Das Bundesgericht hat das Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs gegen eine Journalistin eingestellt, die auf ein besetztes Grundstück ging, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Das ist erfreulich. Aber damit ist für den journalistischen Alltag und die Medienfreiheit leider kaum etwas gewonnen.
Vor fünf Jahren, am 20. April 2016, betrat die Journalistin Jana Avanzini in Luzern gegen Abend ein Grundstück des Unternehmers Jørgen Bodum, das von der Gruppe Gundula besetzt worden war. Über ihren Besuch schrieb sie eine Reportage für das Onlinemagazin Zentralplus.
Die Bodum AG hatte am Vormittag des 20. April 2016 einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gegen unbekannte Täterschaft eingereicht. Gestützt darauf eröffnete die Luzerner Staatsanwaltschaft auch ein Strafverfahren gegen Avanzini. Das anschliessende Verfahren ist ein wunderbarer Stoff für eine juristische Masterarbeit. Mindestens.
Dem Strafverfahren nach fünf Jahren den Boden entzogen
Die Strafbehörden zogen alle Register des Strafrechts – von fehlendem Vorsatz über den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen bis hin zum (vermeidbaren) Verbotsirrtum. Alle prüften und argumentierten. Und allen war irgendwie unwohl, eine recherchierende Journalistin zu verurteilen. Fast alle verurteilten doch (vgl. unten). Und am Schluss kommt nun das Bundesgericht und entzieht dem ganzen Strafverfahren den Boden: Es gab gar keinen gültigen Strafantrag (Urteil 6B_1214/2020 vom 25. März 2021).
Ein Strafantrag kann sich gemäss Bundesgericht in der Regel nur auf begangene Delikte beziehen, also auf einen Sachverhalt, der sich bereits ereignet hat. Nur bei einem Dauerdelikt wie Hausbesetzung könne man den Strafantrag auch auf Sachverhalte ausdehnen, die sich später abgespielt haben. Das sei aber beschränkt auf Mittäter oder Gehilfen, die den gleichen Vorsatz wie die Haupttäter haben, meint nun das Bundesgericht.
Im konkreten Fall habe die Journalistin erst nach Einreichen des Strafantrags (Vormittag) das Grundstück betreten (Abend). Von diesem Strafantrag ist sie gemäss Bundesgericht nur miterfasst, wenn sie den gleichen Vorsatz hatte, wie die Täter. Der Strafantrag habe sich zwar gegen unbekannte Täterschaft gerichtet, aber mit ihm wurde gemäss Bundesgericht die durch die Gruppe Gundula „initierte und organisierte Hausbesetzung als Lebenssachverhalt zur Anzeige gebracht“. Das heisst: Der Strafantrag hätte die Journalistin nur miterfasst, wenn sie den Vorsatz gehabt hätte, Mittäterin oder Gehilfin der Hausbesetzer:innen zu sein. Das hatte sie aber gemäss Bundesgericht nicht. Sie habe eine Reportage schreiben wollen und nicht das Haus besetzen. Deshalb fehlt es gemäss Bundesgericht an einem gültigen Strafantrag. Und deshalb stellt es das Strafverfahren ein.
Schlecht für die Medien
Gut für Jana Avanzini. Gut für das Strafprozessrecht, das einen Leading Case mehr hat. Schlecht für die Medien. Denn ein (allenfalls zusätzlicher) gültiger Strafantrag auch gegen missliebig recherchierende Journalist:innen ist in Zukunft schnell gestellt.
Und dann stellen sich wieder all die ungeklärten Grundsatzfragen: Hat ein Journalist, der auf einem besetzten Grundstück recherchiert, den Vorsatz Hausfriedensbruch zu begehen? Muss sich eine Journalistin zuerst bei (Straf-)Behörden über die Rechtslage erkundigen, bevor sie sich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann? Und: Welche Auskunft geben diese Behörden? Denn die Rechtslage ist heute so unklar wie zuvor. Können sich Journalistinnen auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen berufen? Und unter welchen Voraussetzungen? Nur, wenn sie auf dem Grundstück Missstände von öffentlichem Interesse festgestellt haben? Und wie weiss man das als Journalist, wenn man eigentlich gar nicht aufs Grundstück dürfte?
Allen war irgendwie unwohl
Schaut man auf die Prozessgeschichte war allen beteiligten Strafbehörden irgendwie unwohl. Alle suchten sie unterschiedliche Argumentationen, um das Dilemma des Zusammenstosses von Medienfreiheit und Eigentumsgarantie abzumildern.
Die Staatsanwaltschaft Luzern stellte das Verfahren am 18. Juni 2018 auf Einsprache hin ein. Die Journalistin habe keinen Vorsatz für Hausfriedensbruch gehabt; zudem habe sie mit ihrer Recherche vor Ort Informationsinteressen verfolgt und könne sich auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen berufen.
Nachdem das Kantonsgericht Luzern die Staatsanwaltschaft zurückgepfiffen hatte (So grundsätzliche Fragen dürfe nicht ein Staatsanwalt, sondern müsse ein Richter entscheiden), verurteilte das Bezirksgericht Luzern die Journalistin wegen Hausfriedensbruchs am 26. Juni 2019 zu einer Busse von 500 Franken. Das Strafmass fiel sehr tief aus, weil die Richter:innen der Journalistin einen Verbotsirrtum zubilligten, der aber vermeidbar gewesen wäre. Die Journalistin hätte sich vorgängig bei der Staatsanwaltschaft oder einer anderen Behörde über die Rechtslage informieren müssen. Das Kantonsgericht Luzern bestätigte das Urteil.
Alle diese Entscheide der Vorinstanzen sind mit dem Urteil des Bundesgerichts Makulatur. Und Journalist:innen müssen weiterhin mit grosser Rechtsunsicherheit leben, wenn sie auf einem besetzten Grundstück recherchieren.
Etwas höhere Hürde durch ausdrücklichen Strafantrag gegen Medien
Immerhin muss ein Grundeigentümer in Zukunft wohl einen separaten Strafantrag spezifisch gegen die Journalistin, den Journalisten stellen, der auf dem besetzten Gelände recherchierte. Und das tut er vielleicht – im Unterschied zu einem Strafantrag gegen die Hausbesetzer:innen selbst – möglicherweise nicht.
Bodum hätte es wohl getan. Das zeigt die Hartnäckigkeit, mit der er Jana Avanzini ins Recht zu fassen versuchte. Selbst auf das Risiko hin, dafür einen (tiefen) fünfstelligen Betrag für Gerichts- und Anwaltskosten hinblättern zu müssen.