Vorratsdaten hebeln Quellenschutz aus

Anhand von Natel- und Festnetzdaten, die in der Schweiz 6 Monate lang auf Vorrat gespeichert werden, können Strafverfolgungsbehörden die Identität geheimer Informanten aufdecken. Der journalistische Quellenschutz ist gefährdet.

Für einmal hat selbst Christoph Blocher geschlafen. Da ermittelt die Zürcher Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Gehilfenschaft und Anstiftung zur Bankgeheimnisverletzung im Fall Hildebrand. Sie durchsucht im März 2012 sein Haus, beschlagnahmt Dokumente und Datenträger. Zuerst reagiert Blocher richtig, verlangt die Versiegelung und wehrt sich erfolgreich bis vor Bundesgericht: Die Strafverfolger dürfen keine journalistischen Dokumente der «Weltwoche» verwenden – weder in Papier- noch in Datenform, urteilen die Richter (Urteil vom 22. Juli 2014 1B_424/2013, 1B_436/2013.) Das Präjudiz ist wichtig. Denn in Zukunft sind journalistische Dokumente immer geschützt – egal, wo sie liegen.

Und alert ist der Milliardär auch noch im August 2013, als er erfährt, dass die Strafverfolger die Randdaten seiner Kommunikation mit Handy, Festnetz und E-Mail auswerten wollen – also etwa Adressat und Dauer. Doch dann begeht er einen Fehler. Denn mit keinem Wort verlangt er, dass die Daten der Gespräche mit Journalisten nicht verwertet werden dürfen, weil sie eben auch dem Quellenschutz unterstehen. So weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, ohne den Quellenschutz zu erwähnen (Urteil vom 22. Juli 2014 1B_420/2013). Medienschaffende müssen deshalb weiterhin damit rechnen, dass ihre InformantInnen auffliegen, wenn sie ins Visier der Strafverfolger geraten.

Anhand dieser Randdaten können Strafverfolger nicht nur ablesen, wer mit wem, wann und wo gemailt und per Natel oder Festnetz telefoniert hat, sondern sogar, wo sich die Person aufgehalten hat. Die Mobilfunkantennen übermitteln periodisch, welche Handys sich in der Nähe befinden. Diese Daten werden sechs Monate lang gespeichert. Es sind in Wirklichkeit nicht Rand-, sondern Kerndaten – wenn man im Sprachbild bleiben will. Und die Rechtslage in Sachen Quellenschutz ist ungeklärt. Zwar muss der Staat von sich aus alle Daten aussondern, die ein Berufsgeheimnis verletzen (Art. 271 StPO), und der Quellenschutz fällt unter diese Regelung. Doch das nützt nichts; denn die Behörde, die aussondert, müsste paradoxerweise auch wissen, dass die Person die geheime Quelle eines Journalisten ist. Und wer (als Journalistin oder Informant) verlangt, dass bestimmte Daten ausgesondert werden, deckt die Quelle gerade auf. Das Problem sieht man selbst beim Bund: «Je nachdem, wer die Quelle ist und wie oft diese Quelle auch sonst mit Journalisten Kontakt hat, ist das vermutlich ein mehr oder weniger starkes Indiz», bestätigt Nils Güggi, Informationsbeauftragter des Dienstes für Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (ÜPF).

Was können Medienschaffende tun? Verschlüsselt mailen genügt nicht, Absenderin und Empfänger bleiben dabei erkennbar, nur der Inhalt ist nicht lesbar. Um sich zu schützen, bräuchte es komplexe Technologie (wie das «Tor»-Netzwerk). Medienschaffende können aber ihre InformantInnen anweisen, beim Dienst ÜPF präventiv die Löschung der gemeinsamen Kommunikation zu verlangen – sofort, und nicht erst wenn ein Verfahren zur nachträglichen Telefonüberwachung läuft. Sinnvoller ist es, die Vorratsdatenspeicherung ganz abzuschaffen, denn sie ist ein unverhältnismässiger Grundrechtseingriff – wie der Europäische Gerichtshof Anfang April festgestellt hat.

P.S. Die publizierten Chatprotokolle im Fall Geri Müller wurden übrigens im Rahmen einer normalen Beweisaufnahme erhoben. Und dass die Uni Zürich im Fall Ritzmann/Mörgeli die Mails an die Strafverfolger weitergegeben hat, ist ein Patzer, der noch vor Gericht beurteilt wird. In beiden Fällen geht es nicht um Vorratsdaten.

Der Text erschien erstmals in WoZ 47/2014 vom 20. November 2014

Die Lehren aus dem Fall Hildebrand

Statt zu jubeln oder zu jammern, sollten aus dem Fall Hildebrand Lehren gezogen werden. Es braucht in der Schweiz eine neue Fehlerkultur.

Christoph Blocher und «Weltwoche» jubeln über ihren Sieg – der von ihnen gehasste Notenbankpräsident Philipp Hildebrand musste gehen. Nicht wegen schlechter Arbeit, sondern wegen eines Fehlers, der im Vergleich zu seinen Verdiensten für die Schweiz klein erscheint. Deshalb jammern die übrigen Medien und Politiker und beklagen, dass fähige Leute mit Kampagnen aus dem Amt gejagt werden können.

Aber der Fall Hildebrand ist weder ein Grund zum Jammern noch zum Jubeln. Er ist Anlass, Abläufe zu verstehen und aus Fehlern zu lernen.

1. Man kann es bedauern oder begrüssen, aber es ist schlicht eine Tatsache, dass politische Kampagnen gegen die höchsten Institutionen der Schweiz geführt werden. Mit allen Mitteln – selbst über Gesundheit und Wohlbefinden von Informanten hinweg. Oberstes Ziel ist die Wirksamkeit. Der Zweck heiligt die Mittel. Selbst mit fachlicher Brillanz und gekonntem Auftreten können sich Amtsinhaber nicht gegen solche Angriffe schützen. Schutz bietet nur moralische Integrität – selbst wenn die Angriffe von moralisch zweifelhaften Personen vorgebracht werden. Paradox, aber auch das eine Tatsache.

2. Moralisch integer ist heute nur, wer Interessenkonflikte meidet. Weder ein Notenbanker noch ein Bundesrat noch ein Richter noch sonst ein Machtträger darf auch nur den Anschein erwecken, andere als sachliche Interessen zu verfolgen. Das musste im Frühling 2011 Peter Hufschmied, der Präsident der AKW-Aufsichtsbehörde Ensi erfahren, als ihm die Medien nachweisen konnten, dass er auch im Solde einer Firma der AKW-Betreiberin BKW stand. Ein Rücktritt war unvermeidlich. Das muss jetzt Philipp Hildebrand erleben, der Dollarkäufe seiner Frau allem Anschein nach zumindest billigte, und sich damit dem Vorwurf aussetzte, sich durch Insiderwissen bereichert zu haben. Offenbar ist die nötige Sensibilität für Interessenkonflikte noch nicht bei allen Behördenvertretern vorhanden – oder kommt im Laufe eines hohen Amtes abhanden. Und eine kleine Bemerkung am Rande: Bei der Unabhängigkeitsprüfung gilt die Unschuldsvermutung nicht. Es genügt der Anschein der Befangenheit, um die Beweislast zu kehren.

3. Um die geforderten moralischen Standards garantieren zu können, braucht es eine neue Kultur, wie man mit Missständen und Fehlern umgeht. Statt sie zu vertuschen und unangenehme Missstandsmelder wie den IT-Mann der Bank Sarasin möglicherweise zu verurteilen, muss man deren Hinweise früh und gründlich nutzen, um Fehler zu korrigieren. Dazu braucht es Anlaufstellen für Whistleblower, die unabhängig sind, möglichst breit bekannt gemacht werden sowie umfassend und mit Biss ermitteln. Im Fall Hildebrand sind die Missstände möglicherweise sogar korrekt gemeldet worden. Sie wurden den zuständigen Aufsichtsbehörden zur Kenntnis gebracht: dem Bundesrat und der eidgenössischen Finanzkontrolle. Erst als das nichts nützte, gingen die Informationen an die Medien – nach wessen Willen auch immer. Der Whistleblower hätte sich zwar vorgängig an die interne Compliance der Bank wenden müssen, doch ob dies nicht auch geschah und ob dies bei der Meldung externer Missstände überhaupt nötig ist, ist heute unklar. Fehler haben hingegen die Anlaufstellen gemacht, indem sie zu wenig gründlich abklärten. Deshalb ist es möglich, dass ein Gericht den Whistleblower vom Vorwurf der Verletzung des Bankgeheimnisses freisprechen wird – falls er gutgläubig war, das heisst wirklich vor allem den Missstand beheben und nicht eine politische Kampagne führen wollte.

4. Das rigorose Durchsetzen von Geheimhaltungspflichten bringt nichts. Der Staat sollte wenn immer möglich umfassende Transparenz schaffen. Nur so kann heute Macht legitimiert werden. Auch das haben die Behörden noch nicht wirklich begriffen. So hat die Nationalbank mit ihrer verschleiernden Pressemitteilung vom 23. Dezember 2011 die politische Kampagne der SVP erst richtig in Gang gebracht. Sofort hätten das interne Reglement über Eigengeschäfte der Direktoriumsmitglieder und die Prüfberichte von Price Waterhouse Coopers sowie der eidgenössischen Finanzkontrolle veröffentlicht werden müssen. Und als allgemeine Lehre daraus: Behörden sollten Gesuche um Einsicht in amtliche Dokumente nicht wie heute leider üblich mit fadenscheinigen Argumenten abwimmeln, sondern wenn immer möglich gutheissen.

Werden diese Lehren gezogen, wird es schwierig sein, mit politischen Kampagnen demokratisch gewählte, fähige Leute wegen untergeordneten Fehlern aus dem Amt zu drängen. Und Informanten müssen nicht in der psychiatrischen Klinik landen.