Kraftausdrücke auf Facebook schlimmer als am Stammtisch

Zur Zeit wird in unserer Gesellschaft verhandelt, welche Bedeutung eine Äusserung auf sozialen Netzwerken hat. Ist sie vergleichbar mit einem Spruch am Stammtisch oder wie eine offizielle Publikation? Die Schweizer Justiz geht andere Wege als die britische.

Das Bezirksgericht Zürich hat am 3. Dezember 2012 einen 22jährigen Gymnasiasten wegen „Schreckung der Bevölkerung“ (Art. 258 StGB) zu einer unbedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen à 10 Franken verurteilt. Wie der Tages-Anzeiger berichtete, sass der junge Mann an seinem Geburtstag frustriert vor seinem Computer. Auf seinem Facebook-Profil kündigte er seinen 290 «Freunden» an, dass er es ihnen zurückzahlen werde, wenn sie sich heute nicht über seine Geburt freuen würden. Das sei keine Frage der Freundlichkeit, sondern eine Frage von Respekt und Ehre. Jetzt könne sie niemand mehr schützen. «Päng, Päng, Päng», beendete er seine Statusmeldung.

Ein Mitschüler meldete dies dem Schulleiter, und der Schulleiter erstattete Anzeige. Der junge Mann beteuerte, es sei ein Witz gewesen. Er hätte es nie wahrgemacht. Ein Gutachter bezeichnete ihn als „nicht gefährlich“. Die Richter verurteilten ihn, obwohl sie ihm glaubten, dass er nie zur Tat geschritten wäre. Aber die Äusserung sei geeignet gewesen, die Öffentlichkeit zu erschrecken.

Was also am Stammtisch ein blöder Spruch ist, ist auf Facebook eine Straftat. Daran werden sich Schweizerinnen und Schweizer erst gewöhnen müssen.*

Ganz anders sieht der Direktor der britischen Staatsanwaltschaft, Keir Starmer, am 19. Dezember 2012 die Problematik. Er setzte gemäss NZZ sehr hohe Hürden für Staatsanwälte fest, gegen Äusserungen auf Internetforen wie Twitter oder Facebook vorzugehen. Blosse Beleidigungen, schockierende oder verstörende Äussserungen zählten in der Regel nicht als Klagegründe, empfiehlt er seinen Untergebenen in einer offiziellen Richtline. Es spielt gemäss seinen Leitsätzen keine Rolle, wie geschmacklos oder schmerzhaft solche Aussagen für Einzelne sein könnten. Die Staatsanwälte sollen lediglich gegen Äusserungen im Interent vorgehen, wenn diese eine glaubwürdige Androohung von Gewalttaten gegen Personen oder Sachen entahlten.

Die Richtlinien stiessen in Grossbritannien auf breite Unterstützung. Für Aufsehen hatte der Fall des Bürgers Paul Chambers gesorgt, der im Januar 2010 auf Twitter schrieb: „Mist der Flughafen Robin Hood ist geschlossen. Ihr habt eine Woche Zeit, um eure Angelegenheiten zu ordnen, oder ich blase den Flughafen in die Luft.“ Ein Strafgericht verurteilte ihn wegen dieser Drohung, doch diesen Sommer hob es der Präsident der Gerichte in England und Wales mit der Begrüdung auf, Chambers habe offensichtlich nur dumm herumgealbert.

Staatsanwälte, Gerichte und Gesellschaft sind also in Europa noch arg auf der Suche, wie Social-Media-Äusserungen zu werten sind.

*Nachtrag vom 3. Mai 2015: Das Bundesgericht hat den Fehlentscheid des Zürcher Bezirksgerichts (und nachfolgend des Zürcher Obergerichts) korrigiert und den Betroffenen freigesprochen. Facebook sei nicht mit der Öffentlichkeit gleich zu setzen.

Die Unverfrorenheit der digitalen Monopolisten Facebook + Co

Die digitalen Monopolisten Facebook, Google, Twitter + Co werden zur Bedrohung für Demokratie, Rechtsstaat und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Unterdessen ist es ein Gemeinplatz, dass Persönlichkeits-, Datenschutz- und Urheberrechte im Internet ausgehebelt werden, weil sie schlicht nicht vollzogen werden können. Der Staat als Kontroll- und Deutungsinstanz hat abgedankt. Facebook schreibt die Datenschutzgesetze, Musiktauschbörsen machen das Urheberrecht zu Makulatur, und auf Prangerwebistes schwingen sich einzelne Bürger zu selbst ernannten Richtern auf.

Neu ist nun auch die Tendenz, dass internationale Provider und die digitalen Monopolisten die Meinungsäusserungsfreiheit und damit die für die Demokratie zentrale Freiheit der Meinungsbildung beschränken.

So wurde der Betreiber des Blogs www.eschenring.ch von seinem Provider darüber informiert, dass der Blog innert 48 Stunden umgeschrieben werden müsse, weil es fünf Beschwerden gegeben habe.

Der Blogger erfuhr nicht, wer sich beschwert hat, nur worüber: Eschenring.ch hatte der Polizei in einem Mordfall vorgeworfen, Unschuldige verdächtigt und ihnen keine Einsicht in Akten gewährt zu haben. So schrieb der Blogger unter anderem „Ein heimliches Stasi-Datennetzwerk wird damit betrieben!“ oder „skandalöse Geheimbehörden schüren Angst & Schrecken“ oder „Zuger Behörden stecken tief im Sumpf illegaler Machenschaften“.

Diese Sätze seien umzuschreiben, verlangte der Provider. Ansonsten werde der Blog geschlossen. Diese Forderung war ultimativ. Zu den Vorwürfen konnte der Blogger nicht Stellung nehmen.

So zügelte er den Content für 3000 Franken zu einem andern Provider.

Ähnlich ging es einem Beobachter-Journalisten, der über eine Zürcher Firma schrieb, die Gentests vertrieb. Hier schloss die Blog-Plattform den Blog schon mal vorsorglich. Erst nach Tagen wurde er wieder frei geschaltet.

Diese Vorkommnisse sind nicht einfach nur unangenehm für ein paar Schreiberlinge. Nein, sie zeigen, wie Provider die Meinungsäusserungsfreiheit beschränken können. Ähnlich machen es Facebook, das zum Beispiel eine Diskussionsgruppe zur Ölpest im Golf von Mexiko von 800’000 Leuten kurzerhand schliesst, und Flickr, das eine Foto einer Reportage löscht, die ein rauchendes Strassenkind zeigt.

Doch die digitalen Monopolisten beeinflussen die Meinungsbildung noch viel subtiler: So personalisiert Google die Suchanfragen mittels Algorithmen, die sich nach den früheren Suchanfragen des Nutzers richten. Ähnlich schlägt Facebook neue Freunde und Amazon neue Bücher vor. Der Nutzer nimmt nur noch wahr, was seinen früheren Interessen gleicht. Überraschendes, unerwartetes scheint gar nicht mehr auf.

Der eidgenössische Öffentlichkeits- und Datenschutzbeauftragte hält das für bedenklich und fordert gesetzliche Regelungen, auch wenn es um Globalplayer gehe. Ähnliches beabsichtigen FDP-Nationalrat Peter Malama, SP-Nationalrat Jean-Christophe Schwaab und CVP-Nationalrätin Viola Amherd mit parlamentarischen Vorstössen, die ein Social Media-Gesetz vergleichbar dem RTVG, ein Recht auf Vergessen und eine Verpflichtung zur angemessenen Berücksichtigung der Meinungsvielfalt fordern.

Diese Vorstösse sind in den letzten Wochen eingereicht worden. Davor war Netzpolitik in der Schweiz kein politisches Thema. Zum Glück ist die Schweiz aufgewacht.

Mehr dazu im aktuellen Beobachter. Und an der Veranstaltung von Reporter ohne Grenzen am 3. Mai 2012 im NZZ-Foyer in Zürich.