Mustergesuch zur Einsicht in Einstellungsverfügungen

Immer wieder erhalte ich Anfragen, wie man Einstellungsverfügungen herausverlangen kann. Zur Vereinfachung habe ich dafür zwei Mustergesuche samt Anleitung formuliert (einen für Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB bei Wiedergutmachung und einen für Einstellungsverfügungen allgemein).

Viel Erfolg damit. Und: Haltet mich auf dem Laufenden über allfällige Erfolge oder Misserfolge von Einsichtsgesuchen mit Mail an dominique.strebel(at)gmx.ch.

Hier das Mustergesuch für Einstellungsverfügungen allgemein

20_04_29_Musterbrief_Einsicht_Einstellungsverfügungen_allgemein

Und hier das Mustergesuch für Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB (Wiedergutmachung)

18_03_13_Musterbrief_Einsicht_Einstellungsverfügungen_Art53

In 12 Schritten zur wahren Story

Im Nachgang zum Fall Relotius habe ich mir überlegt, wie Storytelling, Wahrhaftigkeit und Recherche im Arbeitsablauf von Journalisten am besten aufeinander abgestimmt werden. Hier zwei Grundsätze und zwölf Schritte zum Umsetzen.

  1. Storytelling hat dienende Funktion. Zentral im Journalismus ist die relevante, faktenbasierte Information.
  2. Aber: Storytelling ist wichtig, denn nur so werden die journalistischen Recherchen und Informationen gelesen

Deshalb empfiehlt sich folgender Arbeitsablauf in 12 Schritten:

  1. Aussagewunsch/Recherchethese formulieren; Mindmap und darauf Rechercheplan erstellen (So ist das Storytelling bereits von Beginn weg integriert)
  2. bedingungslos Recherchieren: mit gleicher Verve den bestätigenden wie den widersprechenden Hinweisen/Indizien nachgehen; Recherchethese laufend anpassen oder über Bord werfen
  3. nur zum Storyinhalt machen, was wir mit mindestens zwei unabhängigen Quellen (oder einer harten Quelle: rechtskräftiges Urteil, amtliche Mitteilung) belegen können
  4. Recherche dokumentieren
  5. Bewusst von Recherche- zu Schreibphase wechseln: Recherchedokumentation, Materialsammlung weglegen; inkubieren – Joggen, Schlafen, um den Block laufen
  6. Story bauen: Fokus, Aussagewunsch formulieren (geschah bereits mit laufend justierter Recherchethese), Helden, Orte, Handlungen, Szenen bestimmen; Einstieg, Mitte, Ende festlegen, Erzählmuster, Plot etc.
  7. Freies Schreiben losgelöst von detaillierten Recherchebelegen (Recherchedoku, Materialiensammlung bewusst in Schublade legen)
  8. Faktencheck: Zu jedem im Text geschilderten Fakt den einen oder die zwei Belege in ein Mäppchen legen oder in der Online-Dok raussuchen
  9. Fairnesscheck: Zu jedem im Text geschilderten schweren Vorwurf die belegte Stellungnahme hervorsuchen
  10. Framing-Check: Habe ich nur dort Worte mit Spin verwendet, wo dies durch die belegten Fakten gedeckt ist?
  11. Storytelling-Check: Gebe ich durch das Storytelling den Faktenelementen einen Zusammenhang, der durch die Fakten gedeckt ist?
  12. Publizieren und gegebenenfalls sofort berichtigen, wenn sich Fakten als falsch erweisen.

„Unnötige“ Recherche nicht geschützt

Das Bundesstrafgericht hat einem RTS-Journalisten den Schutz der Medienfreiheit verweigert, weil seine Recherche „total unwirksam und unnötig gewesen“ sei und nicht Eingang in seinen Bericht gefunden habe.

Das Urteil ist bedenklich: Zum einen war die kritisierte Recherchehandlung nicht „unnötig“ und zum andern wissen gute Rechercheure nie, welches Resultat eine Methode zeitigt. Gute Rechercheurinnen haben nur Vermutungen, die sie verifizieren oder falsifizieren. Wenn sie wirklich vorurteilslos arbeiten, können sie das Resultat gar nicht kennen.

Für dieses Urteil hat das Gericht in Bellinzona den „Goldenen Bremsklotz“ des Schweizer Recherchenetzwerkes erhalten. Ich habe die Laudatio gehalten.

Laudatio Goldener Bremsklotz 2017

Liebe Bundesstrafrichterinnen, liebe Bundesstrafrichter,
Lieber Einzelrichter David Glassey

ich gratuliere Ihnen zum Goldenen Bremsklotz 2017. Sie haben ihn redlich verdient. Sie haben den Genfer Journalisten Joël Boissard bestraft, weil er eine Sicherheitslücke im elektronischen Stimm- und Wahlsystem aufgezeigt hat. Boissard konnte zwei Mal abstimmen – als ehemaliger Auslandschweizer und als Genfer Neuzuzüger. Nach seiner doppelten Stimmabgabe hat er die Genfer Staatskanzlei informiert, damit das Resultat nicht wirklich verfälscht wird.

Aber statt sich zu bedanken, dass da jemand ernsthafte Mängel in einem zentralen System der Demokratie aufzeigt, haben Sie, liebe Bundesstrafrichter, den Journalisten der Radio Télévision Suisse wegen Wahlfälschung verurteilt.

Zwar haben Sie Boissard bloss 2 Tagessätze à 200 Franken bedingte Geldstrafe und die Verfahrenskosten von 2500 Franken aufgebrummt. Das ist ja fast nichts. Doch die Hauptstrafe für den Journalisten ist eine andere: Sein Strafregisterauszug hat nun einen Eintrag: Wahlfälschung. Damit wird Boissard Probleme bei der Stellen- und Wohnungssuche haben. Und bei seinen zukünftigen Recherchen einen Bremsklotz am Bein, einen „Chilling Effect“ auf der Haut.

Der Journalist wird sich zweimal überlegen, ob er mit Recherchen in die Tiefe geht, wenn er dabei die Grenze des Legalen streifen muss. Genau das haben Sie gewollt. Aber genau das schadet dem Journalismus mit Biss, der über Missstände informiert und damit der Demokratie dient. Zum Beispiel ein Wahl- und Stimmsystem verbessert. Ihr Urteil ist Informationsverhinderung erster Klasse.

Ich gratuliere Ihnen auch, weil Sie es geschafft haben, der Recherche eines Medienschaffenden den Schutz der Medienfreiheit (Art. 17 BV) gänzlich abzusprechen. Chapeau. Das braucht ein gerüttelt Mass an juristischer Finesse.

Sie sagen, es habe Boissard gar nichts gebracht, dass er zweimal abgestimmt habe. Er habe danach ja nicht gewusst, ob die Staatskanzlei tatsächlich beide Stimmabgaben gezählt habe. Deshalb sei die doppelte Stimmabgabe für die Recherche „total unwirksam und unnötig gewesen“. Zudem sei die doppelte Stimmabgabe in seinem Bericht auch gar nicht erwähnt worden. Und deshalb könne er sich gar nicht auf die Medienfreiheit berufen.

Wow. Das ist ein Bravourstück. Sie haben es geschafft, dem Journalisten den Schutz der Medienfreiheit zu entziehen, weil Sie den Recherchealltag gar nicht kennen. Denn auch Recherche muss unter das Grundrecht der Medienfreiheit fallen – und das auch dann, wenn sie im Nachhinein betrachtet nichts, oder fast nichts bringt und nicht Teil eines Berichtes wird. Weil Sie sich nicht in die Haut eines Rechercheurs versetzen können, verweigern Sie den Journalisten ein Grundrecht. Das ist Unwissen und Kurzsichtigkeit.

Journalistinnen und Journalisten kennen nämlich das Resultat eines Rechercheschrittes nicht, bevor sie ihn gemacht haben. Das ist sogar eine Grundvoraussetzung von gutem Journalismus, der ohne Vorurteile Fakten prüft. Und genau das ist das Dilemma jeder Recherche mit Biss: Wenn eine Medienschaffende zum Beispiel eine versteckte Kamera einsetzt, weiss sie noch nicht, ob das, was sie filmt, ihre Vermutung bestätigt – dass zum Beispiel Versicherungsberater ahnungslose Bürger abzocken. Aber alleine durchs Filmen macht sie sich bereits strafbar. Zeigt der Film das Gegenteil – nämlich zum Beispiel eine völlig korrekte Beratung –muss sie auf gnädige Richter hoffen,

Deshalb: Rechercheure müssen eine Methode einsetzen dürfen, wenn diese zum Voraus zumindest nicht als völlig ungeeignet erscheint, um eine wichtige Sache zu überprüfen.

Und da haben Sie gekonnt heruntergespielt, dass die doppelte Stimmabgabe durchaus eine Erkenntnis zu Tage förderte: Das Genfer E-Voting-System blockiert weder eine zweite Stimmabgabe, noch hat es eine Warnfunktion. Das mag ein untergeordnetes Resultat sein, aber es ist ein Resultat. Und das Gegenteil hätte die Recherche sofort beendet.

Ich weiss, Ihnen war beim Urteil nicht ganz wohl. So haben Sie das Strafmass von ursprünglich 10 Tagessätzen, welche die Bundesanwaltschaft verhängen wollte, auf 2 Tagessätze gesenkt. Doch weshalb dann nicht ganz von Strafe Abstand nehmen? Denn im Resultat bleibt Ihr Urteil stossend: Ein Journalist zeigt Mängel in einem zentralen System unserer Demokratie auf, wird aber für seine Recherche abgestraft.

Nun komme ich aber zum Wermutstropfen für Sie: Sie müssen diesen schönen Preis teilen oder dürfen ihn zumindest nur stellvertretend entgegennehmen. Denn Sie sind nicht alleine. Es gibt einige Staatsanwälte und Richter bis hin zu Bundesrichterinnen, die ähnlich mit Journalisten umgehen.

Sie alle sehen wenig Wert in einer Recherche, die mit Biss an die Grenze des Legalen geht. Fast immer wenn eine Recherche einen Straftatbestand erfüllt – illegale Ton- und Filmaufnahmen(etwa Urteil des Bundesgerichts 6B_225/2008), Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (etwa Urteil des Bundesgerichts 6B_1267/2015), illegalen Grenzübertritt (BGE 127 IV 166ff.), Hausfriedensbruch (etwa Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Luzern vom 21. 4. 2017 i.S. Gundula) – gewichtet die Justiz das Strafverfolgungsinteresse höher als die Medienfreiheit und das öffentliche Interesse an der Information. Und so wenden Richter auch den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen fast nie an, obwohl sie damit Journalisten freisprechen könnten, wenn diese wichtige Arbeit machen, von der die Demokratie und die Öffentlichkeit profitieren.

Deshalb möchte ich Ihnen den Goldenen Bremsklotz nicht einfach überreichen, sondern Sie gleichzeitig einladen, sich in Schweizer Rechercheredaktionen ein Bild von der Arbeit von Rechercheurinnen und Rechercheuren zu machen. Wir vermitteln dem Bundesstrafgericht gerne die Kontakte.

Und auf jeden Fall bleibt investigativ an diesem Problem dran. Wir werden uns auch politisch dafür einsetzen, dass Medienschaffende, die berechtigte Interessen wahren, rechtlich besser geschützt werden.

Mit freundlichen Grüssen nach Bellinzona

Ihr Schweizer Recherchenetzwerk investigativ.ch

P.S. Vom Bundesstrafgericht erschien niemand zur Feier, um den Preis entgegenzunehmen. Er geht am 11.5.17 auf die Post.

P.PS. RTS und Joel Boissard haben beim Bundesgericht Beschwerde gegen das Urteil eingelegt. Es ist somit nicht rechtskräftig.

P.P.P.S. Das Bundesgericht hat die Beschwerde von RTS und Joel Boissard gutgeheissen und den Entscheid des Bundesstrafgerichts aufgehoben. Es habe dem Journalisten an Vorsatz gefehlt, Wahlfälschung zu begehen. Sein Ziel sei es gewesen, eine Anomalie öffentlich zu machen. (BGer 6B_604/2017 vom 18. April 2018)

Strassburg: Busse für Veröffentlichung von Akten aus Vorverfahren zulässig

Die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg hat es für mit der EMRK vereinbar erklärt, dass das Schweizer Bundesgericht einen Journalisten wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) zu einer Busse verurteilte.

Der Journalist der Zeitschrift L’illustré hatte 2003 ein Porträt des Beschuldigten im Fall Grand Pont veröffentlicht – unter anderem gestützt auf Einvernahmeprotokolle und Briefe zwischen dem Beschuldigten und dem Staatsanwalt. Der Autofahrer war 2003 auf das Trottoir der Lausanner Brücke Grand-Pont gerast und hatte dabei drei Menschen getötet und sieben verletzt. Der Text trug die Überschrift «Die Befragung des verrückten Lenkers».

Das Bundesgericht hatte den Journalisten am 29. April 2008 letztinstanzlich zu einer Busse von 4000 Franken verurteilt.

Die zweite Kammer des EGMR hiess die Beschwerde des Journalisten am 1. Juli 2014 gut und verurteilte die Schweiz wegen einer Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10 EMRK).

Die Schweiz hat den Fall an die grosse Kammer des EGMR weitergezogen und mit dem heutigen Entscheid recht erhalten: Die Verurteilung des Journalisten verletzte die EMRK nicht. Damit ist in diesem Fall das letzte Wort der Justiz gesprochen und die Busse des Journalisten bleibt definitiv bestehen.

Kurze erste Würdigung des Entscheides:

Das heutige Urteil der Grossen Kammer des EGMR ist vor allem der Entscheid in einem Einzelfall. Er ist kein Freibrief für die Verurteilung von Journalisten, die aus Dokumenten des Vorverfahrens einer Strafuntersuchung zitieren, denn entscheidend waren die Details im Fall Grand Pont: Der Journalist der L’illustré hat auf der Grundlage von Einvernahmeprotokollen und Briefen des Beschuldigten an den Untersuchungsrichter ein Porträt des Beschuldigten gezeichnet, das wenig von berechtigten öffentlichen Interessen und viel von Voyeurismus getragen war.

Entscheidend am heutigen Urteil aus Strassburg ist, dass der EGMR von den Gerichten ein sorgfältiges Abwägen der Informations- und der Geheimhaltungsinteressen verlangt. Würde ein Journalist auf der Basis von geheimen Dokumenten eines Vorverfahrens die Untersuchungsführung eines Staatsanwalts (zB. Verschleppung des Verfahrens, grobe prozessuale Fehler etc.) kritisieren, würde der EGMR ein solches Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit schützen. In diesem Sinne ist denn von den Schweizer Gerichten der heutige Art. 293 StGB auch nach dem neuesten Urteils aus Strassburg anzuwenden und noch viel mehr der im Sinn der Rechtskommission des Nationalrats revidierte Artikel 293 StGB, der diese Interessenabwägung explizit ins Gesetz schreibt.

Das Signal an die Journalisten ist aber ebenfalls deutlich: Wenn Medien geheime Dokumente verwenden, müssen sie sorgfältig arbeiten und dürfen dies nur bei berechtigten öffentlichen Interessen machen, welche die Geheimhaltungsinteressen von Staat und/oder Privaten überwiegen.

Damit verfeinert der EGMR die Rechtsprechung zu Art. 293 StGB, die er bereits mit dem Fall Stoll begonnen hat. Die zwei nächsten Fälle (L’illustré: BGer 2012-09-27 StGB 293 Illustre Abuseur d’enfants und NZZ am Sonntag), in denen der EGMR seine Rechtsprechung weiter ausdifferenzieren kann, liegen bereits in Strassburg. Sie werden aber – bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer in Strassburg von sechs Jahren – erst 2018, bzw. 2019 zum Entscheid kommen.

Eine sehr gute Würdigung des aktuellen Urteils im Detail finden Sie hier.

Die laufende Revision des Artikels 293 StGB wird durch den neuesten Entscheid des EGMR wohl eher gestützt. Die Rechtskommission des Nationalrats will die Veröffentlichung amtlicher Verhandlungen weiterhin für strafbar erklären. Aber nur dann, wenn das öffentliche oder private Interesse, eine Information geheim zu halten, schwerer wiegt als jenes Interesse, diese Information öffentlich zu machen. (E-Art. 293 Abs. 3 StGB im Originalton: „Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat.“)

Wie „Recht brauchbar“ bereits kommentiert hat, sollte Art. 293 StGB für Medienschaffende auf den Schutz des strafrechtlichen Untersuchungsgeheimnisses beschränkt werden – so wie dies Deutschland seit 1980 (und auch nach der neuesten Revision) grundsätzlich tut.

Es droht Landesverweis wegen investigativer Recherche

Wird die «Durchsetzungsinitiative» der SVP am 28. Februar angenommen, schränkt dies den Handlungsspielraum der Medien ein. Journalistinnen und Chefredaktoren ohne Schweizer Pass würden künftig des Landes verwiesen für Delikte, die sie als Teil des Berufsrisikos in Kauf nehmen müssen.

Schweizer Journalisten können auch nach Annahme der Initiative weiterhin Berufsrisiken wie Strafverfahren wegen Ehrverletzung in Kauf nehmen. Ihnen droht bloss eine (bedingte) Geldstrafe. Das ist auch gut so, denn nur wer sich getraut, an die Grenze der Legalität zu gehen, kann wichtigen, kritischen Journalismus betreiben.

Ganz anders die Situation von Journalisten ohne Schweizer Pass: Sie würden künftig des Landes verwiesen, wenn sie wegen Ehrverletzung verurteilt und danach eine weitere Straftat gemäss zweiter Kategorie des Deliktskatalogs der Durchsetzungsinitiative begehen. Darunter sind so häufige Straftaten wie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (2014: 1656 Verurteilungen) oder Hausfriedensbruch mit Sachbeschädigung (2014: 6630 Verurteilungen für alle Arten von Hausfriedensbruch. Zahlen für die qualifizierte Form fehlen).

Beide Delikte gehören ebenfalls zum Berufsrisiko von Journalisten, die ihren Job ernst nehmen und Missstände öffentlich machen:

_Missstände im Tierschutz können oft nur recherchiert werden, wenn der Journalist in den Stall eindringt, in dem er illegale Haltebedingungen vermutet. Dabei begeht er Hausfriedensbruch kombiniert mit Sachbeschädigung (Art. 186 Ziff. 1 Bst. c StGB). Vor Gericht kann er zwar geltend machen, seine Recherche sei im überwiegenden öffentlichen Interesse. Doch Schweizer Richter anerkennen diese Rechtfertigung äusserst selten.

_Greifen Polizisten an Demonstrationen mit unverhältnismässiger Härte durch, können dies Journalisten nur dokumentieren, wenn sie nahe genug herangehen. Dann aber erfüllen sie unter Umständen den Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB), wenn ein Gerangel ausbricht. Für einen Schuldspruch genügt bereits ein Fusstritt gegen den Polizisten, der einen festnehmen will. Um straflos zu bleiben, müssen Medienschaffende nachweisen, dass sie nur als passive Beobachter dabei waren.

Noch einschneidender sind die Folgen der Durchsetzungsinitiative für ausländische Ressortleiter oder Chefredaktoren: Begeht ein ihnen unterstellter Journalist (egal ob Schweizer oder Ausländer) Hausfriedensbruch mit Sachbeschädigung oder Gewalt und Drohung gegen Beamte, werden die Chefs als Gehilfe oder Mittäter mitverurteilt und müssen das Land zwingend für fünf bis zehn Jahre verlassen, wenn sie vorgängig zum Beispiel eine Ehrverletzung begangen oder eine versteckte Kamera zu Unrecht eingesetzt haben. Es liegt auf der Hand, dass ein Chef ohne Schweizer Pass, seine Redaktoren im Zweifel eher bremsen wird, als diese Sanktion in Kauf zu nehmen.

In der Schweizer Medienlandschaft gibt es viele ausländische Chefs: Von «Blick»-Geschäftsführer Wolfgang Büchner über «Blick»-Chefredaktorin Iris Mayer bis hin zum Kassensturz-Chef Wolfgang Wettstein, der die Leitung allerdings auf Ende März abgibt. Gerade sein Fall zeigt, wie real die Gefahr ist, die von der Durchsetzungsinitiative ausgeht: Wettstein wurde 2009 verurteilt, weil seine Redaktoren die zweifelhaften Methoden eines Schönheitschirurgen mit versteckter Kamera festgehalten hatten. Illegale Bild- und Tonaufnahmen (Art. 179ter und quater StGB) führen gemäss Durchsetzungsinitiative zu einer gelben Karte: Wird Wettstein zum zweiten Mal verurteilt – zum Beispiel, weil ein Kassensturz-Redaktor in einen Mastbetrieb eindringt, um die Zustände der Tierhaltung zu dokumentieren –, muss er zwingend des Landes verwiesen werden, falls die Initiative angenommen wird. Die Durchsetzungsinitiative fördert also unkritischen Journalismus, der lieber wegsieht – auch bei wichtigen Missständen.

P.S. Der Artikel beruht auf einer Analyse des Medienrechtsprofessor Franz Zeller, der die Thematik juristisch umfassend aufgearbeitet hat 2016-02-19 Zeller – Bedenkliche Folgen DSI für Medienleute, der am 22. Februar 2016 im Jusletter erschienen ist.

PPS. (Dieser Text ist erschienen in der Medienwoche vom 8. 2. 2016).

Presserat lockert Journalistenkodex: Leaks erlaubt

Ohne dass es jemand bemerkt hätte, änderte der Schweizer Presserat im April 2015 einen wichtigen Passus des Journalistenkodex: In Zukunft dürfen Medienschaffende vertrauliche Dokumente und Informationen veröffentlichen, auch wenn diese durch unlautere Methoden erlangt wurden. Damit entfernt sich die Medienethik weiter vom Medienrecht.

Bis vor einem halben Jahr musste mit einer Rüge des Presserats rechnen, wer geleakte Informationen veröffentlichte. Richtlinie a.1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» hielt ausdrücklich fest: «Die Information darf nicht durch unlautere Methoden (Bestechung, Erpressung, verbotenes Abhören, Einbruch/Diebstahl) erlangt worden sein». Dieser Passus wurde im vergangenen April ersatzlos gestrichen.

Die Lockerung hat allerdings Grenzen. Gemäss Presserat dürfen Informationen, die auf geleakten Daten oder Dokumenten beruhen, nur dann veröffentlicht werden, wenn die Medienschaffenden die Quellen kennen, die Information im öffentlichen Interesse ist, keine äusserst wichtigen Interessen tangiert sind und wenn der Informant die Indiskretion absichtlich und freiwillig getätigt hat.

Die kleine aber feine Anpassung des Journalistenkodex ist bemerkenswert, weil der Presserat damit noch stärker auf Distanz zu den Schweizer Gerichten geht, die illegal erlangte Beweise für unverwertbar erklären und die die Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) immer noch streng ahnden.

Zudem entwickelt sich das medienethische Selbstkontrollorgan der Schweiz auch weg vom Trend in Deutschland. Dort hat der Bundestag letzten Freitag, 16. Oktober 2015, von der öffentlichen Meinung wenig beachtet unter dem Titel «Datenhehlerei» einen neuen Artikel 202d ins Strafgesetzbuch eingefügt:

  1. Wer Daten (§ 202a Absatz 2), die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
  2. (…)
  3. Absatz 1 gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen (…).»

Absatz 3 soll gemäss erläuterndem Bericht auch Journalisten von der Strafbarkeit ausnehmen, aber nur, wenn sie eine konkrete Veröffentlichung vorbereiten. Der Deutsche Anwaltsverein kritisierte, diese Regelung greife zu kurz: «Ein Journalist, der Daten zugespielt bekommt, kann naturgemäss erst nach der Sichtung des Datenbestandes beurteilen, ob daraus eine Veröffentlichung werden kann bzw. soll». Dann habe er sich aber bereits strafbar gemacht. Zudem gelten Blogger, Programmierer etc. nicht als Journalisten und sind vor Strafe in Zukunft nicht geschützt.

In Deutschland scheint nach dem Debakel rund um die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen das Blog netzpolitik.org das Pendel wieder in Richtung Geheimhaltung zurückzuschlagen.

Und ganz grundsätzlich fällt auf, dass die Schweiz und Deutschland nach einem neuen Gleichgewicht zwischen Öffentlichkeit und Geheimnis suchen und dabei bisher ohne kohärenten Plan agieren. Doch kein Wunder, wirken doch seit einigen Jahren zwei Kräfte, die sich teilweise entgegenlaufen, teilweise verstärken: Zum einen das Grundcredo der Transparenz, dem sich der moderne Staat verpflichtet hat, und zum andern die Unsicherheit von Daten im digitalen Zeitalter. Dass der Schweizer Presserat in dieser Grundsatzdebatte ein deutliches Zeichen setzt, ist aus Sicht des Journalismus sehr zu begrüssen. Und hoffentlich orientiert sich der Schweizer Gesetzgeber nicht an der neuen Härte Deutschlands sondern am Presserat, streicht in der laufenden Revision Artikel 293 StGB, der die Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen unter Strafe stellt, und beschliesst eine Revision des Obligationenrechts, das Whistleblower tatsächlich besser schützt.

Denn als Grund für die Streichung des Verwertungsverbots von unlauter beschafften Informationen nennt Presserats- Geschäftsführerin Ursina Wey gerade die Debatte über das Whistleblowing. Die ursprüngliche Fassung von Richtlinie a.1 stamme aus dem Jahr 2000, damals sei dieses Thema (noch) nicht aktuell gewesen. «Zudem erachtete es der Presserat als problematisch, (abschliessend) konkrete Delikte bzw. Straftatbestände zu nennen, welche dazu führen sollen, dass eine Indiskretion nicht veröffentlicht werden darf, andere, wie beispielsweise eine Amtsgeheimnisverletzung, hingegen nicht.»

Für diese Klärung gebührt dem Presserat Lob. Irritiernd hingegen ist, wie zurückhaltend er diese Änderung des Journalistenkodex kommuniziert hat. Sie ist ganz hinten im Jahresbericht 2014 erwähnt. Kommentarlos. Und bis Redaktionsschluss wurde die Neuerung weder in der Online-Version des Medienethik-Ratgebers des Presserats noch in dessen App nachgeführt. Dort finden orientierungsbedürftige Journalisten immer noch die alte Version. So ernst der Presserat von den Gerichten bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte genommen wird, wenn sie unbestimmte Rechtsbegriffe zu füllen haben, so wenig scheint sich der Presserat selbst seiner Bedeutung bewusst zu sein.

Vorratsdaten hebeln Quellenschutz aus

Anhand von Natel- und Festnetzdaten, die in der Schweiz 6 Monate lang auf Vorrat gespeichert werden, können Strafverfolgungsbehörden die Identität geheimer Informanten aufdecken. Der journalistische Quellenschutz ist gefährdet.

Für einmal hat selbst Christoph Blocher geschlafen. Da ermittelt die Zürcher Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Gehilfenschaft und Anstiftung zur Bankgeheimnisverletzung im Fall Hildebrand. Sie durchsucht im März 2012 sein Haus, beschlagnahmt Dokumente und Datenträger. Zuerst reagiert Blocher richtig, verlangt die Versiegelung und wehrt sich erfolgreich bis vor Bundesgericht: Die Strafverfolger dürfen keine journalistischen Dokumente der «Weltwoche» verwenden – weder in Papier- noch in Datenform, urteilen die Richter (Urteil vom 22. Juli 2014 1B_424/2013, 1B_436/2013.) Das Präjudiz ist wichtig. Denn in Zukunft sind journalistische Dokumente immer geschützt – egal, wo sie liegen.

Und alert ist der Milliardär auch noch im August 2013, als er erfährt, dass die Strafverfolger die Randdaten seiner Kommunikation mit Handy, Festnetz und E-Mail auswerten wollen – also etwa Adressat und Dauer. Doch dann begeht er einen Fehler. Denn mit keinem Wort verlangt er, dass die Daten der Gespräche mit Journalisten nicht verwertet werden dürfen, weil sie eben auch dem Quellenschutz unterstehen. So weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, ohne den Quellenschutz zu erwähnen (Urteil vom 22. Juli 2014 1B_420/2013). Medienschaffende müssen deshalb weiterhin damit rechnen, dass ihre InformantInnen auffliegen, wenn sie ins Visier der Strafverfolger geraten.

Anhand dieser Randdaten können Strafverfolger nicht nur ablesen, wer mit wem, wann und wo gemailt und per Natel oder Festnetz telefoniert hat, sondern sogar, wo sich die Person aufgehalten hat. Die Mobilfunkantennen übermitteln periodisch, welche Handys sich in der Nähe befinden. Diese Daten werden sechs Monate lang gespeichert. Es sind in Wirklichkeit nicht Rand-, sondern Kerndaten – wenn man im Sprachbild bleiben will. Und die Rechtslage in Sachen Quellenschutz ist ungeklärt. Zwar muss der Staat von sich aus alle Daten aussondern, die ein Berufsgeheimnis verletzen (Art. 271 StPO), und der Quellenschutz fällt unter diese Regelung. Doch das nützt nichts; denn die Behörde, die aussondert, müsste paradoxerweise auch wissen, dass die Person die geheime Quelle eines Journalisten ist. Und wer (als Journalistin oder Informant) verlangt, dass bestimmte Daten ausgesondert werden, deckt die Quelle gerade auf. Das Problem sieht man selbst beim Bund: «Je nachdem, wer die Quelle ist und wie oft diese Quelle auch sonst mit Journalisten Kontakt hat, ist das vermutlich ein mehr oder weniger starkes Indiz», bestätigt Nils Güggi, Informationsbeauftragter des Dienstes für Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (ÜPF).

Was können Medienschaffende tun? Verschlüsselt mailen genügt nicht, Absenderin und Empfänger bleiben dabei erkennbar, nur der Inhalt ist nicht lesbar. Um sich zu schützen, bräuchte es komplexe Technologie (wie das «Tor»-Netzwerk). Medienschaffende können aber ihre InformantInnen anweisen, beim Dienst ÜPF präventiv die Löschung der gemeinsamen Kommunikation zu verlangen – sofort, und nicht erst wenn ein Verfahren zur nachträglichen Telefonüberwachung läuft. Sinnvoller ist es, die Vorratsdatenspeicherung ganz abzuschaffen, denn sie ist ein unverhältnismässiger Grundrechtseingriff – wie der Europäische Gerichtshof Anfang April festgestellt hat.

P.S. Die publizierten Chatprotokolle im Fall Geri Müller wurden übrigens im Rahmen einer normalen Beweisaufnahme erhoben. Und dass die Uni Zürich im Fall Ritzmann/Mörgeli die Mails an die Strafverfolger weitergegeben hat, ist ein Patzer, der noch vor Gericht beurteilt wird. In beiden Fällen geht es nicht um Vorratsdaten.

Der Text erschien erstmals in WoZ 47/2014 vom 20. November 2014

Strassburg schränkt Justizöffentlichkeit ein

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rügt den Generalstaatsanwalt des Kantons Genf: Wird ein Strafverfahren wegen Verjährung eingestellt, dürfen die Strafverfolger den Beschuldigten in der Begründung nicht in der Sache trotzdem für schuldig erklären. Dieses Urteil ist richtig, hat aber Folgen für die Recherche in der Schweiz: Einstellungsverfügungen sind in Zukunft als Informationsquelle weniger ergiebig, weil Staatsanwaltschaften sie aus Vorsicht weniger detailliert begründen werden.

Der Generalstaatsanwalt hatte in der Einstellungsverfügung festgehalten, dass der Betroffene die Tat zwar begangen habe, aber eben wegen Verjährung nicht zur Rechenschaft gezogen werden könne. Gemäss dem neuen Entscheid des EGMR verletzt dies die Unschuldsvermutung.

Im Januar 2008 hatte der Generalstaatsanwalt des Kantons Genf gegen einen katholischen Priester ein Strafverfahren wegen sexuellen Handlungen eröffnet, es im September aber wegen Verjährung gleich wieder eingestellt. In der Begründung schrieb der oberste Strafverfolger des Kantons Genf:

« Au vu de ce qui précède, il doit être considéré comme établi que [le requérant] a commis à tout le moins sur les personnes de [victime no 1] et [victime no 2] des actes d’abus de la détresse, (…). »

« Il en découle qu’il existait manifestement un lien de subordination et de dépendance, dont [le requérant] a profité de manière éhontée pour commettre les actes décrits par les victimes. »

« L’action pénale (…) ne pourra s’exercer en raison de la prescription même si les faits conduisent au constat qu’une infraction a bel et bien été commise sur les victimes. »

Die Presse griff die Einstellungsverfügung auf und schrieb, der Priester habe die Straftaten begangen und zugegeben.

Gemäss Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte verstösst der Wortlaut der Einstellungsverfügung gegen die Unschuldsvermutung. Deshalb verurteilt er die Schweiz und spricht dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von 12.000 Euro als Genugtuung und von 15’000 Euro für Verfahrenskosten zu.

Dieser Entscheid ist juristisch zu begrüssen, hat aber Konsequenzen für Rechercheure in der Schweiz: Einstellungsverfügungen werden in Zukunft wohl entscheidende Informationen zu Strafermittlungen nicht mehr enthalten. Wichtige investigative Artikel wie zum Beispiel der Artikel im Bieler Tagblatt über den prominenten Geschäftsmann und Lokalpolitiker Theo Griner können in Zukunft nicht mehr geschrieben werden.

Humanrights hat eine gute Zusammenfassung auf Deutsch und einen Kommentar aus Sicht der NGO veröffentlicht.

„Voyeure“ und Denunzianten: Parlament erschwert Recherchen massiv

Schlechte Zeiten für Rechercheure: Der Ständerat beschliesst ein medienfeindliches Whistleblower-Gesetz, das gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst. Und der Nationalrat spricht sich gegen öffentliche Steuerregister aus.

Bundesrat und Parlament ergreift derzeit offenbar Furcht vor Medienschaffenden, die ihren Beruf ernst nehmen und recherchieren wollen: Wichtige öffentliche Register werden geschlossen, und ein neues Gesetz will Whistleblower zum Schweigen bringen. So können Medien ihre Kontrollfunktion immer schlechter wahrnehmen und der Öffentlichkeit fehlen zunehmend zentrale Informationen – vor allem aus der Privatwirtschaft.

Öffentliche Steuerregister Ade!

Mitte September lehnte es der Nationalrat ab, die Kantone zu verpflichten, öffentliche Steuerregister beizubehalten. Und eine knappe Woche später beschloss der Grosse Rat des Kantons Bern, dass Steuerdaten nur noch eingesehen werden können, wenn man ein berechtigtes Interesse nachweist.

Damit schliesst sich für Journalisten auch im Hauptstadtkanton eine wichtige Quelle, die schweizweit ganz zu versiegen droht – und zwar in rasantem Tempo: Waren die Steuerregister noch vor zehn Jahren in der Mehrheit der Kantone öffentlich, sind sie es heute nur noch in sechs – und falls Bern wegfällt – noch in fünf.

Hauptargument der Politiker ist der Schutz vor Voyeurismus. Doch Steuerregister waren jahrzehntelang öffentlich, ohne dass „Voyeure“ Schaden angerichtet hätten. Man reibt sich die Augen über die Qualität der Arbeit des Parlaments. Hätte ein Journalist mit so ungesicherten Quellen einen Artikel geschrieben, wäre er von Presserat und Gerichten abgestraft worden.

Dass Steuerregister für geheim erklärt werden, kommt vor allem reichen Personen und Firmen zu gute. Es schadet aber der 4. Gewalt – den Medien – die immer weniger Quellen heranziehen können, um guten Journalismus zu betreiben. Der private Sektor kann sich abschotten. Und die Politik hilft dabei.

EMRK-widriges Whistleblowergesetz

Ähnlich die Entwicklung beim neuen Whistleblowergesetz, das der Ständerat vor kurzem gutgeheissen hat. Bundesrat und Ständerat wollen Arbeitnehmenden, die in ihren Firmen Missstände beobachten, verbieten, an die Medien zu gelangen. Dies selbst dann, wenn sie die Missstände an eine interne Meldestelle und an eine externe Behörde wie die Staatsanwaltschaft gemeldet haben. Falls die Behörde die Whistleblower nämlich innert 14 Tagen informiert, darf die Öffentlichkeit nichts erfahren – selbst wenn die Behörde nichts gegen den Missstand macht. Der Whistleblower muss schweigen.

„Die Rolle des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin beschränkt sich auf die Inkenntnissetzung der Behörde. Er oder sie hat die Angemessenheit der Reaktion der Behörde nicht zu beurteilen und ihre Entscheide nicht in Frage zu stellen“, schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft zu der Teilrevision des Obligationenrechts (Seite 9547) Und mit entwaffnender Klarheit: „Wenn das Vorgehen der Behörde unzureichend ist oder keine Auswirkungen auf das gemeldete unerlaubte Verhalten hat, darf sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht an die Öffentlichkeit wenden.“ (Seite 9515).

Das Hauptargument hier: Man wolle das Denunziantentum nicht fördern. Auch dies eine Behauptung ohne Grundlage: Erstens gab es kaum Whistleblower aus der Privatwirtschaft. Und zweitens war die überwiegende Zahl von Missstandsmeldungen bisher berechtigt: Von mangelndem Controlling bei der Sozialhilfe im Zürcher Sozialdepartement bis zum Ressortleiter im Seco, der mutmasslich in die eigene Tasche wirtschaftete.

Zudem behaupteten Bundesrätin Simonetta Sommaruga und die Ständeräte der Kommissionsmehrheit in der Ratsdebatte, man schreibe mit dem neuen Gesetzesartikel nur die geltende Rechtsprechung fest und verschlechtere den Schutz von Whistleblowern nicht. Sommaruga im Originalton: „Ich möchte betonen, dass wir bewusst darauf geachtet haben, die Arbeitnehmenden nicht schlechterzustellen, als dies nach geltendem Recht der Fall ist.“ Mit Verlaub, Frau Bundesrätin, das ist falsch.

Gemäss Bundesgericht darf eine Arbeitnehmerin an die Medien gelangen, wenn die Behörde nichts unternimmt. So hält das höchste Schweizer Gericht in seinem Leitentscheid fest, dass der Arbeitnehmer an Medien gelangen dürfe, „wenn die Behörde untätig bleibt – und wenn es die Umstände rechtfertigen.“ (vgl. BGE 127 III 310, Erw. 5a).

Genau so entschied im Juli 2011 auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Heinisch. Gemäss EGMR beschädigten die Vorwürfe der deutschen Altenpflegerin Brigitte Heinisch zwar den Ruf und die Geschäftsinteressen des Arbeitgebers. In einer demokratischen Gesellschaft überwiege jedoch das Interesse der Allgemeinheit, von Missständen in der Altenpflege zu erfahren. Deshalb durfte die Altenpflegerin – nachdem die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Betruges eingestellt hatte – an die Öffentlichkeit gelangen.

Gemäss geltender Rechtsprechung dürfen Whistleblower die „Angemessenheit der Reaktion der Behörde“ also durchaus beurteilen und ihre Rolle „beschränkt sich nicht auf die Inkenntnissetzung der Behörde“. Wenn die Behörde untätig bleibt, dürfen sie an die Medien gehen. Damit verstösst das vom Ständerat beschlossene Gesetz wohl gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Solch schlecht informierte Gesetzesarbeit ist an und für sich bereits bedenklich. Zusätzlich aber werden damit die Rahmenbedingungen für qualitativ guten Journalismus weiter verschlechtert. So können Medienschaffende ihre „Watch-Dog“-Funktion, die Politiker, Bundesgericht und EGMR immer wieder beschwören, immer weniger wahrnehmen.

Bleibt nur zu hoffen, dass der Nationalrat als Zweitrat diesen Fehler korrigiert.

P.S. Auffällig ist die Schere, die sich zwischen Staat und Privatwirtschaft öffnet: Die öffentliche Hand wird mit Hilfe von Öffentlichkeitsgesetzen, fortschrittlichen Whistleblower-Regelungen und dem Prinzip der Justizöffentlichkeit immer transparenter. Die Privatwirtschaft kann sich hingegen immer weiter von der Öffentlichkeit abschotten.

Nachtrag: Am 14. November 2014 hat die Rechtskommission des Nationalrats beschlossen, die Whistleblowersvorlage an den Bundesrat zurückzuweisen, damit er sie vereinfacht und verbessert.