Geheimnisverrat: Die Angst des Parlaments vor sich selbst

Veröffentlichen Journalisten in der Schweiz geheime amtliche Dokumente, sollen sie weiterhin bestraft werden können. Es sei denn, für die Geheimhaltung besteht kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse. Das will die Rechtskommission des Nationalrats. Der Vorschlag ist ein Rückschritt: Noch 2012 wollte die gleiche Rechtskommission den strittigen Artikel des Strafgesetzbuchs ersatzlos streichen.

Wenn Journalisten heute Informationen aus geheimen Akten, Untersuchungen oder Dokumenten öffentlich machen, erfüllen sie gemäss geltendem Gesetz immer den Straftatbestand der «Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen» (Art. 293 StGB). Ein Freispruch ist nur möglich, wenn sich Medienschaffende mit der «Wahrung berechtigter Interessen» rechtfertigen können. Die Latte für diesen Rechtfertigungsgrund hängt das Bundesgericht aber sehr hoch.

Diese medienfeindliche Regelung wird vom Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seit Jahren gerügt: Strassburg verlangt, dass Richter immer die Geheimhaltungsinteressen des Staates und die Medienfreiheit gegeneinander abwägen.

Um das Strafgesetz dieser Rechtsprechung anzupassen, schlägt die Rechtskommission des Nationalrats nun vor, Artikel 293 StGB mit einem neuen Absatz 3 zu ergänzen: «Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat». Im Klartext: Strafbar sollen Medienschaffende nur noch sein, wenn das Interesse der Beamten, Politiker oder Justizbehörden an der Geheimhaltung der Dokumente grösser ist, als das Interesse der Öffentlichkeit an der Information.

Zuerst das Positive an diesem Vorschlag: Tritt er in Kraft, müssen Richter immer auch die Interessen der Öffentlichkeit an Information und die Medienfreiheit berücksichtigen. Und damit macht die Rechtskommission vor allem dem Bundesgericht Beine: Noch im Januar 2013 verurteilten die höchsten Richter einen Journalisten der NZZ am Sonntag nur schon deshalb, weil er geheime Kommissionsprotokolle des Nationalrats öffentlich gemacht hatte (Urteil 6B_186/2012).

Den höchsten Schweizer Richtern genügte für die Verurteilung, dass der Journalist aus Schriftstücken zitiert hatte, die vom Parlamentsgesetz für geheim erklärt werden. Zwar wog das Bundesgericht am Schluss des Urteils die Geheimhaltungsinteressen doch noch gegen das Interesse der Öffentlichkeit an Information ab, doch war dies für den Entscheid nicht mehr relevant. Dabei kamen die Bundesrichter übrigens zum gleichen Schluss: Der Journalist habe sich strafbar gemacht, als er Äusserungen der damaligen Justizministerin Eveline Widmer Schlumpf über den damaligen Bundesanwalt Erwin Beyeler wörtlich aus dem Kommissionsprotokoll zitiert hat. Der Streit zwischen den beiden sei hinlänglich bekannt gewesen, meinten die Bundesrichter. Die wörtlichen Zitate hätten deshalb für die Öffentlichkeit nur geringen Informationswert gehabt.

Diese Erwägungen des Bundesgerichts zeigen deutlich: Der neue Gesetzesvorschlag wird die Situation der Journalisten kaum verbessern, denn das Bundesgericht ist in Sachen Art. 293 StGB nicht gerade medienfreundlich. Es gewichtet die Geheimhaltungsinteressen des Staates meist höher als die Interessen der Öffentlichkeit an Information. Dies bestätigt ein Strassburger Entscheid vom Juli 2014. Darin wirft der EGMR dem Bundesgericht vor, die Medienfreiheit verletzt zu haben. Die Bundesrichter hatten eine Strafe für einen Journalisten der Zeitschrift «Illustré» gutgeheissen, weil er gestützt auf Verhörprotokolle über das Strafverfahren gegen einen Autofahrer berichtet hatte, der in Lausanne von einer Brücke gestürzt war. Gemäss Strassburg verletzt dieses Bundesgerichtsurteil die Medienfreiheit. Der Artikel des Journalisten sei von öffentlichem Interesse gewesen, habe weder die Gerichtsverhandlung beeinflusst noch die Unschuldsvermutung verletzt, urteilten die Richter des EGMR.

Damit fällt ein erstes Fazit zum Vorschlag der Rechtskommission des Nationalrats durchzogen aus: Die Gesetzesänderung ist zwar ein notwendiger Schritt, aber kein hinreichender, weil das Bundesgericht mit der Medienfreiheit Mühe hat. Rechtssicherheit für Medienschaffende – wie es die Kommission behauptet – ist mit dem neuen Absatz 3 noch lange nicht erreicht.

Die einzige Lösung ist die Abschaffung des umstrittenen Artikels 293 des Strafgesetzbuches – genau wie es der Bundesrat, die Rechtskommissionen von National- und Ständerat bereits 1996 vorgeschlagen und die beiden Räte 1997 beinahe beschlossen haben. Wäre da nicht der Fall Jagmetti dazwischengekommen. Am Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die nachrichtenlosen Vermögen und das Nazigold erschienen in der «Sonntagszeitung» zwei Artikel von Martin Stoll, in denen Botschafter Carlo Jagmetti gestützt auf ein von ihm verfasstes Strategiepapier vorgeworfen wurde, die Juden zu beleidigen.

Diese Texte führten zu einem Sinneswandel im Parlament, das die Streichung von Artikel 293 StGB in der Folge knapp ablehnte. Darauf wartete die Politik auf die Justiz. Das Bundesgericht verurteilte den Journalisten wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen, eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erklärte diesen Entscheid 2006 für konventionswidrig, da er die Medienfreiheit verletze. Die Schweiz zog den Entscheid an die grosse Kammer des EGMR weiter, welche dann 2007 zu einem andern Schluss kam und das Urteil des Bundesgerichts schützte. Entscheidend für dieses zweite Strassburger Urteil war unter anderem die unnötig reisserische Aufmachung der Artikel – nicht aber deren eigentlicher Inhalt.

Trotzdem hatte der Gerichtsentscheid politische Wirkungen: Der Bundesrat änderte seine Meinung und erklärte 2008, die Streichung von Artikel 293 StGB sei keine angemessene Lösung. Die Rechtskommission des Nationalrats hingegen blieb zuerst bei ihrer Haltung und schlug noch 2012 die Streichung vor. Erst im November 2014 schwenkte auch sie um und will Art. 293 jetzt nicht mehr abschaffen, sondern nur noch präzisieren. Der Grund: Es gebe eben doch Geheimnisse des Staates, die wichtig sind und für die selbst der Europäische Gerichtshof Strafen zulasse, wenn sie zu Unrecht öffentlich gemacht werden.

Diese Entstehungsgeschichte des aktuellen Vorschlags zeigt, dass er von sachfremden Motiven beeinflusst ist – von Emotionen in einer heissen politischen Auseinandersetzung – und vom Orakeln über einen Entscheid Strassburgs. Not tut aber eigenständiges Denken.

Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, Art. 293 StGB zu streichen:

  • Nicht die Urheber des Geheimnisverrats werden bestraft – also meist die Parlamentarier selbst, sondern die Journalisten als Überbringer der Botschaft. Medienschaffende müssen leiden, weil Parlamentarier oder Beamte ihren Laden nicht im Griff haben. Man schlägt den Sack und meint den Esel.
  • Art. 293 StGB wird von Parlament und Verwaltung sehr selektiv eingeklagt: Viele Indiskretionen bleiben ungeahndet – nur einzelne missliebige Journalisten werden ins Visier genommen. Diese Willkür ist eines Rechtsstaats nicht würdig.
  • In einem Staat, der stolz ist auf seine direktdemokratischen Elemente darf es keine «Geheimnisse» der Verwaltung oder des Parlaments geben, die strafrechtlich abgesichert werden müssen. Wieso sollen Parlamentarier oder Bundesräte vor Peinlichkeiten geschützt werden, die sie sich in den Kommissionen leisten? Wieso soll schlimmstenfalls sogar ihr Unvermögen der Öffentlichkeit verheimlicht werden? Deshalb braucht es für Parlament und Verwaltung keinen strafrechtlich geschützten Geheimbereich.

Anders liegen die Dinge allenfalls bei der Strafjustiz. Das Untersuchungsgeheimnis dient dazu, die Arbeit der Strafverfolger überhaupt erst möglich zu machen. Wenn Zeugen in den Medien von Aussagen anderer lesen, bevor sie einvernommen wurden, hat die Staatsanwaltschaft ein Problem. Zudem geht es in diesem Bereich oft um persönlichkeitsrechtlich sensible Informationen. Deshalb hat Deutschland 1980 einen mit Art. 293 StGB vergleichbare Bestimmung abgeschafft und durch spezifische Straftatbestände ersetzt, die das Untersuchungsgeheimnis schützen. Eine ähnlich differenzierte und sachlich abgestützte Lösung stünde der Schweiz gut an.

Jugendliche härter bestraft als Erwachsene

Ab 1. Oktober 2013 werden Erwachsene, die nicht mehr als 10 Gramm Cannabis bei sich tragen, nur noch mit einer Ordnungsbusse in der Höhe von 100 Franken bestraft. Es gibt weder eine Verzeigung noch ein ordentliches Strafverfahren. Mit dieser Änderung des Betäubungsmittelgesetzes sollen Polizei und Justiz entlastet und Kosten gespart werden.

Damit behandelt die Schweiz in Zukunft geringfügigen Cannabiskonsum ähnlich wie eine Verkehrsbusse und macht einen Schritt in Richtung Legalisierung. Aber nur für Erwachsene. Jugendliche unter 18 Jahren werden bei Cannabiskonsum weiterhin in einem ordentlichen Verfahren nach  Jugendstrafprozessordnung beurteilt. (Die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit wollte das  Ordnungsbussenverfahren bereits ab 16 Jahren zulassen; erst in der nationalrätlichen Beratung wurde das Alter auf 18 Jahre erhöht.)

Dass Jugendliche schärfer bestraft werden als Erwachsene ist ungewöhnlich. Das Jugendstrafrecht führt in der Regel zu milderen Strafen. „Die unterschiedliche Behandlung halte ich für völlig uneinsichtig und auch inkonsistent“, meint denn auch der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli.

Anders sieht es sein Zürcher Kollege und SP-Nationalrat Daniel Jositsch: „Etwas Systemwidriges sehe ich da nicht“, sagt er. Man könne bezüglich Stafbarkeit von Drogenkonsum geteilter Meinung sein. „Der Gesetzgeber hat bei den Jugendlichen einen höheren Schutz gewollt.“

Höhere Strafe als höherer Schutz? Das werden Jugendliche anders sehen. Sicher ist, dass Cannabis weiterhin anders behandelt wird als Alkohol. Bei Alkohol sieht das Gesetz Verkaufsverbote vor, um die Jugendlichen zu schützen. Bestraft werden nicht die Jugendlichen, sondern nur die Händler, die Alkohol an Minderjährige  abgeben.

Kleiner Rechtsrutsch am Bundesgericht

Am 26. September 2012 hat die Bundesversammlung Alexia Heine zur Bundesrichterin gewählt. Heine, die zum engeren Zirkel der Zürcher SVP gehört, ersetzt den liberalen Berner SVP-Bundesrichter Lorenz Meyer.

Mit 154 von 174 abgegebenen Stimmen (bei also 72 Enthaltungen oder Abwesenheiten) wurde Alexia Heine von der Bundesversammlung am 26. September zur Bundesrichterin gewählt. Die NZZ-Notiz ist gewohnt knapp und nichts sagend.

Keine Erwähnung in den Medien oder im Rat fand Heines Hintergrund: Sie gehört dem engeren Zirkel der Zürcher SVP an, gilt im Sozialversicherungsrecht als Hardlinerin und ist Lebenspartnerin des SVP-Werbers Alexander Segert, der diverse umstrittene SVP-Plakate, Kampagnen und das Minarett-Spiel entworfen hat.

SVP-intern ist ein gemässigter SVP-Mann und kompetenter Jurist aus dem Aargau unterlegen.

Eine vertiefte Analyse der Nominierungsabläufe hätte vor der Wahl Not getan. Auch die Definition dessen, was ein „guter“ Richter ist – neben Fach- braucht es wohl auch Sozialkompetenz und Teamfähigkeit.

Dies sind alles Fragen, die nicht ein Geheimzirkel namens Gerichtskommission und schliesslich die proporzmässig berechtigte Partei entscheiden sollten. Hier müssten auch die öffentliche Diskussion und die Kontrolle durch die Medien greifen.

Eine Verpolitisierung der Justiz würde dadurch kaum entstehen, wie es im Tages-Anzeiger von einigen Nationalräten moniert wurde (Artikel nicht online). Zumindest nicht stärker als sie bereits besteht, denn die Justiz fällt auch Urteile, die auf die Politik Einfluss haben. Und gerade das Beispiel Heine zeigt, dass der politische Hintergrund einer Richterin für die nominierende Partei wichtig, wenn nicht gar zentral ist. Es ist also eine im Geheimen verpolitisierte Justiz. Die Verschleierung dieser entscheidenden Faktoren ist in einer rechtsstaatlichen Demokratie stossend.

Betreffend „Rechtsrutsch“ mag man einwenden, dass Heine bloss den ebenfalls vor kurzem gewählten  „linken“ Bundesrichter Niklaus Oberholzer kompensiere. Mag sein. Dann gibt es tendenziell eine Polarisierung. Und: Auch bei Oberholzer wäre eine öffentliche Diskussion über seine fachlichen und sozialen Kompetenzen und seinen politischen Hintergrund richtig gewesen.

Bundesrichterwahlen: Die Kandidaten

Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt als Bundesrichter, Bundesverwaltungsrichter oder Bundesstrafrichter werden in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Justizblog versucht das zu ändern.

Wer hat Erfahrungen mit folgenden Personen, die von der Gerichtskommission zur Wahl vorgeschlagen werden? Antworten entweder via Xing oder auf mein Mail (vorname.nachname-at-gmx.ch). Kommentare werden nicht (mehr) aufgeschaltet, da die Gefahr von einseitigen Darstellungen zu gross wurde.

Die Wahl ist bereits am 26. September 2012. Deshalb ist eine Kontrolle erschwert. Im Unterschied zu Bundesratswahlen bleibt sehr wenig Zeit, um die Qualität der Spitzen der 3. Gewalt zu überprüfen.

Hier die am 18. September 2012 von der Bundesverwaltung öffentlich gemachten Namen:

  1. Frau Alexia Heine (SVP), Präsidentin des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, als hauptamtliche Richterin des Bundesgerichts;
  2. Herrn Maurizio Greppi-Erb (SP), leitender Gerichtsschreiber am Kantonsgerichts Basel-Land, und Herrn Jürg Steiger (SVP), Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht, als Richter des Bundesverwaltungsgericht.

Geschädigtenanwältinnen und Geschädigtenanwälte meldeten innert 48 Stunden vor allem Bedenken gegenüber Alexia Heine an, die als Hardlinerin im Sozialversicherungsrecht gelte. Die 3. Kammer des Zürcher Sozialversicherungsgerichts, die Heine derzeit präsidiert, falle durch harte bis kleinliche Urteile auf.

So schildert ein Geschädigtenvertreter den Fall eines Ergänzungsleistungs-Bezügers, dem diese 3. Kammer die unentgeltliche Rechtspflege verweigert habe mit dem Argument, nach Anrechnung des Freibetrages würden ihm ja monatlich noch 170 Franken Überschuss bleiben. In einem andern Fall habe die 3. Kammer einem Anwalt die Gerichtskosten auferlegt, als er gegen eine zu geringe Entschädigung aus unentgeltlicher Verbeiständung ans Sozialversicherungsgericht rekurrierte. Das Gericht zog für ihre neue Praxis eine Analogie zum Arbeitsrecht heran, um eine unbestrittene Praxis zu ändern. Die Beschwerde gegen diesen Entscheid wurde vom Bundesgericht in klaren Worten gutgeheissen, wie am 21. September bekannt wurde.

Zum Vorwurf der Hardlinerin meint Heine gegenüber Justizblog: „In der Regel wird ein Urteil am Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich von drei Richterinnen oder Richtern gefällt, die ausschliesslich dem Recht verpflichtet sind.“ Der ordentliche Spruchkörper der 3. Kammer des Sozialversicherungsgerichts bestehe neben ihr aus Frau Verena Daubenmeyer (SP) und Frau Dr. Esther Annaheim (SP). „Rückschlüsse auf Parteizugehörigkeit bei einem Dreiergremium ist deshalb abwegig, zumal grundsätzlich die Urteilsanträge durch die Gerichtsschreiber verfasst werden und wir RichterInnen, wenn möglich mit der nötigen Zurückhaltung Korrekturen vornehmen.“

Von Insidern des Zürcher Sozialversicherungsgerichts wird dies relativiert. Die beschriebene Zusammensetzung der 3. Kammer treffe nur formell zu. Oft Entscheide Heine auch mit dem SVP-Ersatzrichter Vogel zusammen, der sowohl als Gerichtsschreiber und als Ersatzrichter amte.

Klare Rückschlüsse auf Heines Haltung lassen sich aus einem Interview ziehen, das die Richterin im Jahre 2008 dem Zürcher SVP-Blatt „Zürcher Bote“ gab. Dort kommt durchaus eine harte Haltung gegenüber Sozialversicherungsbegügern zum Ausdruck.

Interessant ist auch, dass Heine die Lebenspartnerin von Alexander Segert ist, dessen Werbeagentur verschiedene SVP-Kampagnen entworfen hat und für das Minarett-Attack-Spiel verantwortlich ist. Deshalb musste sich Segert in Österreich wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten.

Die hobbymässige Dressurreiterin Heine (Jahrgang 1969, Schwester von Ruderer Xeno Müller) machte eine steile juristische Karriere. Dazu das vorläufige Resultat einer SMD-Recherche:

Dissertation 1996 an der HSG unter dem ledigen Namen Alexia Petra Müller zu „Der europäische Gerichtshof im Spannungsfeld von Subsidiarität und Integration“.

1999 Personalchefin beim Basler Chemie-Unternehmen Clariant. Geschäftsführerin des Schweizer Sportmuseums.

Später Leiterin des Rechtsdienstes für die Arbeitslosenkasse in Winterthur,

Gerichtsschreiberin am damaligen Eidgenössischen Versicherungsgericht in Luzern,

2007 Kandidatin für den Nationalrat auf der SVP-Liste des Kantons Zürich,

2008 Wahl ans Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich,

Im Juni 2008  sorgte Heine für Wirbel mit der Kritik an der Zusammensetzung des Spruchkörpers beim Einbürgerungsentscheid des Bundesgerichts. Darauf wurde in der NZZ vom 19. Juni 2008 der Leserbrief eines „Dr. iur. Peter Rudolf (Basel)“ publiziert:

„Sollten die Berichterstattung über die Tagung der Zürcher SVP (NZZ 9. 6. 08) und die Ausführungen von Alexia Heine zutreffen, handelt es sich um skandalöse Aussagen der Richterin. Die Vorstellung, im Einzelfall die Kammern des Bundesgerichts nach politischen Gesichtspunkten und nach Proporz zusammenzusetzen, ist inakzeptabel. Der Verweis auf die Tatsache, dass ein Bündner Richter an einem Entscheid, welcher der SVP Zürich nicht passt, mitgewirkt hat, disqualifiziert Frau Heine für jede richterliche Tätigkeit. Die Wähler im Kanton Zürich sind gefordert.“

Zu diesem Wirbel meint Heine heute auf Anfrage, der Leserbrief beziehe sich auf ihr Referat an der erwähnten SVP-Tagung, das von der NZZ verkürzt und verfälscht widergegeben worden sei. In ihrem Vortrag über die richterliche Unabhängigkeit und den Parteienproporz habe sie sich mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass in der Schweiz  Richter und Richterinnen auf Kantons- und Bundesebene nach dem Parteienproporz gewählt würden. Durch diesen Mechanismus würden unter anderem auch die Kastenbildung, wie wir sie aus anderen Ländern kennen, verhindert, beschreibt Heine die Vorteile dieses Vorgehens. Zudem könne die Proporzwahl der RichterInnnen dazu beitragen, dass Gerichtsentscheide eine höhere Akzeptanz bei den politischen Parteien und dadurch bei der Bevölkerung finden.

„In meinem Referat an der erwähnten SVP-Tagung ging es genau um diese Frage“, erklärt Heine. „Am Beispiel des Urteils über die Einbürgerung, habe ich versucht deutlich zu machen, dass die Akzeptanz des Urteils innerhalb der SVP vielleicht eher gegeben gewesen wäre, wenn ein SVP-Richter das Urteil mitgetragen hätte.“ Dabei sei ihr durchaus bewusst, dass der Parteienproporz weder auf Bundesebene noch auf kantonaler Ebene bis in die einzelnen Abteilungen runtergebrochen werden könne, weil die Unabhängigkeit der Judikative oberste Priorität habe und auch in der eigenen Organisation gegeben sein müsse.

Ab Juli 2009 war Heine Mitglied der Geschäftsleitung des Zürcher Sozialversicherungsgerichts,

November 2009 Wahl ins siebenköpfige Aufsichtsgremium der SRG-Deutschscheiz („aufgrund unseres Druckes“ – wie SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner dem „Sonntag“ erklärt),

Juli 2010 Vizepräsidentin des Sozialversicherungsgerichts Zürich

Juli 2011 Präsidentin des Sozialversicherungsgerichts Zürich.

Am 26. September 2012 mit 154 von 174 Stimme zur Bundesrichterin gewählt.

Eidgenössische Meldestelle für Korruption gefordert

SVP-Nationalrat Lukas Reimann macht in Sachen Whistleblower-Anlaufstellen Dampf: Mit einer gestern eingereichten Motion verlangt er die Schaffung einer “ eidgenössischen Meldestelle für Korruption und Korruptionsbekämfung“.

Reimann holte am Dienstag, 12. Juni 2012, gleich zum parlamentarischen Doppelschlag aus. Mit einer Interpellation verlangt er detaillierte Auskunft über die Tätigkeit der Eidgenössichen Finanzkontrolle als Anlaufstelle für Whistleblower der Bundesverwaltung. Er fragt, ob die EFK über genügend Ressourcen und Fachpersonal verfüge und nach der Zahl der tatsächlich überführten Korruptionstäter. Zudem wirft er die neckische Frage auf, wie viele Meldungen Bundesräte, Bundesrichter, Parlamentarier und Personen aus dem Umfeld der SNB betroffen haben – und ob die EFK für Meldungen betreffend dieser Personen überhaupt zuständig sei.

In einer Motion fordert Reimann zudem die Einrichtung einer eidgenössischen Meldestelle für Korruption und Korruptionsbekämpfung – analog der Meldestelle für Geldwäscherei. Im Unterschied zur EFK soll diese Meldestelle nicht nur „Mitarbeitern des Bundes, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern offenstehen und im Sinne eines Whistleblower-Schutzes den Meldern zur Seite stehen z.B. durch Gewährleistung von Anonymität oder Entschädigung.“

Wiedergutmachung für administrativ Versorgte naht

Der Regierungsrat des Kantons Bern und der Berner Gemeinderat sprechen sich für einen Härtefallfonds für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen aus.

Die Antworten der Exekutiven des Kantons und der Stadt Bern auf parlamentariche Vorstösse sind ein Hoffnungsschimmer für administrativ Versorgte, Zwangssterilisierte, Verding- und misshandelte Heimkinder. Auf ein Postulat von Grossrätin Christine Häsler (Grüne) antwortet der Berner Regierungsrat: „Es ist deshalb angezeigt, neben der moralischen Wiedergutmachung auch die Möglichkeiten einer finanziellen Entschädigung zu prüfen. Um schwierige Abrenzungen, Ungleichbehandlungen und damit erneute Ungerechtigkeiten zu vermeiden, sollte gegebenenfalls ein Unterstützungsfonds auf nationaler Ebene eingereichtet werden.“

Gleich tönt es beim Gemeinderat der Stadt Bern als Antwort auf eine Interpellation der Fraktion SVPplus: „Der Gemeinderat hat Verständnis für das Anliegen, in geeigneter Weise Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen zu rehabilitieren. Sollten sich auf eidgenössischer udn kantonaler Bestrebungen zur Äufnung einees Fonds zur Wiedergutmachung erlittenen Unrechts ergeben, ist der Gemeinderat bereit, eine Beteiligung der Stadt zu prüfen.“

Alles wartet also auf den Bund. Der wird bald Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Die SP-Nationalräte Paul Rechsteiner und Jacqueline Fehr bereiten nämlich eine parlamentarische Initiative zum Thema vor.

Betrachtet man die Parteicouleur der Parlamentarier, die in der Sache aktiv waren, erkennt man, dass die Rehabilitierung der Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen ein überparteiliches Anliegen ist.

CVP-Nationalrat muss Zinsen zahlen

Thomas Müller, Stadtpräsident von Rorschach SG und CVP-Nationalrat, muss für eine Schlamperei in einer Erbsache büssen. Erst als er 2400 Franken zahlte, stellte das Kreisgericht ein Verfahren gegen ihn ein.

Thomas Müller hatte als Willensvollstrecker die Aufgabe, den Nachlass einer Verstorbenen zu verteilen. Doch statt das rasch zu erledigen und jährlich Rechenschaft abzulegen, wie es das Gesetz verlangt, brauchte Müller fast sieben Jahre. Erst dieses Jahr zahlte er die letzten Vermächtnisnehmer aus. Und das geschah erst auf Druck einer Erbenvertreterin und nachdem sich der Beobachter eingeschaltet hatte (Nr. 6/2010, Justizblog berichtete).

Deshalb reichte eine Erbenvertreterin Beschwerde gegen Müller ein. Erst darauf zahlte der CVP-Nationalrat die ausstehenden Zinsen von total rund 2400 Franken aus. Und deshalb hat Einzelrichter Andreas Hildebrand nun das Verfahren gegen Müller eingestellt – aber ohne die gerügten Sorgfaltspflichtverletzungen des Nationalrats zu prüfen. Ob der weitere Erbe und die Vermächtnisnehmer ihre Zinsen erhalten, hängt davon ab, ob diese sie einfordern.

Auffallend ist, dass der Entscheid des Rorschacher Richters vollumfänglich die Argumentation von Stadtpräsident Müller übernimmt. Bei Redaktionsschluss war der Entscheid noch nicht rechtskräftig.

Checkbuchjustiz adé?

Zwei parlamentarische Vorstösse fordern die Streichung oder die Beschränkung der Wiedergutmachung im Schweizer Strafrecht.

Fifa-Funktionäre kauften sich für 5,5 Millionen, Milliardär Viktor Vekselberg und Partner für 10 Millionen und Ex-Armeechef Roland Nef für eine unbekannte Summe von Strafverfahren frei. Das hat nun Folgen: Nationalrat Rudolf Joder (SVP) verlangt mit einer parlamentarischen Initiative die Streichung von Artikel 53 des Strafgesetzbuches, der dies ermöglicht. Ratskollege Daniel Vischer (Grüne) will den Artikel mit einer Motion massiv einschränken: Freikaufen dürfe sich ein Täter nur, wenn er geständig ist und eine Strafe von weniger als 12 Monaten zu erwarten hat (derzeit 24).

Dies forderten die Strafverfolger bereits im August 2009 in einer Umfrage des Justizdepartements. Das Zürcher Obergericht hielt damals fest, der Artikel «bevorzugt wirtschaftlich potente Beschuldigte». Trotzdem fand Art. 53 StGB nicht Eingang in die laufende Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches.

Die Resultate der damaligen Umfrage sind eine Fundgrube für alle politisch interessierten Strafrechtler. Ein guter Überblick dazu gibt auch die Zusammenfassung des EJPD.

Nationalrat Thomas Müller in Nöten

Thomas Müller, CVP-Nationalrat und Stadtpräsident von Rorschach, betreut als Willensvollstrecker einen Nachlass so schlecht, dass die Sankt Galler Steuerbehörden eine Strafsteuer von 31’000 Franken verfügen.

Müller hat trotz mehrmaliger Mahnung der Steuerbehörden die Unterlagen nicht eingereicht, zahlt auch die Strafsteuer nicht und wird dann verdonnert, die 31’000 Franken abzuzahlen – in monatlichen Raten.

Doch selbst dieser Warnschuss weckt den prominenten St. Galler nicht. Er zahlt auch jetzt die Vermächtnisse  nicht aus, welche das zu vollstreckende Testament vorsehen. Erst als der Beobachter anruft, regelt er die Angelegenheit – notabene sieben Jahre nach dem Tod der Erblasserin! „Es war ein Scheissfall“, erklärt Müller. Er habe als neu gewählter Stadtpräsident einfach zu viel um die Ohren gehabt und dieses Mandat liegen lassen.

Deshalb ist nun eine Aufsichtsbeschwerde gegen den König von Rorschach hängig.

Der Fall wirft zahlreiche weitere Fragen auf: Weshalb hat Müller die Strafsteuer in Monatsraten abgezahlt? Weshalb hat er die Vermächtnisse nicht bei der ersten Mahnung ausgerichtet? Weshalb brauchte er sieben Jahre um den einfachen Nachlass abzuwickeln? Darf ein Stadtpräsident überhaupt ein Nachlassmandat führen? Wann werden endlich Sorgfaltspflichten von Willensvollstrecker detaillierter im Gesetz formuliert und die Aufsicht verstärkt?

In den St. Galler Medien ist kein einziges Wort darüber zu lesen.

Der Artikel im Beobachter im Volltext.

Nachtrag von Januar 2011: Nachdem NR Thomas Müller sich bereit erklärte, die Zinsen für die jahrelang nicht ausbezahlten Erbanteile nachzuzahlen, hat der Rorschacher Bezirksrichter Andreas Hildbrand in einem schwachen Entscheid die Beschwerde gegen Müller als Willensvollstrecker abgeschrieben. Zu Unrecht nicht geprüft hat Hildbrand, ob nicht weitere Massnahmen gegen Müller wegem wiederholten und massiven Verstössen gegen gesetzliche Sorgfaltspflichten nötig wären. Ausführlich dazu hier.