Das Informationsverhinderungsgesetz

In den letzten Jahren sorgte das Bundesgericht für mehr Transparenz in der Justiz. Die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft hat aber einen Weg gefunden, um die Geheimjustiz bei Strafbefehlen und Einstellungsverfügungen weiterzuführen. Absurderweise mit Hilfe des so genannten Informations- und Öffentlichkeitsgesetzes.

Mutig hat das Bundesgericht 1998 entschieden, dass auch Strafbefehle dem Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung unterliegen – Medien können sie also wie Urteile einsehen. Ein konsequenter Schritt, denn mehr als 90 Prozent aller Strafurteile werden nicht mehr von Richtern, sondern von den Staatsanwälten gefällt. Eine Entwicklung, die durch die eidgenössische Strafprozessordnung noch massiv verstärkt werden wird.

Einen bedingten Anspruch auf Einsicht gab das höchste Schweizer Gericht den Journalisten 2008 auch bei Einstellungsverfügungen. Und so erfuhr die Öffentlichkeit zum Beispiel, auf wie dürftiger Grundlage das Strafverfahren wegen Nötigung und Pornographie gegen Ex-Armeechef Roland Nef eingestellt wurde. Beobachter und Weltwoche konnten die Einstellung wegen Wiedergutmachung gegen den Willen der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft einsehen. Und prompt löste die Berichterstattung darüber parlamentarische Vorstösse aus, die zum Ziel haben, die Einstellung bei Wiedergutmachung massiv einzuschränken.

Jetzt haben Oberstaatsanwalt Brunner und Co einen Weg gefunden, allzu kritische Journalisten trotzdem fernzuhalten. In einem neuen Entscheid verweigern sie die Einsicht in einen Strafbefehl und eine Einstellungsverfügung und auferlegen dem Journalisten, dessen Gesuch vom entscheidenden Staatsanwalt zuerst gutgeheissen wurde, die Entscheidgebühr von 2000 Franken und eine Parteientschädigung von 4000 Franken. Gegen diesen Kostenentscheid rekurrierte der Tages-Anazeiger-Journalist vergebens vor Zürcher Verwaltungsgericht.

Die Oberstaatsanwaltschaft verfüge in dieser Frage über ein weites Ermessen. Es liege deshalb keine Verletzung des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vor, meinten die Richter.

Die Konsequenz für die Journalisten: Sobald gegen ein Einsichtsgesuch rekurriert wird, müssen sie das Gesuch zurückziehen, sonst laufen sie Gefahr bei der eher medienfeindlichen Oberstaatsanwaltschaft ins Kostenmesser zu rennen. Somit hat der Rekursgegner, der die Einsicht verweigern will, ein simples und effizientes Mittel, Transparenz zu unterbinden.

Oberstaatsanwalt Brunner wehrt sich gegen den Vorwurf, so Geheimjustiz zu schaffen. Die Strafbefehle würden einen Monat kostenlos zur Einsicht aufgelegt. Erst wenn man danach Einsicht verlange, würden Kosten auferlegt. Dies genüge den Ansprüchen des Bundesgerichts.

Mag sein, aber es verunmöglicht Justizkontrolle. Denn in wichtigen Fällen – wie zum Beispiel im Fall Nef – wird erst im Nachhinein klar, dass Kontrolle nötig ist.

Die absurde Situation entsteht durch das Zürcher Informations- und Datenschutzgesetz IDG. Denn dieses wird neu angewendet, wenn Journalisten einen Strafbefehl oder eine Einstellungsverfügung herausverlangen. Das heisst, dass das Einsichtgesuch den Betroffenen zur Stellungnahme zugestellt wird. Das verlängert zum einen das Einsichtsverfahren, zum andern macht es eine Beschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft erst möglich. Falls diese dann gegen die Einsicht entscheidet, fallen gestützt auf das Verwaltungsrechtspflegegesetz die prohibitiv hohe Kosten an – wenn es der Oberstaatsanwaltschaft gerade so passt.

Damit aber kann ein bundesverfassungsrechtlicher Anspruch auf Einsicht in Urteile und Strafbefehle durch ein kantonales Gesetz ausgehebelt werden. Das kann nicht richtig sein.

Vergleicht man den Ablauf mit der Einsicht in Urteile wird die stossende Situation sofort klar: Bei der Einsicht in Urteile entscheidet das Gericht darüber – ohne Anhörung der vom Urteil Betroffenen – allein gestützt auf Art. 30 Abs. 3 BV. Die Einsicht wird fast immer gewährt – ausser natürlich zum Beispiel in Vormundschaftssachen. Eine Parteianhörung findet nicht statt. Kosten fallen keine an. Justizkontrolle ist möglich.