Swissmedic erleichtert den Zugang zu Strafentscheiden

Seit Anfang Jahr mailt Swissmedic registrierten Journalistinnen und Journalisten vierteljährlich eine Liste aller  Strafbescheide, Strafverfügungen und Einstellungsverfügungen, die das Schweizerische Heilmittelinstitut in den vorangegangenen drei Monaten erlassen hat. Gestützt darauf können Medienschaffende gezielt einzelne Entscheide anfordern, die ihnen per Mail zugestellt werden.

Die vierteljährlich vermailte Liste der Swissmedic-Entscheide ist zwar anonymisiert, enthält aber detaillierte Angaben zu den betroffenen Unternehmen und Personen. Die registrierten Journalisten können gestützt darauf während drei Monaten gezielt einzelne Strafbescheide und Strafverfügungen anfordern, die – sofern sie rechtskräftig sind – in nicht-anonymisierter Form zugemailt werden. Einstellungsverfügungen erhalten die Journalisten nur in anonymisierter Form, ausser wenn die Einstellung aus Opportunitäts- oder Verjährungsgründen erfolgte. Nicht-rechtskräftige Entscheide werden nicht zugemailt (aber offenbar auf der Liste aufgeführt).

Die Regelung von Swissmedic ist ein grosser Fortschritt, denn bei den meisten kantonalen Staatsanwaltschaften erfahren die Medienschaffenden gar nicht, welche Entscheide die Strafverfolger gefällt haben – ausser sie gehen regelmässig in deren Büros vorbei. Und dort liegen die Entscheide nur zwischen 7 und 30 Tagen auf (je nach Kanton verschieden). Zudem sind oft nicht einmal Kopien möglich.

Bei Swissmedic können sich Journalisten nun mit vertretbarem Aufwand ein Bild der Rechtspraxis machen und erhalten einfach und schnell Einsicht in nicht-anonymisierte Strafentscheide. Das ist wichtig bei einer Aufsichtsbehörde, die im Heilmittelbereich Strafmassnahmen verfügen kann – zum Beispiel gegen Online-Anbieter, die Medikamente ohne Rezept abgeben, gegen Pharmaunternehmen, die Ärzte mit Vorteilen ködern oder wenn Medikamente illegal eingeführt werden.

Aber wie jede Regelung steckt der Teufel im Detail:

Entscheidend für das Funktionieren der neuen Regelung wird sein, wie detailliert Swissmedic die Fälle in der vierteljährlich versandten Liste umschreibt. Denn Journalisten müssen sich über die Tragweite eines Falles ein Bild machen können. Zudem verpflichtet Swissmedic die registrierten Journalisten „sich in konkreten Fällen an Auflagen bzw. Weisungen der Swissmedic zu halten, inbesondere solche zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte betroffener Personen resp. schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen betroffener Unternehmen“. Auch da wird sich noch zeigen müssen, wie restriktiv dies Swissmedic handhabt. Weiter ist offen, wie Swissmedic Gesuche behandeln wird, mit denen Journalisten Zugang zu Strafentscheiden verlangen, die älter als drei Monate sind.

Zu bedauern ist grundsätzlich, dass Journalisten keinen Zugang zu nicht-rechtskräftigen Strafentscheiden erhalten. Damit verletzt Swissmedic das Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung. Diese Bestimmung orientiert sich nämlich an der mündlichen Urteilsverkündigung, wo der anwesenden Öffentlichkeit Urteile kundgetan werden, die notabene nicht rechtskräftig sind. Viele kantonale Staatsanwaltschaften handhaben das genauso verfassungswidrig.

Doch trotzdem ist die neue Zugangsregelung des Heilmittelinstituts ein wichtiger Schritt zu mehr Justizöffentlichkeit, an der sich die kantonalen Staatsanwaltschaften ein Vorbild nehmen können

Hier geht es zur Registierung.

Deklaration von Interessenbindungen: Der Autor hat als Berater an der Entwicklung des neuen Zugangssystems mitgearbeitet.

Strassburg schränkt Justizöffentlichkeit ein

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rügt den Generalstaatsanwalt des Kantons Genf: Wird ein Strafverfahren wegen Verjährung eingestellt, dürfen die Strafverfolger den Beschuldigten in der Begründung nicht in der Sache trotzdem für schuldig erklären. Dieses Urteil ist richtig, hat aber Folgen für die Recherche in der Schweiz: Einstellungsverfügungen sind in Zukunft als Informationsquelle weniger ergiebig, weil Staatsanwaltschaften sie aus Vorsicht weniger detailliert begründen werden.

Der Generalstaatsanwalt hatte in der Einstellungsverfügung festgehalten, dass der Betroffene die Tat zwar begangen habe, aber eben wegen Verjährung nicht zur Rechenschaft gezogen werden könne. Gemäss dem neuen Entscheid des EGMR verletzt dies die Unschuldsvermutung.

Im Januar 2008 hatte der Generalstaatsanwalt des Kantons Genf gegen einen katholischen Priester ein Strafverfahren wegen sexuellen Handlungen eröffnet, es im September aber wegen Verjährung gleich wieder eingestellt. In der Begründung schrieb der oberste Strafverfolger des Kantons Genf:

« Au vu de ce qui précède, il doit être considéré comme établi que [le requérant] a commis à tout le moins sur les personnes de [victime no 1] et [victime no 2] des actes d’abus de la détresse, (…). »

« Il en découle qu’il existait manifestement un lien de subordination et de dépendance, dont [le requérant] a profité de manière éhontée pour commettre les actes décrits par les victimes. »

« L’action pénale (…) ne pourra s’exercer en raison de la prescription même si les faits conduisent au constat qu’une infraction a bel et bien été commise sur les victimes. »

Die Presse griff die Einstellungsverfügung auf und schrieb, der Priester habe die Straftaten begangen und zugegeben.

Gemäss Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte verstösst der Wortlaut der Einstellungsverfügung gegen die Unschuldsvermutung. Deshalb verurteilt er die Schweiz und spricht dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von 12.000 Euro als Genugtuung und von 15’000 Euro für Verfahrenskosten zu.

Dieser Entscheid ist juristisch zu begrüssen, hat aber Konsequenzen für Rechercheure in der Schweiz: Einstellungsverfügungen werden in Zukunft wohl entscheidende Informationen zu Strafermittlungen nicht mehr enthalten. Wichtige investigative Artikel wie zum Beispiel der Artikel im Bieler Tagblatt über den prominenten Geschäftsmann und Lokalpolitiker Theo Griner können in Zukunft nicht mehr geschrieben werden.

Humanrights hat eine gute Zusammenfassung auf Deutsch und einen Kommentar aus Sicht der NGO veröffentlicht.

Wildwest am Kantonsgericht Schaffhausen

Die Schaffhauser Kantonsrichter verweigern einer Journalistin Einsicht ins Dispositiv und in die Akten eines wichtigen Urteils. Zudem haben sie es offenbar nicht geschafft, die korrekte rechtliche Grundlage für die Weiterleitung eines Entscheides ans Gesundheitsamt zu finden.

Eine Journalistin von Radio Munot wollte Mitte März 2013 beim Kantonsgericht Schaffhausen Einsicht in ein rechtskräftiges Urteil nehmen, in dem das Gericht einen Physiotherapeuten wegen mehrfacher sexueller Nötigung und sexueller Belästigung zu 22 Monaten bedingt verurteilte. Die Journalistin erhielt Dispositiv und Akten des Urteils zuerst von einem Mitarbeiter des Sekretariats ausgehändigt, drei Minuten später kam der zuständige Richter des Falls und nahm ihr die Unterlagen wieder weg – sie müsse ein schriftliches Gesuch stellen (eine Mustervorlage für Einsicht in Urteilsdispositive bei renitenten Gerichten findet man in diesesm Musterbrief_Urteil_ausführlich). Eine schriftliche Begründung des Urteils hat das Gericht nicht verfasst, da dies niemand innert Frist verlangt hatte.

Doch die Geschichte entwickelte sich weiter: Das Gesundheitsamt des Kantons Schaffhausen wollte der Journalistin zuerst keine Auskunft geben, ob der Physiotherapeut noch immer über eine Praxisbewilligung verfüge. Datenschutz, war hier das Argument. Erst nach einem Anruf beim Leiter des Gesundheitsamtes erhielt die Journalistin Antwort: Der Physiotherapeut habe eine Praxisbewilligung. Vom Entscheid des Kantonsgerichts wisse man nichts.

Damit war klar: Das Kantonsgericht hatte das Urteil nicht weitergeleitet. Die Nicht-Information des Amts begründete der zuständige SVP-Gerichtspräsident Markus Kübler damit, dass der Verurteilte seine Taten nicht als Physiotherapeut, sondern als Pfleger begangen habe, und dass das Gericht «keinen begründeten Anlass zur Prüfung weiterer Massnahmen» sah. Denn zum Zeitpunkt des Urteils habe der Verurteilte schon seit längerem nicht mehr als Pfleger gearbeitet, sondern im Bau.

Doch die Arbeit auf dem Bau zum Zeitpunkt des Urteils hätte der Verurteilte schon eine Woche nach der Verurteilung abbrechen und wieder als Physiotherapeut arbeiten können, ohne dass das Gericht davon erfahren hätte. Nicht die mögliche Zukunft des Verurteilten, sondern alleine das Urteil und die Schwere der Tat in Zusammenhang mit der Praxisbewilligung muss Grundlage des Entscheides der Meldung ans Gesundheitsamt sein. Dann ist am Gesundheitsamt, die Konsequenzen zu beurteilen. Es kann nicht sein, dass das Kantonsgericht aus falsch verstandenem Täterschutz die Abwägungen selber trifft, die das Gesundheitsamt vornehmen müsste.

In Artikel 74 Abs. 2 des Schaffhauser Justizgesetzes steht denn auch klipp und klar: „Die Strafbehörden haben die zuständigen Verwaltungsbehörden zu benachrichtigen und ihnen zweckdienliche Unterlagen zu übermitteln, wenn sich in einem Strafverfahren begründeter Anlass zur Prüfung ausserstrafrechtlicher Massnahmen ergibt.“

Nun untersucht die Justizkommission des Schaffhauser Kantonsrates die Praxis des Kantonsgerichts, denn dessen Reaktion zeigt, dass wohl weitere wichtige Informationen nicht ans Gesundheitsamt gelangten und somit Medizinalpersonen praktizieren, die eigentlich keine Bewilligung mehr haben dürften.

Der Fall illustriert exemplarisch, wie geheimniskrämerisch Gerichte Entscheide von der Öffentlichkeit abschirmen. Da muss definitiv ein Umdenken passieren. Das Ende der Omerta in der Justiz ist angesagt.

Die eindrückliche Berichterstattung von Radio Munot:

Beitrag 1

Beitrag 2

Beitrag 3

Beitrag 4

Eidgenössische Meldestelle für Korruption gefordert

SVP-Nationalrat Lukas Reimann macht in Sachen Whistleblower-Anlaufstellen Dampf: Mit einer gestern eingereichten Motion verlangt er die Schaffung einer “ eidgenössischen Meldestelle für Korruption und Korruptionsbekämfung“.

Reimann holte am Dienstag, 12. Juni 2012, gleich zum parlamentarischen Doppelschlag aus. Mit einer Interpellation verlangt er detaillierte Auskunft über die Tätigkeit der Eidgenössichen Finanzkontrolle als Anlaufstelle für Whistleblower der Bundesverwaltung. Er fragt, ob die EFK über genügend Ressourcen und Fachpersonal verfüge und nach der Zahl der tatsächlich überführten Korruptionstäter. Zudem wirft er die neckische Frage auf, wie viele Meldungen Bundesräte, Bundesrichter, Parlamentarier und Personen aus dem Umfeld der SNB betroffen haben – und ob die EFK für Meldungen betreffend dieser Personen überhaupt zuständig sei.

In einer Motion fordert Reimann zudem die Einrichtung einer eidgenössischen Meldestelle für Korruption und Korruptionsbekämpfung – analog der Meldestelle für Geldwäscherei. Im Unterschied zur EFK soll diese Meldestelle nicht nur „Mitarbeitern des Bundes, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern offenstehen und im Sinne eines Whistleblower-Schutzes den Meldern zur Seite stehen z.B. durch Gewährleistung von Anonymität oder Entschädigung.“

Die Lehren aus dem Fall Hildebrand

Statt zu jubeln oder zu jammern, sollten aus dem Fall Hildebrand Lehren gezogen werden. Es braucht in der Schweiz eine neue Fehlerkultur.

Christoph Blocher und «Weltwoche» jubeln über ihren Sieg – der von ihnen gehasste Notenbankpräsident Philipp Hildebrand musste gehen. Nicht wegen schlechter Arbeit, sondern wegen eines Fehlers, der im Vergleich zu seinen Verdiensten für die Schweiz klein erscheint. Deshalb jammern die übrigen Medien und Politiker und beklagen, dass fähige Leute mit Kampagnen aus dem Amt gejagt werden können.

Aber der Fall Hildebrand ist weder ein Grund zum Jammern noch zum Jubeln. Er ist Anlass, Abläufe zu verstehen und aus Fehlern zu lernen.

1. Man kann es bedauern oder begrüssen, aber es ist schlicht eine Tatsache, dass politische Kampagnen gegen die höchsten Institutionen der Schweiz geführt werden. Mit allen Mitteln – selbst über Gesundheit und Wohlbefinden von Informanten hinweg. Oberstes Ziel ist die Wirksamkeit. Der Zweck heiligt die Mittel. Selbst mit fachlicher Brillanz und gekonntem Auftreten können sich Amtsinhaber nicht gegen solche Angriffe schützen. Schutz bietet nur moralische Integrität – selbst wenn die Angriffe von moralisch zweifelhaften Personen vorgebracht werden. Paradox, aber auch das eine Tatsache.

2. Moralisch integer ist heute nur, wer Interessenkonflikte meidet. Weder ein Notenbanker noch ein Bundesrat noch ein Richter noch sonst ein Machtträger darf auch nur den Anschein erwecken, andere als sachliche Interessen zu verfolgen. Das musste im Frühling 2011 Peter Hufschmied, der Präsident der AKW-Aufsichtsbehörde Ensi erfahren, als ihm die Medien nachweisen konnten, dass er auch im Solde einer Firma der AKW-Betreiberin BKW stand. Ein Rücktritt war unvermeidlich. Das muss jetzt Philipp Hildebrand erleben, der Dollarkäufe seiner Frau allem Anschein nach zumindest billigte, und sich damit dem Vorwurf aussetzte, sich durch Insiderwissen bereichert zu haben. Offenbar ist die nötige Sensibilität für Interessenkonflikte noch nicht bei allen Behördenvertretern vorhanden – oder kommt im Laufe eines hohen Amtes abhanden. Und eine kleine Bemerkung am Rande: Bei der Unabhängigkeitsprüfung gilt die Unschuldsvermutung nicht. Es genügt der Anschein der Befangenheit, um die Beweislast zu kehren.

3. Um die geforderten moralischen Standards garantieren zu können, braucht es eine neue Kultur, wie man mit Missständen und Fehlern umgeht. Statt sie zu vertuschen und unangenehme Missstandsmelder wie den IT-Mann der Bank Sarasin möglicherweise zu verurteilen, muss man deren Hinweise früh und gründlich nutzen, um Fehler zu korrigieren. Dazu braucht es Anlaufstellen für Whistleblower, die unabhängig sind, möglichst breit bekannt gemacht werden sowie umfassend und mit Biss ermitteln. Im Fall Hildebrand sind die Missstände möglicherweise sogar korrekt gemeldet worden. Sie wurden den zuständigen Aufsichtsbehörden zur Kenntnis gebracht: dem Bundesrat und der eidgenössischen Finanzkontrolle. Erst als das nichts nützte, gingen die Informationen an die Medien – nach wessen Willen auch immer. Der Whistleblower hätte sich zwar vorgängig an die interne Compliance der Bank wenden müssen, doch ob dies nicht auch geschah und ob dies bei der Meldung externer Missstände überhaupt nötig ist, ist heute unklar. Fehler haben hingegen die Anlaufstellen gemacht, indem sie zu wenig gründlich abklärten. Deshalb ist es möglich, dass ein Gericht den Whistleblower vom Vorwurf der Verletzung des Bankgeheimnisses freisprechen wird – falls er gutgläubig war, das heisst wirklich vor allem den Missstand beheben und nicht eine politische Kampagne führen wollte.

4. Das rigorose Durchsetzen von Geheimhaltungspflichten bringt nichts. Der Staat sollte wenn immer möglich umfassende Transparenz schaffen. Nur so kann heute Macht legitimiert werden. Auch das haben die Behörden noch nicht wirklich begriffen. So hat die Nationalbank mit ihrer verschleiernden Pressemitteilung vom 23. Dezember 2011 die politische Kampagne der SVP erst richtig in Gang gebracht. Sofort hätten das interne Reglement über Eigengeschäfte der Direktoriumsmitglieder und die Prüfberichte von Price Waterhouse Coopers sowie der eidgenössischen Finanzkontrolle veröffentlicht werden müssen. Und als allgemeine Lehre daraus: Behörden sollten Gesuche um Einsicht in amtliche Dokumente nicht wie heute leider üblich mit fadenscheinigen Argumenten abwimmeln, sondern wenn immer möglich gutheissen.

Werden diese Lehren gezogen, wird es schwierig sein, mit politischen Kampagnen demokratisch gewählte, fähige Leute wegen untergeordneten Fehlern aus dem Amt zu drängen. Und Informanten müssen nicht in der psychiatrischen Klinik landen.

www.investigativ.ch: Die Recherche-Plattform der Schweiz

Der Verein investigativ.ch baut seine Website zum Kompetenzzentrum für Recherche aus. Ab dem 1. November 2011 verraten Recherche-Journalistinnen und -Journalisten unter  www.investigativ.ch ihre Tipps und Tricks.

Der Mitgliederbereich der neuen Website bietet handfesten Service:  Rechercheanleitungen, kommentierte Links, Dossiers mit dem aktuellen Stand von Recherchen in wichtigen Themenbereichen. Zudem stehen Musterbriefe für Einsichtsgesuche zum Download bereit, und ein Forum ermöglicht den Austausch über konkrete Rechercheprobleme.

Auch Nicht-Mitglieder können sich über einen Blog über die aktuellen Entwicklungen in der weiten und nahen Welt der Recherche informieren. Und wer den Newsletter abonniert, ist über Veranstaltungen und Tagungen auf dem Laufenden.

Das Angebot wird von allen Mitgliedern des Vereins investigativ.ch aktualisiert und weiter angereichert. So berichtet die Website aktuell über die Herzberg-Tagung vom 2. November 2011, die dieses Jahr der Recherche gewidmet ist.

Recherchewissen ist shareware. Davon ist investigativ.ch überzeugt. Mitglied können alle hauptberuflichen Journalistinnen und Journalisten werden.

Investigativ.ch, das Recherche-Netzwerk Schweiz, ist  auch auf Twitter (investigativ_ch) und Facebook präsent. Reinschauen, „followen“ und „liken“.

Wie die AKW-Aufsicht Bürger abwimmelt

Ein Bürger will wissen, wieso ein Strafverfahren gegen Verantwortliche des AKW Gösgen wegen einer unterlassenen Meldung eines Störfalls eingestellt wurde. Das Bundesamt für Energie verweigert die Einsicht in die Einstellungsverfügung – der Bürger habe kein schutzwürdiges Interesse.

Am 24. Juni 2008 fallen alle vier 48-Volt-Gleichrichter des Notstandsystems im Kernkraftwerk Gösgen (KKG) aus. Der Störfall wird behoben, aber erst acht Monate später dem Eidgenös­sischen Nuklearsicherheits­inspektorat (Ensi) gemeldet. Das Gesetz verlangt aber eine Meldung innert 24 Stunden. Deshalb reicht das Ensi Straf­anzeige wegen Meldepflichtverletzung gegen die Betreiber des Kernkraftwerks ein.

Doch ohne Erfolg: Das Bundesamt für Energie stellt das Strafverfahren Anfang Juli 2011 ein. Es könne «nicht festgestellt werden, ob und wann von welchen Mitarbeitenden des KKG ein meldepflichtiges Ereignis hätte angenommen werden müssen».

Mehr steht nicht in der Pressemitteilung des Bundesamts. Spätestens seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima weiss man, wie wichtig Aufsichtsbehörden und die Aufsicht über Aufsichtsbehörden von Kernkraftwerken sind. Deshalb will Marco Zurfluh* die ganze Begründung der Einstellungsverfügung erfahren. Nur so lässt sich kontrollieren, ob die Aufsichtsbehörden sorgfältig arbeiten und ob sie über alle nötigen rechtlichen Mittel verfügen, um eine effektive Kon­trolle auszuüben.

Doch Zurfluhs Gesuch wird vom Bundesamt für Energie abgeblockt: Er habe als einfacher Bürger kein schutzwürdiges Interesse an einer Einsicht in das Dokument. «Von einem Reaktorunfall wäre ich aber sehr wohl betroffen», kritisiert Zurfluh diese Argumentation.

Weil Medien ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in Einstellungsverfügungen grundsätzlich zuerkannt wird, hat  der Beobachter ein Einsichtsgesuch gestellt und das entsprechende Dokument erhalten. Die AKW-Spezialisten prüfen nun die Begründung. Fortsetzung folgt.

Im Nachhinein mailte das Bundesamt für Energie Zurfluh übrigens, er solle doch nochmals ein Gesuch stellen und dartun, dass er im Gefahrenperimeter wohne – dann könne die Einsicht vielleicht gewährt werden. Dass Zurfluh in Küsnacht wohnt und deshalb bei einer Katastrophe gefährdet wäre, hätte das Bundesamt bereits beim ersten Gesuch am Briefkopf unschwer ablesen können.

* Name geändert

Sieg für die Transparenz in St. Gallen

Im Kanton St. Gallen müssen Strafbefehle an Medien herausgegeben, wenn nicht ein überwiegendes privates Interesse dagegensteht. Ein Sieg für die Medienfreiheit – erkämpft vom Beobachter.

Der erste Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, Thomas Hansjakob, hatte Anfang Jahr einen Bürger den Beobachter und Justizblog mit knappen Sätzen abgewimmelt: Nein, den Strafbefehl gegen zwei Jugendliche, die mit Tempo 260 auf der Autobahn und 160 innerorts vor der Polizei geflohen sind, dürfe man nicht einsehen, denn darauf bestehe kein Anspruch.

Dagegen wehrte sich der Beobachter – mit Erfolg: Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen hat Ende Juni 2011 festgehalten, dass in Strafbefehle grundsätzlich «Einsicht zu gewähren ist, sofern keine überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen». Im konkreten Fall haben die Richter diese Interessenabwägung gleich selbst gemacht: Weil der Beobachter nur einen anoymisierten Entscheid verlange, gebe es gar kein Interesse, den Strafbefehl geheim zu halten. Fazit: «Die Staatsanwaltschaft hat den Strafbescheid in anonymisierter Form auszuhändigen.»

Damit ist auch klar, dass die Interessenabwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Einsicht und der Geheimhaltung in Zukunft vom Staatsanwalt allein gemacht werden muss – ohne dass der Beschuldigte zur Stellungnahme eingeladen wird.
Das ist erfreulich. Der Entscheid ist rechtskräftig.

Damit kann man unterdessen im Kanton St. Gallen wie in Luzern und Basel Strafbefehle innert nützlicher Frist und ohne Kosten einsehen. In den Kantonen Zürich, Zug und Bern hingegen wird weiterhin ein langwieriges kostspieliges Verfahren durchgeführt, das Justizkontrolle verunmöglicht.

Beobachter lanciert das Schweizer Wikileaks

Wer Missstände im Betrieb oder in der Verwaltung öffentlich macht, wird entlassen und bestraft – obwohl damit Steuern gespart werden und Korruption in Betrieben bekämpft wird. Deshalb handelt der Beobachter und lanciert eine rechtliche Beratung für Whistleblower, vermittelt spezialisierte Anwälte und bietet unter www.sichermelden.ch eine Internetplattform an, die auch anonyme Meldungen ermöglicht.

Der Staat bleibt derweil untätig. Seit fast eineinhalb Jahren liegt ein Whistleblower-Gesetz samt abgeschlossener Vernehmlassung in der Schublade des EJPD. Und die zweite ergänzende Vorlage zur Verbesserung des Kündigungsschutzes erleidet nun bereits seit fast 6 Monaten dasselbe Schicksal.

Solange der Gesetzgeber zaudert und Betriebe keine professionellen Anlaufstellen einrichten, die wirksam Anonymität gewährleisten, bleibt es somit den Medien überlassen, Meldungen von Missständen entgegenzunehmen und öffentlich zu machen, falls sich die Vorwürfe erhärten.

Medienanwalt Glasl eilt Staatsanwälten zu Hilfe

Rechtsanwalt Daniel Glasl redet die Transparenz der Staatsanwaltschaften schön. Die Medienfreiheit sei nicht in Gefahr, titelte er am 10. Mai 2011 in einem Gastbeitrag der NZZ. Und zeigte damit seine Naivität.

Medienanwalt Glasl reagiert mit seinem Kommentar auf einen Artikel in der NZZ, in dem ich schilderte, wie die Staatsanwaltschaften seit Anfang Jahr mit überlangen Verfahren und prohibitiven Kosten, die Medien davon abhalten, die Arbeit der Strafverfolger zu kontrollieren. Glasl referiert des langen über die Persönlichkeitsrechte, analysiert drei Fälle oberflächlich, hat aber von der eigentlichen Problematik wenig begriffen.

Denn mir und andern Medienschaffenden geht es nicht darum, eine Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten zu verhindern. Aber diese Abwägung soll der Staatsanwalt ohne langes Stellungnahmensverfahren machen – genau wie es die Gerichte seit Jahrzehnten zur vollen Zufriedenheit von Betroffenen und Medien machen und die Strafverfolger gemacht haben. Diese effizienten Einsichtsentscheide dauern meist nur Stunden oder ein, zwei Tage, kosten kaum etwas und erlauben die umfassende Sicherung der Persönlichkeitsrechte in der Interessenabwägung der in solchen Fragen erfahrenen Richter und Staatsanwälte.

So lief die Einsicht in Strafbefehle jahre- und jahrzehntelang problemlos. Erst seit Entscheiden des Bundesgerichts, welche die Rechte der Medien stärkten, haben die Staatsanwaltschaften zu mauern begonnen. Zumindest in Zug und Zürich – den finanzkräftigen Zentren mit Firmen und Privatpersonen, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen – vor allem wenn sie sich von Strafverfahren via Art. 53 StGB loskaufen. Und denen sich Glasl offenbar mit seinem Text empfehlen will. Greift diese Praxis um sich, ist die Geheimjustiz im Vormarsch und die Medienfreiheit eben doch in Gefahr.

In Basel und neu auch Luzern hingegen geht es übrigens anders: Da entscheiden die Staatsanwälte wie bisher selbst über Einsichtsgesuche – ohne langes Verfahren und mit minimalen Kosten für die Medien. Es geht also. Rechtlich lässt sich diese Lösung darauf stützen, dass Einsicht in sensible Personendaten gewährt wird, wenn das Gesetz (Art. 30 Abs. 3 BV und EMRK 6) dies erlaubt. Es braucht also keine Einwilligung des Betroffenen wie dies in Zürich und Zug neu konstruiert wird. Ansonsten müsste man konsequenterweise dasselbe prohibitive Einsichtsverfahren für die Einsicht in Urteile einführen – und davon ist das Bundesgericht, das seine Entscheide fast vollständig im Internet publiziert (!) weit entfernt.

Also Staatsanwälte: Stellt Eure Strafbefehle und Einstellungsverfügungen ins Internet. Denn gemäss Bundesgericht gibt es unter dem Aspekt von Art. 30 Abs. 3 BV keine nennenswerten Unterschiede zwischen Urteilen und Strafbefehlen.