Unkontrollierbare Strafjustiz in St. Gallen

 

Im Kanton St. Gallen darf man nicht wissen, wie ein Raser bestraft wurde, der mit 260 kmh über die Autobahn und mit 160 kmh durch Dörfer fuhr.

Mit so einer Abfuhr hätte Martin Meier (Name geändert) nicht gerechnet. Dabei wollte er nichts Unsittliches vom ersten Staatsanwalt des Kantons St. Gallen. Nur eine Auskunft. Er hatte in der Zeitung gelesen, dass zwei Jugendliche ohne Fahrausweis mit einer Geschwindigkeit von 260 Stundenkilometern auf der Autobahn und mit 160 Stundenkilometer innerorts vor der St. Galler Polizei geflohen waren. Meier hatte die Strafverfolger gefragt, „welche Belohnung diese Schurken für diese Raserei erhalten haben.“ Nach fast einem Jahr und einem zweiten Brief erhielt der Rentner Antwort: „Da ich nicht davon ausgehe, dass Sie mit der ausgesprochenen Strafe zufrieden wären, weil sie wohl deutlich unter Ihren Erwartungen liegt, verzichte ich auf nähere Angaben“, antwortete Dr. iur. Thomas Hansjakob, erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, in knappen sechs Zeilen.

„Ist es möglich und zulässig, dass derart krasse Straftaten ‚hinter verschlossenen Türen’ behandelt werden können, und die Öffentlichkeit darüber nichts mehr erfahren darf?“, fragte Meier. Eigentlich nicht. Immer wieder hat das Bundesgericht betont, dass auch Strafentscheide von Staatsanwälten öffentlich gemacht werden müssen. Eine solche Justizkontrolle bedeute „eine Absage an jede Form geheimer Kabinettsjustiz“. Und das eidgenössische Strafprozessordnung hält seit Anfang Jahr unmissverständlich fest, dass jedermann auch Einsicht in Strafbefehle nehmen kann. Das ergibt sich gemäss der juristischen Fachzeitschrift plädoyer aus den Materialien zum neuen Art. 69 StPO (vgl. plädoyer 2/11, Seite 6). Doch offenbar hält sich der Kanton St. Gallen nicht daran.

Nun versuchte ich es als Journalist. Medien können auch berechtigte Interessen wie die Justizkontrolle geltend machen, Aber Thomas Hansjakob wies auch dieses Einsichtsgesuch ab – immerhin brauchte er diesmal nur einen Tag. Der Strafverfolger befand, dass es im Interesse des damals knapp 18-jährigen Beschuldigten liege, den Entscheid geheim zu halten. Und dieses Interesse sei wichtiger als jenes der Öffentlichkeit an der Information.

Seinen Schnellentscheid hat der Staatsanwalt nicht nur kaum begründet, sondern dabei auch vergessen, dass man den Namen des Betroffenen problemlos anonymisieren könnte. Ich möchte den Jugendlichen nämlich nicht an den Pranger stellen, sondern die Arbeit der Staatsanwaltschaft kontrollieren und zum Beispiel klären, wie es trotz der massiven Tempoüberschreitungen zu einem so milden Urteil kommen kann. Staatsanwälte können nämlich nur tiefe Strafen – oft bedingte Geldstrafen – selbst ausfällen. Aber vielleicht gibt es gute Gründe für die Milde. Dies zu erklären wäre wichtig, damit die Bürger das Strafrecht verstehen und kompetent abstimmen können. Bereits haben 110’000 Personen die eidgenössische Initiative „Schutz vor Rasern“ unterschrieben. Wird diese Initiative angenommen, müssen Raser zwingend ein bis vier Jahre ins Gefängnis, auch wenn es noch so gute Gründe für tiefere Strafen gäbe. Doch statt ihre Praxis zu erklären, schiebt die St. Galler Staatsanwaltschaft Täterschutz vor und verschanzt sich vor der Öffentlichkeit.

Geheimniskrämerei herrscht auch bei den Strafverfolgern der Kantone Zürich, Zug und Bern (vgl. Justizblog berichtete). Und schweizweit werden inzwischen mehr als 95 Prozent aller Strafurteile von Staatsanwälten gefällt, weniger als 5 Prozent von Gerichten. Viele Gerichte stellen ihre Entscheide ins Internet. Staatsanwälte hingegen geben nicht einmal auf Gesuch hin Auskunft. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht. Deshalb verlangt nun in Bern Grossrat Harald Jenk per Interpellation Auskunft über die intransparente Praxis. Und der Entscheid des St. Galler Staatsanwalts Thomas Hansjakob wurde angefochten.

Nachtrag Juli 2011: Die Beschwerde gegen den Entscheid des Staatsanwalts Hansjakob war erfolgreich: Strafbefehle können im Kanton St. Gallen nun herausverlangt werden. Dies hat das St. Galler Appellationsgericht entschieden. Mehr dazu hier.

Geheimniskrämerei der Staatsanwälte

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug will zwar Einsicht in die Einstellungsverfügung im Fall FIFA geben, verlangt für das gutgeheissene Gesuch aber vom Gesuchsteller 1000 Franken. Dagegen hat der Beobachter nun Beschwerde eingereicht.

Der Fall sorgte für Verwunderung: Da ermittelten Zuger Staatsanwälte fünf Jahre lang gegen die Fifa und zwei bekannte Persönlichkeiten, welche den Weltfussballverband vertraten. Der Verdacht: ungetreue Geschäftsbesorgung und Veruntreuung. Doch trotz ermutigenden Ermittlungsergebnissen stellte die Zuger Staatsanwaltschaft das Verfahren letzten Oktober nach Art. 53 StGB ein, weil Beschuldigte 5,5 Millionen Franken Wiedergutmachung zahlten.

Ein Gesuch um Einsicht in diese Einstellungsverfügung hiess die Zuger Staatsanwaltschaft zwar Ende Februar 2011 vollumfänglich gut, auferlegte aber einzig dem Gesuchsteller Kosten in der Höhe von 1000 Franken. Die Begründung: „Vor dem Hintergrund, dass der Gesuchsteller als nicht betroffener Person die Verfahrenshandlung gemäss § 23 VRG veranlasst hat und der Gesuchsteller als Journalist auch gewinnorientiert arbeitet, rechtfertigt es sich, dem Gesuchsteller die Kosten der Verfügung aufzuerlegen.“

Dagegen hat der Beobachter nun Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbotes eingelegt. Die normalen Kosten von 250 Franken ist er bereit zu übernehmen. Den Mehraufwand hingegen nicht. „In casu ist der angefallene Mehraufwand jedoch ausschliesslich den Einsprachegegnern zuzuschreiben“, heisst es in der Beschwerdeschrift.

Es geht bei der Beschwerde nicht darum, 750 Franken zu sparen, sondern um ein Präjudiz zugunsten der Justizkontrolle. Denn müssen Medienschaffende selbst bei gutgeheissenem Gesuch mit Kosten in vierstelliger Höhe rechnen, werden kaum mehr Einsichtsgesuche gestellt und damit faktisch das Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 BV ausgehebelt (vgl. auch Justizblog zur ähnlichen Praxis der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft).

Minellis leere Versprechen

Die Sterbehilfeorganisation Dignitas verspricht seit Jahren die Offenlegung ihrer Buchhaltung – bloss tut sie es nicht.

Ein Zürcher Staatsanwalt ermittelt derzeit gegen die Sterbehilfeorganisation Dignitas, weil eine Frau und ihre Tochter kurz vor dem gemeinsamen Freitod «Sondermitgliedschaftsbeiträge» gezahlt haben. Der Verdacht: Dignitas könnte sich bei der Suizidhilfe unrechtmässig bereichert haben.

Dieser Verdacht taucht in schöner Regelmässigkeit auf. Und in ebenso schöner Regelmässigkeit verspricht Minelli, dass er finanzielle Transparenz schaffen werde. Doch in allerschönster Regelmässigkeit passiert dann rein gar nichts. Eine kleine Chronologie der Versprechungen:

 -> 6. Juli 2008, Minelli im «Sonntags-Blick»: «Wir legen alles offen, wir haben nichts zu verbergen.» Und: «Wir sind daran, die Buchhaltung auf einen Stand zu bringen, damit wir sie publizieren können.»

-> September 2008, Minelli auf der Dignitas-Website: «Eine externe Treuhandfirma ist nun beauftragt, die Bücher von Dignitas zu prüfen und Abschlüsse nach den modernen Buchhaltungs-Standards zu erstellen.»

-> 4. Februar 2010, Minelli in der «Weltwoche»: «Vorarbeiten dazu (zur Offenlegung der Buchhaltung; Red.) sind (…) weit gediehen.»

-> 29. Juni 2010, Minelli beteuert im «Tages-Anzeiger», dass für Anfang Juli 2010 ein Treffen mit einer externen Firma vereinbart sei, die publizierbare Rechnungsabschlüsse erstellen soll.

-> 24. Februar 2011, Minelli im «Tages-Anzeiger»: «Wir haben Verständnis für den Wunsch nach Transparenz und arbeiten zusammen mit einer Treuhandfirma an einer Lösung.»

Zurzeit prüft der Bundesrat ein Gesetz über Suizidhilfeorganisationen. Eine gute Gelegenheit, um die Pflicht zur zügigen Offenlegung der Buchhaltung festzuschreiben.

Das Informationsverhinderungsgesetz

In den letzten Jahren sorgte das Bundesgericht für mehr Transparenz in der Justiz. Die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft hat aber einen Weg gefunden, um die Geheimjustiz bei Strafbefehlen und Einstellungsverfügungen weiterzuführen. Absurderweise mit Hilfe des so genannten Informations- und Öffentlichkeitsgesetzes.

Mutig hat das Bundesgericht 1998 entschieden, dass auch Strafbefehle dem Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung unterliegen – Medien können sie also wie Urteile einsehen. Ein konsequenter Schritt, denn mehr als 90 Prozent aller Strafurteile werden nicht mehr von Richtern, sondern von den Staatsanwälten gefällt. Eine Entwicklung, die durch die eidgenössische Strafprozessordnung noch massiv verstärkt werden wird.

Einen bedingten Anspruch auf Einsicht gab das höchste Schweizer Gericht den Journalisten 2008 auch bei Einstellungsverfügungen. Und so erfuhr die Öffentlichkeit zum Beispiel, auf wie dürftiger Grundlage das Strafverfahren wegen Nötigung und Pornographie gegen Ex-Armeechef Roland Nef eingestellt wurde. Beobachter und Weltwoche konnten die Einstellung wegen Wiedergutmachung gegen den Willen der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft einsehen. Und prompt löste die Berichterstattung darüber parlamentarische Vorstösse aus, die zum Ziel haben, die Einstellung bei Wiedergutmachung massiv einzuschränken.

Jetzt haben Oberstaatsanwalt Brunner und Co einen Weg gefunden, allzu kritische Journalisten trotzdem fernzuhalten. In einem neuen Entscheid verweigern sie die Einsicht in einen Strafbefehl und eine Einstellungsverfügung und auferlegen dem Journalisten, dessen Gesuch vom entscheidenden Staatsanwalt zuerst gutgeheissen wurde, die Entscheidgebühr von 2000 Franken und eine Parteientschädigung von 4000 Franken. Gegen diesen Kostenentscheid rekurrierte der Tages-Anazeiger-Journalist vergebens vor Zürcher Verwaltungsgericht.

Die Oberstaatsanwaltschaft verfüge in dieser Frage über ein weites Ermessen. Es liege deshalb keine Verletzung des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vor, meinten die Richter.

Die Konsequenz für die Journalisten: Sobald gegen ein Einsichtsgesuch rekurriert wird, müssen sie das Gesuch zurückziehen, sonst laufen sie Gefahr bei der eher medienfeindlichen Oberstaatsanwaltschaft ins Kostenmesser zu rennen. Somit hat der Rekursgegner, der die Einsicht verweigern will, ein simples und effizientes Mittel, Transparenz zu unterbinden.

Oberstaatsanwalt Brunner wehrt sich gegen den Vorwurf, so Geheimjustiz zu schaffen. Die Strafbefehle würden einen Monat kostenlos zur Einsicht aufgelegt. Erst wenn man danach Einsicht verlange, würden Kosten auferlegt. Dies genüge den Ansprüchen des Bundesgerichts.

Mag sein, aber es verunmöglicht Justizkontrolle. Denn in wichtigen Fällen – wie zum Beispiel im Fall Nef – wird erst im Nachhinein klar, dass Kontrolle nötig ist.

Die absurde Situation entsteht durch das Zürcher Informations- und Datenschutzgesetz IDG. Denn dieses wird neu angewendet, wenn Journalisten einen Strafbefehl oder eine Einstellungsverfügung herausverlangen. Das heisst, dass das Einsichtgesuch den Betroffenen zur Stellungnahme zugestellt wird. Das verlängert zum einen das Einsichtsverfahren, zum andern macht es eine Beschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft erst möglich. Falls diese dann gegen die Einsicht entscheidet, fallen gestützt auf das Verwaltungsrechtspflegegesetz die prohibitiv hohe Kosten an – wenn es der Oberstaatsanwaltschaft gerade so passt.

Damit aber kann ein bundesverfassungsrechtlicher Anspruch auf Einsicht in Urteile und Strafbefehle durch ein kantonales Gesetz ausgehebelt werden. Das kann nicht richtig sein.

Vergleicht man den Ablauf mit der Einsicht in Urteile wird die stossende Situation sofort klar: Bei der Einsicht in Urteile entscheidet das Gericht darüber – ohne Anhörung der vom Urteil Betroffenen – allein gestützt auf Art. 30 Abs. 3 BV. Die Einsicht wird fast immer gewährt – ausser natürlich zum Beispiel in Vormundschaftssachen. Eine Parteianhörung findet nicht statt. Kosten fallen keine an. Justizkontrolle ist möglich.

Checkbuchjustiz: Transparenz im Fall Vekselberg

Die Begründung, weshalb das Strafverfahren gegen den Milliardär Viktor Vekselberg eingestellt wurde, steht auf wackligen Füssen und wirft neue Fragen auf. Der Beobachter stellt die Einstellungsverfügung ins Internet.

Das eidgenössische Finanzdepartement ermittelte gegen den Milliardär Viktor Vekselberg sowie die österreichischen Investoren Ronny Pecik und Georg Stumpf, weil diese beim Kauf von Sulzer-Aktien die Meldepflicht nach Börsengesetz verletzt haben sollen.

Am 18. Oktober 2010 stellte der Rechtsdienst des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) das Strafverfahren hingegen ein, weil Vekselberg, Pecik und Stumpf je eine Million Franken an die Schweizer Berghilfe und die Schweizer Patenschaft für Berggemeinden sowie weitere 8 Millionen ans EFD gezahlt hatten.

Viele Politiker zeigten sich empört, dass sich die finanzstarken Investoren von einem Strafverfahren freikaufen konnten. SVP-Nationalrat Rudolf Joder fordert deshalb mit einer parlamentarischen Initiative bereits die Streichung der Wiedergutmachung aus dem Strafgesetzbuch.

Das Strafverfahren wurde nach Artikel 53 des Strafgesetzbuches erledigt. Diese Bestimmung aus dem Jahre 2007 erlaubt es, Strafverfahren einzustellen, wenn es um eine Strafe von weniger als 24 Monaten geht, eine Wiedergutmachung geleistet wird und wenn sowohl das Interesse der Geschädigten wie auch jenes der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung gering sind.

Dem Beobachter liegt nun die Einstellungsverfügung mit detaillierter Begründung vor.

Das EFD sieht im Fall Vekselberg alle Voraussetzungen erfüllt. Vekselberg, Pecik und Stumpf hätten einen blanken Strafregisterauszug, deshalb sei eine bedingte Strafe für die Meldepflichtverletzung nach Börsengesetz, die ihnen vorgeworfen wurde, wahrscheinlich gewesen. Damit wäre die Strafe sicher unter 24 Monaten gelegen. Die drei Beschuldigten hätten zudem eine Wiedergutmachung geleistet – zum einen an wohltätige Institutionen, zum andern an das Finanzdepartement, „damit dieser Betrag im Interesse sämtlicher Marktteilnehmer zur Sicherstellung und Stärkung eines funktionierenden Finanzmarktes verwendet wird.“ Damit hätten „die Beschuldigten alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um das von ihnen bewirkte Unrecht im Sinne von Art. 53 StGB auszugleichen.“

Das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung von Vekselberg, Stumpf und Pecik stuft das Finanzdepartement zudem als gering ein. Die Strafverfolger kommen zu diesem Schluss, weil 2007, als die Beschuldigten sich strafbar gemacht haben sollen, noch nicht geklärt gewesen sei, ob so genannte „cash settlement Optionen“ auch unter die Meldepflicht des Börsengesetzes fallen. Heute besteht im revidierten Börsengesetz klar eine Meldepflicht. „Das öffentliche Interesse an einer Klärung dieser Fragen basierend auf der Rechtslage im Frühjahr 2007 ist deshalb gering“, folgert nun das EFD.

Diese Argumentation erstaunt: Nur weil heute das neue Recht klar stellt, dass das vorgeworfene Verhalten strafbar ist, entfällt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nach altem Recht nicht. Angesichts der heutigen unmissverständlichen Strafbarkeit der vorgeworfenen Meldepflichtsverletzung würde sich ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung von Vekselberg, Pecik und Stumpf im Gegenteil umso stärker aufdrängen.

Die Verfügung kann unter www.beobachter.ch/vekselberg heruntergeladen werden

Einstellungsverfügung im Fall Nef

Die Einstellungsverfügung im Fall Nef zeigt: Wer zahlt, kann sich viel zu einfach von einem Strafverfahren freikaufen. Deshalb muss dringend das Strafgesetz geändert werden.

Jetzt ist sie öffentlich, die Einstellungsverfügung im Fall Nef. Es sind sechs Seiten. Darin begründet die Zürcher Staatsanwältin Judith Vogel, weshalb sie das Strafverfahren wegen sexueller Belästigung, Nötigung und Pornographie gegen Armeechef Roland Nef im Oktober 2007 eingestellt hat. Nef hat sich mehr als zwei Jahre lang dagegen gewehrt, dass dieses Papier öffentlich wird.

Und jetzt wird klar: Es steht fast nichts Neues drin. Weder die Summe, die Nef dem Opfer – seiner Ex-Partnerin – als Wiedergutmachung gezahlt hat, noch Details zur Strafuntersuchung selbst. Aufhorchen lässt einzig, dass Nef „in Würdigung aller Gesamtumstände noch mit einer bedingten Strafe rechnen hätte können“.

Im Klartext: Die Vorwürfe haben sich in der Strafuntersuchung offenbar erhärtet. Nef hat seine Ex-Partnerin „mittels Mobiltelefonen, Briefen und SMS, meist sexuellen Inhalts, sowie durch die Zusendung von Sex-Zeitschriften und einer ebensolchen DVD belästigt“ – 18 Monate lang. Zudem hat er offenbar im Namen der Ex-Partnerin auf Sex-Inserate geantwortet. Das Ganze war so schlimm, dass in den Augen der Staatsanwältin eine bedingte Strafe gerade noch drinlag.

Offenbar war es also ein schwerer Fall von Nötigung. In solchen Fällen will das Gesetz, dass ein Strafverfahren durchgeführt wird – egal, ob das Opfer dies möchte oder nicht. Solch schwere Straftaten sollen einfach geahndet werden, weil ein grundsätzliches öffentliches Interesse daran besteht, dass solche Täter nicht ohne Strafe herumlaufen können. Deshalb sind Delikte wie Nötigung oder Pornographie Offizialdelikte, und der Staat muss von Amtes wegen ermitteln. So will es der Gesetzgeber.

Einzige mögliche Ausnahme: Wenn der Täter Wiedergutmachung geleistet hat und „das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung gering ist“ (Art. 53 StGB).

Staatsanwältin Judith Vogel wischt die Frage, ob dies bei Nef zutrifft, mit einem einzigen Satz vom Tisch: „Die strafbaren Handlungen richteten sich nicht gegen eine Vielzahl von Menschen, sondern gegen eine bestimmte Person, und diese hat eine ausdrückliche Desinteresseerklärung abgegeben.“ Darum sei das Interesse an einer Strafverfolgung gering.

Im Klartext heisst das: Das Opfer kann bestimmen, ob der Staat einen Täter vor Gericht bringen soll – selbst bei Nötigung und Pornographie. Und wenn der Täter genug zahlt, kommt er nicht vor Gericht. Offizialdelikte werden so zu Antragsdelikten mit Kostennote.

Das darf nicht sein. Vordringliche Aufgabe von Staatsanwälten ist es, Täter vor Gericht zu bringen, wenn sich ein Verdacht auf ein schweres Delikt erhärtet. Wenn Art. 53 trotzdem die Einstellung ermöglicht, muss dies erstens zurückhaltend angewendet und zweitens ausführlich begründet werden.

Ansonsten kann man sich allzu leicht von Strafverfahren loskaufen – was Reichen möglich ist, Armen hingegen nicht. Für eine solche Klassenjustiz gibt es bereits Anzeichen: Der Milliardär Viktor Vekselberg konnte sich unlängst zusammen mit Mitangeklagten von einem Strafverfahren wegen Börsenvergehen freikaufen – für 10 Millionen Franken. Die Fifa konnte dank einer Zahlung von 5,5 Millionen Franken ein Verfahren gegen zwei ausländische Mitarbeiter beilegen, die Schmiergelder empfangen hatten. Und Carl Hirschmann, am Pranger wegen Körperverletzung, einigte sich dank einer Wiedergutmachung in unbekannter Höhe ebenfalls ohne vors Gericht stehen zu müssen.

Deshalb ist der Entscheid des Bundesgerichts so wichtig: Medien können nun kontrollieren, wie die Staatsanwälte in solchen Fällen genau entscheiden. Auch wenn bei so rudimentär begründeten Entscheiden wie im Fall Nef kaum eine vertiefte Kontrolle möglich ist. Wenigstens wird deutlich, wie einfach Täter sich freikaufen können.

Und wie schnell das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung auf der Strecke bleibt, denn es ist bei den Staatsanwälten in schlechten Händen. Die Untersuchungsbehörden haben nämlich ein Interesse, dass Fälle eingestellt werden, wenn der Täter zahlt: So gehts schnell, so ist man effizient, so steigert man die Erledigungszahlen und wird Ende Jahr gelobt. Der Gesetzgeber hat den Strafverfolgern kaum Schranken gesetzt: Bei Strafen bis zu 24 Monaten bedingt besteht diese Möglichkeit. Also auch bei schweren Körperverletzungen, Betrug, Vergewaltigungen.

Darum muss jetzt dringend das Parlament über die Bücher und den Artikel 53 des Strafgesetzbuchs abschaffen oder in der Anwendung einschränken.

Einstellungsverfügung und Bundesgerichtsentscheid sind aufgeschaltet unter www.beobachter.ch

Verwirrung im Fall Nef

Das Bundesgericht hat noch nicht beurteilt, ob die Einstellungsverfügung im Fall Nef an die Medien herausgegeben werden muss. Es hat erst entschieden, dass Nefs Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wird. Dieser Entscheid war zu erwarten.

Im Verfahren um die Herausgabe der Einstellungsverfügung, womit die Zürcher Staatsanwältin Judith Vogel das Strafverfahren wegen Nötigung und anderer Delikte gegen Ex-Armeechef Roland Nef einstellte, ist inzwischen ziemlich unübersichtlich.

Für alle Interessierte: Der Fall steht kurz vor dem höchstrichterlichem Entscheid. Wenn nun aber in einigen Medien der Eindruck entstand, das Bundesgericht habe Nefs Beschwerde gutgeheissen und die Verfügung bleibe definitiv unter Beschluss, ist das falsch.

Das Bundesgericht hat erst entschieden, dass Nefs Beschwerde gegen den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts, die Verfügung zugänglich zu machen, aufschiebende Wirkung zuerkannt wird.

Das ist auch kein Wunder: Hätte das höchste Gericht dies nicht gemacht, hätten die Medien die Verfügung erhalten. Die eigentliche Streitsache wäre also im bloss summarischen Verfahren entschieden worden. Und das wäre ja angesichts des anstehenden Präjudizes zur Einsicht in Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB etwas gar flapsig gewesen.

Dignitas und das Mehrwertsteuergeheimnis

Die eidgenössische Steuerverwaltung verweigert Einsicht ins Mehrwertsteuerregister – aus Angst vor Denunziantentum. Erst der Gang zur Rechtsabteilung schafft Transparenz.

Bereits 2005 machte die Sterbehilfeorganisation Dignitas einen „Umsatz“ von mehr als 100’000 Franken. Der Verein von Ludwig A. Minelli begleitete in jenem Jahr nämlich 138 Sterbewillige in den Tod – und das zu einem Preis von je 3000 Franken. Da Sterbebegleitung gemäss Auskunft der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) zu einem Satz von 7,6 Prozent als mehrwertsteuerpflichtig gilt, stellte sich die Frage, ob denn Dignitas seine Mehrwertsteuer korrekt deklariert hat.

Doch die zuständige Stelle der ESTV will nur bestätigen, dass Dignitas grundsätzlich im Mehrwertsteuerregister verzeichnet ist, aber nicht ab wann. Steuergeheimnis, haucht der zuständige Beamte in den Hörer und mailt die gesetzliche Grundlage. Art. 74 MwStG.

Wer sich nicht abspeisen lässt und den Gesetzesartikel liest, staunt. Da steht nämlich in Absatz 2 Buchstabe d des angerufenen Artikels 74: „Keine Geheimhaltungspflicht gilt: für die Auskunft, ob jemand im Register der steuerpflichtigen Personen eingetragen ist oder war.“

Bingo. Also will ich wissen, ob Dignitas im Jahr 2001 eingetragen war, im Jahr 2002 eingetragen war, etc, im Jahr 2005 eingetragen war. Der verwirrte Beamte meint am Telefon, das „war“ heisse nur, dass man Auskunft darüber verlangen könne, ob eine Person einmal eingetragen war, wenn sie es heute nicht mehr ist. Sonst könne ja jeder kommen, das Denunziantentum würde in der Schweiz um sich greifen etc.

Ich ersuche ihn, mir seine interessanten Ausführungen doch in einer anfechtbaren Verfügung mitzuteilen. Er verweist mich an die Rechtsabteilung. Zuerst müsse ich ein schriftliches Einsichtsgesuch stellen. Gesagt getan.

Und zwei Tage später, lese ich im Antwortbrief der Rechtsabteilung die nette Antwort: Der Verein Dignitas verfügt erst seit 2006 über eine Mehrwertsteuernummer. Danke, wieso nicht gleich.

Eine Story ist das aber trotzdem nicht. Nach altem Mehrwertsteuergesetz war ein Unternehmen erst im Jahre nach dem Überschreiten der Umsatzschwelle meldepflichtig. Dignitas hat sich also korrekt angemeldet, wenn erst 2005 die Umsatzschwelle von 100’000 Franken überschritten wurde. Und das ist der Fall: Erst ab dann wurden nämlich neben Mitgliederbeiträgen auch eigentliche Sterbebegleitungsbeiträge verlangt.

So sterben Stories – und entstehen Blogeinträge.

Fall Nef: Zürcher Verwaltungsgericht will Transparenz

Beobachter und Weltwoche sollen Einsicht in die Einstellungsverfügung im Fall Nef erhalten. Das hat das Zürcher Verwaltungsgericht entschieden – und auch gleich einen Artikel des Zürcher Datenschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Nur knapp ist es aber an einer Neuauflage einer Justizposse vorbeigeschlittert.

Der Beobachter verlangte im Juli 2008 Einsicht in die Einstellungsverfügung im Fall Nef. Der Verdacht drängte sich nämlich auf, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft Nef begünstigt hatte, als sie das Strafverfahren wegen Nötigung, Pornographie und weiterer Delikte am 23. Oktober 2007 eingestellt hatte (vgl. Justizblog). Der zuständige Staatsanwalt hiess das Gesuch gut, die Oberstaatsanwaltschaft untersagte danach aber die Einsicht auf Intervention Nefs hin. Beobachter und Weltwoche gelangten deshalb ans Verwaltungsgericht. Dieses erklärte sich zuerst für unzuständig und schob die Beschwerde ans Obergericht weiter. Dieses wollte die Beschwerde ebenfalls nicht behandeln, worauf das Bundesgericht ein Machtwort sprach und das Verwaltungsgericht am 14. Januar 2010 anwies, die Beschwerde „beschleunigt“ zu behandeln.

Das hat das Zürcher Verwaltungsgericht nun getan und die Beschwerde der beiden Medien gutgeheissen. „An der Klärung der Vorwürfe besteht ein gewichtiges Interesse – zumal die Vorwürfe zumindest nicht abwegig erscheinen“, halten die Richter fest. Die privaten Interessen Nefs an Geheimhaltung würden hingegen nicht schwer wiegen.

Soweit das Urteil in der Hauptsache. Interessant sind aber noch zwei Nebenresultate: Die Verwaltungsrichter erklären nämlich Art. 26 Abs. 2 des Zürcher Gesetzes über die Information und den Datenschutz (IDG) für verfassungswidrig. Dieser Artikel erlaubt die Bekanntgabe von „besonderen Personendaten“ nämlich nur, wenn der Betroffene zustimmt.

Das Gebot der Verhandlungs- und Entscheidöffentlichkeit nach Art. 30 Abs. 3 BV gebiete nun aber eine Einsicht in Einstellungsverfügungen, auch wenn darin besondere Personendaten enthalten sind, falls das öffentliche Interesse an der Einsicht überwiege. Diese Klarstellung ist sehr zu begrüssen.

Es fällt sowieso auf, dass Gerichte und Behörden ziemlich hilflos sind, was die Einsicht in Einstellungsverfügungen und die Gesuche nach Zürcher IDG betreffen. So prüft die Oberstaatsanwaltschaft Zürich derzeit zum Beispiel, ob sie überhaupt berechtigt ist, gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts ans Bundesgericht zu gelangen.

Eine weitere grundlegende Frage scheint zudem noch immer nicht richtig geklärt. So hält eine Minderheit der Verwaltungsrichter in einer (sehr seltenen) Dissenting Opinion fest, dass das Verwaltungsgericht gar (noch) nicht zuständig sei, da Beobachter und Weltwoche vorgängig an die Zürcher Justitzdirektion hätten gelangen müssen.

Zum Glück blieben diese Richter in der Minderheit. Denn unterdessen dauert das Einsichtsverfahren beinahe zwei Jahre. Das darf aber bei Einsichtsbegehren nicht die Regel werden, sonst sind sie für Medien meist nutzlos.

Nef den Entscheid des Verwaltungsgerichts mit Beschwerde vom 28. Juni 2010 angefochten hat.

Anwalt müsste man sein

Der Anwaltsberuf ist ein Traumberuf: Wenn Rechtsanwälte Erfolg haben, sahnen sie ab. Wenn sie scheitern, können sie trotzdem ihren Aufwand in Rechnung stellen. Und wenn Anwälte gar mies arbeiten, erfährt es niemand.

Gewinnt ein Rechtsanwalt vor Gericht , kann er sein  Honorar ohne Rücksprache mit dem Mandanten um bis das Dreifache erhöhen. Wenn er aber verliert, darf er nicht nur den normalen Tarif verrechnen, sondern muss dies sogar tun. Diese erstaunliche Praxis hat das  Bundesgericht eben erst abgesegnet (BGE 135 III 259).

Ein Genfer Anwalt hatte sein Honorar von 600’000 Franken auf 2.1 Millionen Franken heraufgesetzt, als er eine Forderung von 80 Millionen erfolgreich eingetrieben hatte. Das Bundesgericht billigt das Erfolgshonoar, obwohl die entsprechende Genfer Regelung gegen Bundesrecht verstösst. Art. 12 lit. e des Bundesgetzes über die Freizügigkeit der Anwälte verbietet nämlich Erfolgshonorare, wie Dr. iur. Daniel Schwander in einer exzellenten Analyse zeigt.

Der Normalbürger reibt sich nur die Augen.

Aber nicht nur beim Honorar haben Anwälte den Fünfer und das Weggli: Die Öffentlichkeit darf nicht einmal erfahren, welche Anwälte schlecht arbeiten. Wird ein Anwalt von der kantonalen Aufsichtskommission gerüffelt, erfährt dies niemand ausser dem Anwalt selbst. Der Entscheid wird nämlich weder dem Anzeigeerstatter noch den Medien bekannt gegeben, ja nicht einmal dem kantonalen Anwaltsverband.

Das ist äusserst bedenklich, weil in den Aufsichtskommissionen meist zur Hälfte oder gar überwiegend wiederum Anwälte sitzen und die staatliche Aufsicht nachgewiesenermassen schlecht funktioniert. So werden kaum Sanktionen gegen Anwälte ausgesprochen.

Das Nachsehen hat wiederum der Normalbürger, der kaum einschätzen kann, ob ein Anwalt gut oder schlecht ist.

Eine unabhängige Kontrolle dieser Aufsichtsgremien täte also dringend Not. Doch auch hier blockt die Justiz: Ein Einsichtsgesuch des Beobachters hat die Luzerner Anwaltskommission eben erst abgelehnt. Das allgemeine Interesse an einer Justizkontrolle genüge nicht, um ein solches Verfahren öffentlich zu machen, argumentierten die drei Richter und zwei Anwälte. Die Anwaltskommission müsse ihre Entscheide nicht öffentlich machen, wie dies die Bundesverfassung von Gerichten verlange. Das verletze die Verfassung und die Menschenrechtskonvention nicht, weil man ja den Fall mittels Beschwerde vor ein Gericht ziehen könne. Dort sei dann Einsicht möglich.

Diese Argumentation ist ein Zirkelschluss: Nur der betroffene Anwalt kann nämlich gegen einen Entscheid der Aufsichtskommission Beschwerde machen, nicht aber der Anzeigeerstatter oder ein Medium.

Beobachter-Mitglieder finden übrigens qualifizierte Anwältinnen und Anwälte, die kein Erfolgshonorar verlangen unter www.helponline.ch/anwaltssuche