorrat gespeichert werden, können Strafverfolgungsbehörden die Identität geheimer Informanten aufdecken. Der journalistische Quellenschutz ist gefährdet.

Für einmal hat selbst Christoph Blocher geschlafen. Da ermittelt die Zürcher Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Gehilfenschaft und Anstiftung zur Bankgeheimnisverletzung im Fall Hildebrand. Sie durchsucht im März 2012 sein Haus, beschlagnahmt Dokumente und Datenträger. Zuerst reagiert Blocher richtig, verlangt die Versiegelung und wehrt sich erfolgreich bis vor Bundesgericht: Die Strafverfolger dürfen keine journalistischen Dokumente der «Weltwoche» verwenden – weder in Papier- noch in Datenform, urteilen die Richter (Urteil vom 22. Juli 2014 1B_424/2013, 1B_436/2013.) Das Präjudiz ist wichtig. Denn in Zukunft sind journalistische Dokumente immer geschützt – egal, wo sie liegen.

Und alert ist der Milliardär auch noch im August 2013, als er erfährt, dass die Strafverfolger die Randdaten seiner Kommunikation mit Handy, Festnetz und E-Mail auswerten wollen – also etwa Adressat und Dauer. Doch dann begeht er einen Fehler. Denn mit keinem Wort verlangt er, dass die Daten der Gespräche mit Journalisten nicht verwertet werden dürfen, weil sie eben auch dem Quellenschutz unterstehen. So weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, ohne den Quellenschutz zu erwähnen (Urteil vom 22. Juli 2014 1B_420/2013). Medienschaffende müssen deshalb weiterhin damit rechnen, dass ihre InformantInnen auffliegen, wenn sie ins Visier der Strafverfolger geraten.

Anhand dieser Randdaten können Strafverfolger nicht nur ablesen, wer mit wem, wann und wo gemailt und per Natel oder Festnetz telefoniert hat, sondern sogar, wo sich die Person aufgehalten hat. Die Mobilfunkantennen übermitteln periodisch, welche Handys sich in der Nähe befinden. Diese Daten werden sechs Monate lang gespeichert. Es sind in Wirklichkeit nicht Rand-, sondern Kerndaten – wenn man im Sprachbild bleiben will. Und die Rechtslage in Sachen Quellenschutz ist ungeklärt. Zwar muss der Staat von sich aus alle Daten aussondern, die ein Berufsgeheimnis verletzen (Art. 271 StPO), und der Quellenschutz fällt unter diese Regelung. Doch das nützt nichts; denn die Behörde, die aussondert, müsste paradoxerweise auch wissen, dass die Person die geheime Quelle eines Journalisten ist. Und wer (als Journalistin oder Informant) verlangt, dass bestimmte Daten ausgesondert werden, deckt die Quelle gerade auf. Das Problem sieht man selbst beim Bund: «Je nachdem, wer die Quelle ist und wie oft diese Quelle auch sonst mit Journalisten Kontakt hat, ist das vermutlich ein mehr oder weniger starkes Indiz», bestätigt Nils Güggi, Informationsbeauftragter des Dienstes für Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (ÜPF).

Was können Medienschaffende tun? Verschlüsselt mailen genügt nicht, Absenderin und Empfänger bleiben dabei erkennbar, nur der Inhalt ist nicht lesbar. Um sich zu schützen, bräuchte es komplexe Technologie (wie das «Tor»-Netzwerk). Medienschaffende können aber ihre InformantInnen anweisen, beim Dienst ÜPF präventiv die Löschung der gemeinsamen Kommunikation zu verlangen – sofort, und nicht erst wenn ein Verfahren zur nachträglichen Telefonüberwachung läuft. Sinnvoller ist es, die Vorratsdatenspeicherung ganz abzuschaffen, denn sie ist ein unverhältnismässiger Grundrechtseingriff – wie der Europäische Gerichtshof Anfang April festgestellt hat.

P.S. Die publizierten Chatprotokolle im Fall Geri Müller wurden übrigens im Rahmen einer normalen Beweisaufnahme erhoben. Und dass die Uni Zürich im Fall Ritzmann/Mörgeli die Mails an die Strafverfolger weitergegeben hat, ist ein Patzer, der noch vor Gericht beurteilt wird. In beiden Fällen geht es nicht um Vorratsdaten.

Der Text erschien erstmals in WoZ 47/2014 vom 20. November 2014

Rechtsunsicherheit hemmt Recherche

Schweizer Medienschaffende stehen oft mit einem Bein in der Illegalität, wenn sie ihren Job gut machen wollen. Bei der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen, bei der verdeckten Recherche, dem Einsatz einer versteckten Kamera oder dem Quellenschutz ist die Praxis des Bundesgerichts so restriktiv, dass die Recherchequalität in der Schweiz leidet oder zu leiden droht. Medienwissenschafter sollten die Folgen dieser Urteile für die Berichterstattung in der Schweiz und damit für die Demokratie erforschen.

Dies geschah bisher in der Schweiz kaum. Nach Einschätzung von Professor Heinz Bonfadelli „hat sich die empirische Forschung wenig mit journalistischer Forschung befasst.“ Erstaunlich, denn Recherche ist vital für Machtkontrolle und verlässliche Information. Und diese sind wiederum vital für die Demokratie.

Deshalb sind solche medienwissenschaftliche Studien zu den Rahmenbedingungen der Recherche dringend nötig. Nur so kann Parlamentariern klar werden, dass es dringenden Gesetzgebungsbedarf gibt, um die Recherche in der Schweiz zu stärken – und damit eine Grundvoraussetzung von Demokratie sicherzustellen. Mehr dazu im Vortrag an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaften vom 12. April in Zürich. Quasi ein Hilferuf an die Medienwissenschaftr.
Vortrag SGKM_14_04_14

Quellenschutz: Fatales Signal des Bundesgerichts.

Der journalistische Quellenschutz ist löchrig. Zwar gilt er bei der Grosszahl der Strafdelikte, doch in  wichtigen Fällen haben die Gerichte viel Spielraum. Und den nützt das Bundesgericht in seinem neuesten Urteil zu Ungunsten der Medien und zu Gunsten der Strafverfolger.

Eine Journalistin der Basler Zeitung muss den Namen eines Hanf-Dealers nennen, den sie porträtiert hat. Sie könne sich nicht auf den Quellenschutz der Journalisten berufen. Dies der Entscheid des Bundesgerichts von Ende Januar 2014, mit dem es einen Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt aufhob. (Nachtrag vom 6.5.2022: Der EGMR in Strassburg hat den Entscheid des Bundesgerichts mit Urteil 35449/14 vom 6. Oktober 2020 für emrk-widrig erklärt).

Viele Journalisten und die Öffentlichkeit reiben sich die Augen. Taugt der Quellenschutz der Journalisten gar nichts mehr, wenn eine Journalistin selbst bei einem Bagatellfall wie einem nebenberuflichen Handel mit weichen Drogen das Zeugnis nicht verweigern kann?

Zur Beruhigung vorab: Der journalistische Quellenschutz taugt auch in Zukunft in aller Regel immer noch. Bei der Grosszahl aller Delikte des Strafgesetzbuches können Journalisten auch nach diesem Bundesgerichtsentscheid getrost das Zeugnis verweigern und die Quelle schützen. So zum Beispiel bei schwerer Körperverletzung, Tötung auf Verlangen, Diebstahl, Betrug, Veruntreuung, Amtsgeheimnisverletzung – ja selbst bei Erpressung, bandenmässigem Raub oder Geiselnahme (sofern das Opfer nicht in Lebensgefahr gebracht wird). Und auch bei Hanfhandel mit einem Jahresgewinn unter 10‘000 Franken – dann nämlich gilt das Delikt nicht als qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Die Regelung ist nämlich so: Grundsätzlich können sich Journalisten auf Quellenschutz berufen – ausser es ist ein Delikt, das ausdrücklich im Ausnahmekatalog von Art. 28a StGB genannt wird. In diesem Ausnahmekatalog stehen zur Zeit 25 Tatbestände. Von den Rechtsgütern her unbestrittene Delikte wie Mord, Tötung, Menschenhandel, aber eben auch Zweifelsfälle wie die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Abs. 2 lit. C BetmG) oder Korruption (Vorteilsgewährung Art. 322quinquies und Vorteilsannahme Art. 322sexies StGB).

Bei diesen 25 Tatbeständen also, die in Art. 28a StGB genannt sind, gilt der Quellenschutz nur, wenn das Gericht es will. Gerichte müssen in diesen Fällen abwägen, ob nun das Interesse an Information (Medienfreiheit) das Interesse der Strafverfolger überwiegt. Das ist ein erheblicher Ermessensspielraum.

Und genau diesen Spielraum nützt das Bundesgericht nun zu Ungunsten der Medien und zu Gunsten der Strafverfolger. Es ermutigt die Strafverfolger und die Gerichte, selbst bei Grenzfällen wie Hanfhandel knapp über der Schwelle von 10‘000 Franken Jahresgewinn oder Korruption die Strafverfolgungsinteressen über die Medienfreiheit zu stellen.
Das ist im vorliegenden Fall bei einem Cannabisdealer passiert – es könnte aber genauso gut  bei einem Bestechungsfall passieren. Wie wichtig aber gerade die Medien bei der Aufdeckung von Korruption sind, hat eben erst der Seco-Fall gezeigt. Dieser Entscheid des Bundesgerichts führt zu grosser Rechtsunsicherheit und wird weit über diesen Einzelfall hinaus Wirkung haben: Die Medien werden sich zwei Mal überlegen, Recherchen auch nur in der Nähe solcher Themenbereiche anzustellen. Ist das ein Gewinn?

Auch wenn man die Argumentation des Bundesgerichts im Detail ansieht, überzeugt sie wenig. Das Bundesgericht gesteht zwar ein, dass „Rolands“ Hanfhandel „vergleichsweise wenig schwer wiegt“,  verweigert den Quellenschutz aber trotzdem, weil „Roland“ bereits seit 10 Jahren dealt und „immerhin 12‘000 Franken pro Jahr verdient“. Zudem sei er „Teil einer gross angelegten Verkaufsorganisation“. Deshalb sei das Interesse an einer Strafverfolgung gross.

Das Interesse an einer Medienberichterstattung ist gemäss Bundesgericht hingegen klein, da sie einfach nur die Basler Cannabis-Szene habe darstellen wollen. Sie habe zudem den betriebenen Drogenhandel verharmlosend als quasi normales Gewerbe unter Kollegen dargestellt, schreiben die fünf Bundesrichter.  So biete die Basler Zeitung dem „Dauerdelinquenten eine kostenlose Werbeplattform“. Dies könne als Einladung verstanden werden, es ihm gleich zu tun.

Vor allem die beiden letzten Argumente sind wenig überzeugend, denn man kann da auch ganz anders argumentieren: Nach den eigenen Worten des Bundesgerichts braucht es «ausserordentliche Umstände, die öffentliche oder private Interessen gefährden» (BGE 132 I 181 E. 4.5 S. 193), damit die Justiz den Quellenschutz der Journalisten aufheben kann. Frage: Ist dieser Cannabis-Dealer ein ausserordentlicher Fall? Wäre die Schweiz (oder auch nur Basel) viel sicherer, wenn der Tatverdächtige überführt werden könnte? Trägt die Überführung des Verdächtigen wesentlich zur Volksgesundheit bei? Würde irgendein Medium darüber berichten, wenn der fragliche Dealer verurteilt würde? Ist es mehr als ein Dutzendfall? Die spontane Antwort auf all diese Fragen lautet: Nein. Betäubungsmittelkleinkram-Business as usual. Weit und breit keine ausserordentlichen Umstände ersichtlich. Das Strafverfolgungsinteresse ist also vergleichsweise gering – vor allem auch wenn man es mit den andern Delikten wie Mord, Menschenhandel etc. vergleicht, bei denen der Quellenschutz aufgehoben werden kann. Es wäre sinnvoll, eine gewisse Vergleichbarkeit der Rechtsgüter zu wahren, bei denen der Quellenschutz nicht gilt.

Demgegenüber ist der Nutzen der Berichterstattung der BaZ beträchtlich: Man reibt sich die Augen, wie verbreitet und normal mit Cannabis gedealt wird. Man erhält einen überraschenden Einblick in eine versteckte Welt: Türsteher, Schreiner, Informatiker beziehen beim Hanf-Dealer „Roland“ Cannabis. Selbst ein Zahnarzt vertickt offenbar nebenbei Gras. Das löst bei den Lesern Erstaunen aus und regt zum Nachdenken an. Zentrale Wirkungen von gutem (Recherche-) Journalismus.

Setzt sich nun die harte Linie des Bundesgerichts durch, erfährt man von diesen und ähnlichen Welten nichts mehr aus der Zeitung, weil  Journalisten zu diesen Themen nicht mehr recherchieren und mögliche Informanten keine Auskunft mehr geben. Das ist ein beträchtlicher Verlust für die Gesellschaft (und für die Strafverfolger…).