Verschiedene Kantone richten Anlaufstellen für Whistleblower ein – endlich. Doch jeder wurstelt für sich.
Im Kanton St. Gallen gibt es seit Anfang Juni eine Anlaufstelle für Whistleblower, der Zürcher Kantonsrat hat soeben über deren Einführung beraten. Im Kanton Luzern wird in der zweiten Jahreshälfte eine entsprechende Vorlage in die Vernehmlassung geschickt, und die Berner Regierung will zumindest den Kündigungsschutz für Whistleblower verbessern. Dass Bewegung in die Sache kommt, ist erfreulich. Es zeigt sich aber auch: Die realisierten und geplanten Lösungen sind so vielgestaltig, dass zukünftige Whistleblower Mühe haben werden, sich zu orientieren.
So wurde in St. Gallen per 1. Juni eine externe Person als Anlaufstelle bestimmt. Wer «in Treu und Glauben» Missstände an diese meldet, verletzt die Treuepflicht nicht und ist so vor Kündigung geschützt. Doch anonyme Meldungen werden nicht entgegengenommen, und auch ein Internetportal gibt es nicht. «Das ist eine unvollständige Lösung», kritisiert denn auch Delphine Centlivres, Geschäftsführerin der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International. «Anonyme Meldungen müssen möglich sein.» Zudem gebe es jetzt in St. Gallen mit der neuen Anlaufstelle sowie dem Ombudsmann gleich zwei Meldestellen. «Das verwirrt. Nötig ist eine einzige, zentrale Anlaufstelle», so Centlivres. Zudem ist erstaunlich, wie zurückhaltend diese neue Meldestelle kommuniziert wurde. Gefunden habe ich sie auf der Website des Kantons St. Gallen noch nicht.
Ganz auf eine spezialisierte Meldestelle verzichten will hingegen der Kanton Bern: Er fasst bloss die Verbesserung des Kündigungsschutzes für Whistleblower ins Auge. Die Finanzdirektion will dem Regierungsrat noch vor der Sommerpause entsprechend Antrag stellen. «Wenn jemand einen Missstand melden will, kann er sich zum Beispiel an den zuständigen Regierungsrat wenden oder an die Anlaufstelle des Personalamts», erklärt Gerhard Engel, stellvertretender Generalsekretär der Berner Finanzdirektion. Das überzeugt Centlivres von Transparency indes nicht: «Angestellte müssen sich an eine möglichst unabhängige Stelle ausserhalb der Hierarchie wenden können, sonst haben sie kein Vertrauen.» Dazu meint Engel: «Notfalls gibt es ja auch externe Anlaufstellen wie jene des Beobachters.»
Im Kanton Zürich existiert bereits eine Whistleblower-Anlaufstelle, die von der Verwaltung unabhängig ist: der kantonale Ombudsmann. Er ist nicht dem Regierungsrat unterstellt, sondern dem Kantonsrat. Doch gegen diese Lösung hat die Spezialistin von Transparency grundsätzliche Einwände: «Ombudsstellen sind als Anlaufstellen für Whistleblower nicht geeignet, da sie die gemeldeten Vorfälle nicht selbst untersuchen können und auf Mediation und Vermittlung ausgerichtet sind», so Delphine Centlivres. Das sehen Verwaltungsrechtsprofessoren wie der St. Galler Yvo Hangartner oder der Zürcher Georg Müller genauso. Müller hat den Skandal um die Zürcher Beamtenpensionskasse BVK untersucht und in seinem Schlussbericht ausdrücklich eine spezialisierte Anlaufstelle für Whistleblower gefordert. Ein entsprechender parlamentarischer Vorstoss ist im Zürcher Kantonsrat hängig.
Anlaufstelle oder keine? Externe Person? Ombudsstelle? Die etwas willkürlichen Versuchsballone der Kantone sind überflüssig, denn es gibt bereits taugliche Vorbilder. So amtiert im Kanton Genf seit 2007 der kantonale Rechnungshof als Whistleblower-Anlaufstelle. Drei Magistraten und drei Stellvertreter, die direkt vom Volk gewählt sind, können sämtliche Ämter durchleuchten und Missstände untersuchen. Ihnen stehen 12 Wirtschaftsprüfer zur Seite, die pro Jahr rund 40 Dossiers abklären und rund ein Dutzend Empfehlungen erlassen. 77 Prozent der Empfehlungen wurden innert dreier Jahre umgesetzt.
Auch die Eidgenössische Finanzkontrolle des Bundes (EFK), die seit 2005 als Anlaufstelle für Whistleblower dient, ist ein Erfolg. 2011 erhielt sie 62 Meldungen und hat ein halbes Dutzend Strafverfahren eingeleitet. Die Angestellten des Bundes haben umfassenden Kündigungsschutz, wenn sie Missstände melden. «Grundsätzlich ist das eine sehr gute Lösung», urteilt Centlivres von Transparency. Einziger Mangel: «Es muss noch klarer gemacht werden, dass die EFK nicht nur Hinweise zu finanziellen Angelegenheiten entgegennimmt, sondern zum Beispiel auch zu Sicherheitsvorschriften, die nicht beachtet wurden.» Um ihre Erfahrungen breiter zu streuen, fasst Transparency International nun die Schaffung eines Leitfadens für taugliche Whistleblower-Lösungen des Staates ins Auge.