Verfassungswidrige Praxis der Strafbehörden

Einstellungsverfügungen von Strafbehörden müssen wie Urteile verkündet werden – sicher dann, wenn sie aufgrund einer Wiedergutmachung (Art. 53 StGB) ergangen sind. Das hat das Bundesgericht in einem neuen Entscheid festgehalten, den der Beobachter publik gemacht hat (1B_70/2012, Erw.3.4).

Die Praxis sämtlicher Kantone,  solche Einstellungsverfügungen nicht öffentlich aufzulegen, widerspricht somit dem verfassungsmässigen Prinzip der Justizöffentlichkeit (Art. 30 Abs. 3 BV).

Die Kantone Sankt Gallen, Zürich und Bern, die über den Zugang der Medien zu Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB gar erst nach einem langwierigen Stellungnahmeverfahren bei den Betroffenen entscheiden, verhalten sich gar doppelt verfassungswidrig.

Offenbar macht dieser verfassungswidrige Zustand den Strafbehörden nichts aus. Sie empfehlen Journalisten, halt einen Pilotprozess zu führen. Doch: Was soll ein Pilotprozess, wenn das Bundesgericht die Rechtsfrage bereits entschieden hat?

Genau gleich verhalten sich die Strafbehörden der meisten Kantone (Ausnahme Sankt Gallen) bei der Frage, ob Journalisten von Einstellungsverfügungen oder Strafbefehlen eine Kopie anfertigen dürfen. Die Strafbehörden verbieten das den Medien entgegen einem klaren Präjudiz des Bundesgerichts (Urteil 1P.298/2006 vom 1. September 2006).

So teilte der Zürcher Oberstaatsanwalt Martin Bürgisser Justizblog lapidar mit: „Wir haben die Frage der Kopien damals eingehend besprochen und möchten einstweilen bei unserer Praxis bleiben.“

Nachtrag August 2012: Auf Druck des Recherchenetzwerks investigativ.ch haben einige Strafverfolgungsbehörden ihre Praxis zur Auflage von Einstellungsverfügungen und zur Abgabe einer Kopie geändert.

Wie die AKW-Aufsicht Bürger abwimmelt

Ein Bürger will wissen, wieso ein Strafverfahren gegen Verantwortliche des AKW Gösgen wegen einer unterlassenen Meldung eines Störfalls eingestellt wurde. Das Bundesamt für Energie verweigert die Einsicht in die Einstellungsverfügung – der Bürger habe kein schutzwürdiges Interesse.

Am 24. Juni 2008 fallen alle vier 48-Volt-Gleichrichter des Notstandsystems im Kernkraftwerk Gösgen (KKG) aus. Der Störfall wird behoben, aber erst acht Monate später dem Eidgenös­sischen Nuklearsicherheits­inspektorat (Ensi) gemeldet. Das Gesetz verlangt aber eine Meldung innert 24 Stunden. Deshalb reicht das Ensi Straf­anzeige wegen Meldepflichtverletzung gegen die Betreiber des Kernkraftwerks ein.

Doch ohne Erfolg: Das Bundesamt für Energie stellt das Strafverfahren Anfang Juli 2011 ein. Es könne «nicht festgestellt werden, ob und wann von welchen Mitarbeitenden des KKG ein meldepflichtiges Ereignis hätte angenommen werden müssen».

Mehr steht nicht in der Pressemitteilung des Bundesamts. Spätestens seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima weiss man, wie wichtig Aufsichtsbehörden und die Aufsicht über Aufsichtsbehörden von Kernkraftwerken sind. Deshalb will Marco Zurfluh* die ganze Begründung der Einstellungsverfügung erfahren. Nur so lässt sich kontrollieren, ob die Aufsichtsbehörden sorgfältig arbeiten und ob sie über alle nötigen rechtlichen Mittel verfügen, um eine effektive Kon­trolle auszuüben.

Doch Zurfluhs Gesuch wird vom Bundesamt für Energie abgeblockt: Er habe als einfacher Bürger kein schutzwürdiges Interesse an einer Einsicht in das Dokument. «Von einem Reaktorunfall wäre ich aber sehr wohl betroffen», kritisiert Zurfluh diese Argumentation.

Weil Medien ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in Einstellungsverfügungen grundsätzlich zuerkannt wird, hat  der Beobachter ein Einsichtsgesuch gestellt und das entsprechende Dokument erhalten. Die AKW-Spezialisten prüfen nun die Begründung. Fortsetzung folgt.

Im Nachhinein mailte das Bundesamt für Energie Zurfluh übrigens, er solle doch nochmals ein Gesuch stellen und dartun, dass er im Gefahrenperimeter wohne – dann könne die Einsicht vielleicht gewährt werden. Dass Zurfluh in Küsnacht wohnt und deshalb bei einer Katastrophe gefährdet wäre, hätte das Bundesamt bereits beim ersten Gesuch am Briefkopf unschwer ablesen können.

* Name geändert

Medienanwalt Glasl eilt Staatsanwälten zu Hilfe

Rechtsanwalt Daniel Glasl redet die Transparenz der Staatsanwaltschaften schön. Die Medienfreiheit sei nicht in Gefahr, titelte er am 10. Mai 2011 in einem Gastbeitrag der NZZ. Und zeigte damit seine Naivität.

Medienanwalt Glasl reagiert mit seinem Kommentar auf einen Artikel in der NZZ, in dem ich schilderte, wie die Staatsanwaltschaften seit Anfang Jahr mit überlangen Verfahren und prohibitiven Kosten, die Medien davon abhalten, die Arbeit der Strafverfolger zu kontrollieren. Glasl referiert des langen über die Persönlichkeitsrechte, analysiert drei Fälle oberflächlich, hat aber von der eigentlichen Problematik wenig begriffen.

Denn mir und andern Medienschaffenden geht es nicht darum, eine Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten zu verhindern. Aber diese Abwägung soll der Staatsanwalt ohne langes Stellungnahmensverfahren machen – genau wie es die Gerichte seit Jahrzehnten zur vollen Zufriedenheit von Betroffenen und Medien machen und die Strafverfolger gemacht haben. Diese effizienten Einsichtsentscheide dauern meist nur Stunden oder ein, zwei Tage, kosten kaum etwas und erlauben die umfassende Sicherung der Persönlichkeitsrechte in der Interessenabwägung der in solchen Fragen erfahrenen Richter und Staatsanwälte.

So lief die Einsicht in Strafbefehle jahre- und jahrzehntelang problemlos. Erst seit Entscheiden des Bundesgerichts, welche die Rechte der Medien stärkten, haben die Staatsanwaltschaften zu mauern begonnen. Zumindest in Zug und Zürich – den finanzkräftigen Zentren mit Firmen und Privatpersonen, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen – vor allem wenn sie sich von Strafverfahren via Art. 53 StGB loskaufen. Und denen sich Glasl offenbar mit seinem Text empfehlen will. Greift diese Praxis um sich, ist die Geheimjustiz im Vormarsch und die Medienfreiheit eben doch in Gefahr.

In Basel und neu auch Luzern hingegen geht es übrigens anders: Da entscheiden die Staatsanwälte wie bisher selbst über Einsichtsgesuche – ohne langes Verfahren und mit minimalen Kosten für die Medien. Es geht also. Rechtlich lässt sich diese Lösung darauf stützen, dass Einsicht in sensible Personendaten gewährt wird, wenn das Gesetz (Art. 30 Abs. 3 BV und EMRK 6) dies erlaubt. Es braucht also keine Einwilligung des Betroffenen wie dies in Zürich und Zug neu konstruiert wird. Ansonsten müsste man konsequenterweise dasselbe prohibitive Einsichtsverfahren für die Einsicht in Urteile einführen – und davon ist das Bundesgericht, das seine Entscheide fast vollständig im Internet publiziert (!) weit entfernt.

Also Staatsanwälte: Stellt Eure Strafbefehle und Einstellungsverfügungen ins Internet. Denn gemäss Bundesgericht gibt es unter dem Aspekt von Art. 30 Abs. 3 BV keine nennenswerten Unterschiede zwischen Urteilen und Strafbefehlen.

Unkontrollierbare Strafjustiz in St. Gallen

 

Im Kanton St. Gallen darf man nicht wissen, wie ein Raser bestraft wurde, der mit 260 kmh über die Autobahn und mit 160 kmh durch Dörfer fuhr.

Mit so einer Abfuhr hätte Martin Meier (Name geändert) nicht gerechnet. Dabei wollte er nichts Unsittliches vom ersten Staatsanwalt des Kantons St. Gallen. Nur eine Auskunft. Er hatte in der Zeitung gelesen, dass zwei Jugendliche ohne Fahrausweis mit einer Geschwindigkeit von 260 Stundenkilometern auf der Autobahn und mit 160 Stundenkilometer innerorts vor der St. Galler Polizei geflohen waren. Meier hatte die Strafverfolger gefragt, „welche Belohnung diese Schurken für diese Raserei erhalten haben.“ Nach fast einem Jahr und einem zweiten Brief erhielt der Rentner Antwort: „Da ich nicht davon ausgehe, dass Sie mit der ausgesprochenen Strafe zufrieden wären, weil sie wohl deutlich unter Ihren Erwartungen liegt, verzichte ich auf nähere Angaben“, antwortete Dr. iur. Thomas Hansjakob, erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, in knappen sechs Zeilen.

„Ist es möglich und zulässig, dass derart krasse Straftaten ‚hinter verschlossenen Türen’ behandelt werden können, und die Öffentlichkeit darüber nichts mehr erfahren darf?“, fragte Meier. Eigentlich nicht. Immer wieder hat das Bundesgericht betont, dass auch Strafentscheide von Staatsanwälten öffentlich gemacht werden müssen. Eine solche Justizkontrolle bedeute „eine Absage an jede Form geheimer Kabinettsjustiz“. Und das eidgenössische Strafprozessordnung hält seit Anfang Jahr unmissverständlich fest, dass jedermann auch Einsicht in Strafbefehle nehmen kann. Das ergibt sich gemäss der juristischen Fachzeitschrift plädoyer aus den Materialien zum neuen Art. 69 StPO (vgl. plädoyer 2/11, Seite 6). Doch offenbar hält sich der Kanton St. Gallen nicht daran.

Nun versuchte ich es als Journalist. Medien können auch berechtigte Interessen wie die Justizkontrolle geltend machen, Aber Thomas Hansjakob wies auch dieses Einsichtsgesuch ab – immerhin brauchte er diesmal nur einen Tag. Der Strafverfolger befand, dass es im Interesse des damals knapp 18-jährigen Beschuldigten liege, den Entscheid geheim zu halten. Und dieses Interesse sei wichtiger als jenes der Öffentlichkeit an der Information.

Seinen Schnellentscheid hat der Staatsanwalt nicht nur kaum begründet, sondern dabei auch vergessen, dass man den Namen des Betroffenen problemlos anonymisieren könnte. Ich möchte den Jugendlichen nämlich nicht an den Pranger stellen, sondern die Arbeit der Staatsanwaltschaft kontrollieren und zum Beispiel klären, wie es trotz der massiven Tempoüberschreitungen zu einem so milden Urteil kommen kann. Staatsanwälte können nämlich nur tiefe Strafen – oft bedingte Geldstrafen – selbst ausfällen. Aber vielleicht gibt es gute Gründe für die Milde. Dies zu erklären wäre wichtig, damit die Bürger das Strafrecht verstehen und kompetent abstimmen können. Bereits haben 110’000 Personen die eidgenössische Initiative „Schutz vor Rasern“ unterschrieben. Wird diese Initiative angenommen, müssen Raser zwingend ein bis vier Jahre ins Gefängnis, auch wenn es noch so gute Gründe für tiefere Strafen gäbe. Doch statt ihre Praxis zu erklären, schiebt die St. Galler Staatsanwaltschaft Täterschutz vor und verschanzt sich vor der Öffentlichkeit.

Geheimniskrämerei herrscht auch bei den Strafverfolgern der Kantone Zürich, Zug und Bern (vgl. Justizblog berichtete). Und schweizweit werden inzwischen mehr als 95 Prozent aller Strafurteile von Staatsanwälten gefällt, weniger als 5 Prozent von Gerichten. Viele Gerichte stellen ihre Entscheide ins Internet. Staatsanwälte hingegen geben nicht einmal auf Gesuch hin Auskunft. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht. Deshalb verlangt nun in Bern Grossrat Harald Jenk per Interpellation Auskunft über die intransparente Praxis. Und der Entscheid des St. Galler Staatsanwalts Thomas Hansjakob wurde angefochten.

Nachtrag Juli 2011: Die Beschwerde gegen den Entscheid des Staatsanwalts Hansjakob war erfolgreich: Strafbefehle können im Kanton St. Gallen nun herausverlangt werden. Dies hat das St. Galler Appellationsgericht entschieden. Mehr dazu hier.

Geheimniskrämerei der Staatsanwälte

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug will zwar Einsicht in die Einstellungsverfügung im Fall FIFA geben, verlangt für das gutgeheissene Gesuch aber vom Gesuchsteller 1000 Franken. Dagegen hat der Beobachter nun Beschwerde eingereicht.

Der Fall sorgte für Verwunderung: Da ermittelten Zuger Staatsanwälte fünf Jahre lang gegen die Fifa und zwei bekannte Persönlichkeiten, welche den Weltfussballverband vertraten. Der Verdacht: ungetreue Geschäftsbesorgung und Veruntreuung. Doch trotz ermutigenden Ermittlungsergebnissen stellte die Zuger Staatsanwaltschaft das Verfahren letzten Oktober nach Art. 53 StGB ein, weil Beschuldigte 5,5 Millionen Franken Wiedergutmachung zahlten.

Ein Gesuch um Einsicht in diese Einstellungsverfügung hiess die Zuger Staatsanwaltschaft zwar Ende Februar 2011 vollumfänglich gut, auferlegte aber einzig dem Gesuchsteller Kosten in der Höhe von 1000 Franken. Die Begründung: „Vor dem Hintergrund, dass der Gesuchsteller als nicht betroffener Person die Verfahrenshandlung gemäss § 23 VRG veranlasst hat und der Gesuchsteller als Journalist auch gewinnorientiert arbeitet, rechtfertigt es sich, dem Gesuchsteller die Kosten der Verfügung aufzuerlegen.“

Dagegen hat der Beobachter nun Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbotes eingelegt. Die normalen Kosten von 250 Franken ist er bereit zu übernehmen. Den Mehraufwand hingegen nicht. „In casu ist der angefallene Mehraufwand jedoch ausschliesslich den Einsprachegegnern zuzuschreiben“, heisst es in der Beschwerdeschrift.

Es geht bei der Beschwerde nicht darum, 750 Franken zu sparen, sondern um ein Präjudiz zugunsten der Justizkontrolle. Denn müssen Medienschaffende selbst bei gutgeheissenem Gesuch mit Kosten in vierstelliger Höhe rechnen, werden kaum mehr Einsichtsgesuche gestellt und damit faktisch das Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 BV ausgehebelt (vgl. auch Justizblog zur ähnlichen Praxis der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft).

Einstellungsverfügung im Fall Nef

Die Einstellungsverfügung im Fall Nef zeigt: Wer zahlt, kann sich viel zu einfach von einem Strafverfahren freikaufen. Deshalb muss dringend das Strafgesetz geändert werden.

Jetzt ist sie öffentlich, die Einstellungsverfügung im Fall Nef. Es sind sechs Seiten. Darin begründet die Zürcher Staatsanwältin Judith Vogel, weshalb sie das Strafverfahren wegen sexueller Belästigung, Nötigung und Pornographie gegen Armeechef Roland Nef im Oktober 2007 eingestellt hat. Nef hat sich mehr als zwei Jahre lang dagegen gewehrt, dass dieses Papier öffentlich wird.

Und jetzt wird klar: Es steht fast nichts Neues drin. Weder die Summe, die Nef dem Opfer – seiner Ex-Partnerin – als Wiedergutmachung gezahlt hat, noch Details zur Strafuntersuchung selbst. Aufhorchen lässt einzig, dass Nef „in Würdigung aller Gesamtumstände noch mit einer bedingten Strafe rechnen hätte können“.

Im Klartext: Die Vorwürfe haben sich in der Strafuntersuchung offenbar erhärtet. Nef hat seine Ex-Partnerin „mittels Mobiltelefonen, Briefen und SMS, meist sexuellen Inhalts, sowie durch die Zusendung von Sex-Zeitschriften und einer ebensolchen DVD belästigt“ – 18 Monate lang. Zudem hat er offenbar im Namen der Ex-Partnerin auf Sex-Inserate geantwortet. Das Ganze war so schlimm, dass in den Augen der Staatsanwältin eine bedingte Strafe gerade noch drinlag.

Offenbar war es also ein schwerer Fall von Nötigung. In solchen Fällen will das Gesetz, dass ein Strafverfahren durchgeführt wird – egal, ob das Opfer dies möchte oder nicht. Solch schwere Straftaten sollen einfach geahndet werden, weil ein grundsätzliches öffentliches Interesse daran besteht, dass solche Täter nicht ohne Strafe herumlaufen können. Deshalb sind Delikte wie Nötigung oder Pornographie Offizialdelikte, und der Staat muss von Amtes wegen ermitteln. So will es der Gesetzgeber.

Einzige mögliche Ausnahme: Wenn der Täter Wiedergutmachung geleistet hat und „das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung gering ist“ (Art. 53 StGB).

Staatsanwältin Judith Vogel wischt die Frage, ob dies bei Nef zutrifft, mit einem einzigen Satz vom Tisch: „Die strafbaren Handlungen richteten sich nicht gegen eine Vielzahl von Menschen, sondern gegen eine bestimmte Person, und diese hat eine ausdrückliche Desinteresseerklärung abgegeben.“ Darum sei das Interesse an einer Strafverfolgung gering.

Im Klartext heisst das: Das Opfer kann bestimmen, ob der Staat einen Täter vor Gericht bringen soll – selbst bei Nötigung und Pornographie. Und wenn der Täter genug zahlt, kommt er nicht vor Gericht. Offizialdelikte werden so zu Antragsdelikten mit Kostennote.

Das darf nicht sein. Vordringliche Aufgabe von Staatsanwälten ist es, Täter vor Gericht zu bringen, wenn sich ein Verdacht auf ein schweres Delikt erhärtet. Wenn Art. 53 trotzdem die Einstellung ermöglicht, muss dies erstens zurückhaltend angewendet und zweitens ausführlich begründet werden.

Ansonsten kann man sich allzu leicht von Strafverfahren loskaufen – was Reichen möglich ist, Armen hingegen nicht. Für eine solche Klassenjustiz gibt es bereits Anzeichen: Der Milliardär Viktor Vekselberg konnte sich unlängst zusammen mit Mitangeklagten von einem Strafverfahren wegen Börsenvergehen freikaufen – für 10 Millionen Franken. Die Fifa konnte dank einer Zahlung von 5,5 Millionen Franken ein Verfahren gegen zwei ausländische Mitarbeiter beilegen, die Schmiergelder empfangen hatten. Und Carl Hirschmann, am Pranger wegen Körperverletzung, einigte sich dank einer Wiedergutmachung in unbekannter Höhe ebenfalls ohne vors Gericht stehen zu müssen.

Deshalb ist der Entscheid des Bundesgerichts so wichtig: Medien können nun kontrollieren, wie die Staatsanwälte in solchen Fällen genau entscheiden. Auch wenn bei so rudimentär begründeten Entscheiden wie im Fall Nef kaum eine vertiefte Kontrolle möglich ist. Wenigstens wird deutlich, wie einfach Täter sich freikaufen können.

Und wie schnell das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung auf der Strecke bleibt, denn es ist bei den Staatsanwälten in schlechten Händen. Die Untersuchungsbehörden haben nämlich ein Interesse, dass Fälle eingestellt werden, wenn der Täter zahlt: So gehts schnell, so ist man effizient, so steigert man die Erledigungszahlen und wird Ende Jahr gelobt. Der Gesetzgeber hat den Strafverfolgern kaum Schranken gesetzt: Bei Strafen bis zu 24 Monaten bedingt besteht diese Möglichkeit. Also auch bei schweren Körperverletzungen, Betrug, Vergewaltigungen.

Darum muss jetzt dringend das Parlament über die Bücher und den Artikel 53 des Strafgesetzbuchs abschaffen oder in der Anwendung einschränken.

Einstellungsverfügung und Bundesgerichtsentscheid sind aufgeschaltet unter www.beobachter.ch

Fall Nef: Grundsatzfrage vor Bundesgericht

Ex-Armeechef Roland Nef geht ans Bundesgericht, um zu verhindern, dass die Medien die Einstellungsverfügung einsehen können, mit der das Strafverfahren gegen ihn durch eine Wiedergutmachung kurz vor seinem Amtsantritt als Armeechef beendet wurde. Er hat den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts, welches Einsicht gewähren wollte, angefochten.

Damit erhält das Bundesgericht Gelegenheit, die Frage zu entscheiden, ob kantonale Datenschutzgesetze bei der Einsicht in Einstellungsverfügungen überhaupt anzuwenden sind. Dies ist problematisch, weil viele kantonale Öffentlichkeitsgesetze verlangen, dass die Parteien zum Einsichtsbegehren angehört werden.

Die Parteianhörung verlängert die Einsicht in richterliche Entscheide von 24 Stunden auf zwei und mehr Jahre. Denn Staatsanwälte entscheiden nicht mehr selbständig, ob Einsicht gewährt wird, sondern haben ein im Endeffekt jahrelanges Verfahren einzuleiten, das faktisch auf eine Vereitelung des Einsichtsanspruchs von Art. 30 BV hinausläuft.

Damit würde genau jene Transparenz verhindert, welche das Bundesgericht mit seinem Präjudiz vom April 2008 auch bei Einstellungsverfügungen herstellen wollte.

Und: Wer sagt, dass nicht bald auch bei der Einsicht in Strafbefehle, ja sogar in Urteile die Parteien angehört werden müssen und die Einsichtsgesuche erst nach Jahren entschieden sind? Damit würde Justizkritik massiv erschwert.

Neues zum Fall Nef

Der Fall Nef dreht weiter. Still und leise. Und ist eigentlich schon längst kein Fall Nef mehr, sondern ein Fall Zürcher Justiz.

Da haben vier Medien – darunter der Beobachter – Einsicht verlangt in die Einstellungsverfügung im Strafverfahren gegen den Ex-Armeechef wegen Nötigung. Und es geht den Medien nicht etwa darum, den zurückgetretenen Nef immer weiter zu drangsalieren. Nein. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres: Die Medien wollen überprüfen, ob die Zürcher Staatsanwaltschaft einen Prominenten bevorzugt behandelt hat und ihm geholfen hat, überhaupt Armeechef zu werden.

Allzu auffällig ist nämlich, dass das Strafverfahren gegen den mutmasslichen Stalker Roland Nef kurz nach seiner Wahl und kurz vor seinem Amtsantritt im Oktober 2007 eingestellt wurde, weil er seiner Ex-Partnerin eine Geldsumme in unbekannter Höhe gezahlt hat. Normalerweise werden Stalking-Fälle zwischen Ex-Partnern anders eingestellt. Da muss der Täter sich ein halbes Jahr wohlverhalten, bevor die Staatsanwälte das Verfahren ad acta legen. Nicht so bei Nef: Er musste nur zahlen und das Verfahren wurde sofort gestrichen. Wäre bei ihm das übliche Verfahren angewendet worden, hätte er sein Amt wohl nicht antreten können, weil er sich erst in der halbjährlichen Bewährungsphase befunden hätte. Das Strafverfahren wäre bei Amtsantritt noch nicht eingestellt gewesen.

Unter anderem deshalb will der Beobachter die Einstellungsverfügung sehen und stellte ein Einsichtsgesuch bei Staatsanwalt Hans Maurer. Der wollte Einsicht gewähren. Doch Nef rekurrierte dagegen an die Oberstaatsanwaltschaft, die ihm recht gab: Keine Einsicht. Unter anderem weil der Zürcher Regierungsrat – in einem dünnen achtseitigen Bericht – bereits dargetan habe, dass Nef nicht bevorzugt behandelt worden sei. Wie wenn eine verwaltungsinterne Aufsichtsbehörde die unabhängige Justizkontrolle der Medien ersetzen könnte.

Das bisher letzte Kapitel schrieb soeben das Zürcher Verwaltungsgericht, an das der Beobachter den Fall weiterzog. Es erklärte sich in seinem Beschluss vom 29. Juli für nicht zuständig, obwohl die Oberstaatsanwaltschaft in ihrem Entscheid genau diese Instanz als Beschwerdeinstanz angegeben hatte. Sie würden sich nicht um Streitigkeiten über Datenherausgaben kümmern, argumentierten die drei Zürcher Verwaltungsrichter. Das hätten sie nie getan und würden sie auch in Zukunft nicht tun. Und nach einigen dialektischen Purzelbäumen erklären die Verwaltungsrichter flugs das Zürcher Obergericht zuständig für den Fall. Anständigerweise nimmt das Gericht die Gerichtskosten auf die eigene Kasse. Unanständigerweise spricht es aber keine Parteientschädigung zu.

Die heisse Kartoffel wird weitergereicht. Fortsetzung folgt.