Luzerner Staatsanwaltschaft: Rückfall in die Geheimjustiz

Seit Jahren ist klar, dass Journalisten Strafbefehle einsehen dürfen. Die Luzerner Staatsanwaltschaft verweigert nun aber den Zugang – mit einer juristisch unhaltbaren Begründung und ohne sich auch nur mit einem Wort mit der geltenden Praxis des Bundesgerichts auseinanderzusetzen. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft wirkt rein schikanös.

Seit 1998 ist klar, dass auch Strafbefehle unter das Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung fallen und öffentlich verkündet werden müssen.

Der Grund ist so einfach wie überzeugend: Das Bundesgericht will keine Geheim- oder Kabinettsjustiz – auch nicht bei Erledigungsentscheiden der Staatsanwaltschaften, die mehr als 95 Prozent der Entscheide im Strafrecht ausmachen. „Ohne Gerichtsöffentlichkeit sind Spekulationen, ob die Justiz einzelne Prozessparteien ungebührlich benachteiligt oder privilegiert, unvermeidlich. Kritik an einseitiger oder rechtsstaatlich fragwürdiger Ermittlungstätigkeit oder mangelhafter Verfahrensleitung bliebe ausgeschlossen.“

Anfänglich verlangte das höchste Schweizer Gericht für die Einsicht in Strafbefehle noch ein „berechtigtes Interesse“, an das aber keine hohen Anforderungen zu stellen sei (BGE 124 IV 234 E 3d).  Doch spätestens vor fünf Jahren stellte das Bundesgericht klar, dass Medienschaffende dieses „berechtigte Interesse“ kraft ihrer Funktion beibringen: „Die Kenntnisnahme von Urteilen ist nicht von einem besonderen schutzwürdigen Informationsinteresse abhängig. Vielmehr ergibt sich das schutzwürdige Informationsinteresse bei Medien ohne Weiteres aus deren Kontrollfunktion. Allein schon die mit der Justizöffentlichkeit verbundene Möglichkeit der Kontrolle der Justiz vermag auch ohne weitere Begründung ein hinreichendes Einsichtsinteresse zu begründen“ (vgl. etwa 137 I 16, E 2.4; zuletzt BGE 1C_123/2016).

Darum haben der Kanton Luzern wie auch die meisten andern Kantone und die Bundesanwaltschaft ab 2012 Strafbefehle und Einstellungsverfügungen vor Ort während einer gewissen Frist nicht anonymisiert öffentlich zur Einsicht aufgelegt. Simon Kopp, Mediensprecher der Luzerner Staatsanwaltschaft, hat dies noch im Januar 2016 am MAZ-Recherchetag auch für den Kanton Luzern als geltende Regelung beschrieben.

Doch nun ist plötzlich alles anders. Einer Journalistin der „Zentralschweiz am Sonntag“ hat die Luzerner Staatsanwaltschaft die Einsicht in die vom 5. bis 12. September 2016 erlassenen Strafbefehle verweigert (vgl. Zentralschweiz am Sonntag vom 25. September 2016). Begründung des stellvertretenden Oberstaatsanwalts: „Kosten“, „grosser personeller Aufwand“, „fehlende Begründung sowohl betreffend Spezifikation der Thematik in den Strafbefehlen als auch des schutzwürdigen Interesses“. Mit keinem einzigen Wort setzt sich der Oberstaatsanwalt dabei aber mit Rechtsprechung und Lehre auseinander. ablehnung_einsichtnahme_in_die_strafbefehle

Im Gegenteil: Die Argumentation der Luzerner Staatsanwaltschaft widerspricht sämtlichen Entscheiden des Bundesgerichts der letzten Jahre und der einhelligen Rechtslehre – vom Kommentar zur Bundesverfassung (Rz 64 zu Art. 30 Abs. 3 BV. „Eingeschlossen sind … auch Strafbefehle, Einstellungs- bzw. Nichtanhandnahmeverfügungen und Einstellungen nach Art. 53 StGB“) bis zum Kommentar zur Strafprozessordnung (Rz 39 zu Art. 69 Abs. 2 der Strafprozessordnung – „Es ist kein Interessensnachweis erforderlich“). Die Luzerner Staatsanwaltschaft verfällt einer unzeitgemässen Geheimniskrämerei, spielt auf Zeit, arbeitet juristisch krass mangelhaft und verschleudert Steuergelder.

Die Zeitung hat Beschwerde gegen den Entscheid eingereicht. Und die Prognose sei gewagt: Sie wird Recht erhalten – spätestens vor Bundesgericht. Und es ist zu wünschen, dass die Gerichte deutliche Worte finden.

Und hoffentlich erlässt die Schweizer Staatsanwälte-Konferenz, die zur Zeit an einer Vereinheitlichung der Einsichtsregeln arbeitet, nicht eine juristisch so schlecht begründete Regelung.

Nachtrag vom 31. Oktober 2016: Das Kantonsgericht Luzern hat deutliche Worte gefunden und die Beschwerde der Luzerner Zeitung gutgeheissen. Siehe separate Posts hier (Januar 2017) und hier (März 2017).

Juristentricks: Vollkaskoversicherung für die Fifa-Chefs 

Sind die Spezialklauseln für die obersten Manager der Fifa rechtens? Unüblich sind sie auf jeden Fall.

So verliert eine fristlose Kündigung jeden Schrecken. Generalsekretär Jérôme Valcke und Finanzchef Markus Kattner sollten sämtliche Entschädigungen bis Ende der Vertragslaufzeit Ende 2019 (Valcke) und 2023 (Kattner) erhalten, selbst wenn ihnen aus wichtigem Grund fristlos gekündigt würde (Art. 337 OR). Und darüber hinaus verpflichtete sich die Fifa, sämtliche Kosten von Schadenersatz- oder Strafverfahren im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit zu übernehmen – sogar Bussen. So stehe es in zwei Zusatzklauseln, die Sepp Blatter am 30. April 2011 in die Verträge seiner beiden Mitarbeiter eingefügt habe, schreibt das amerikanische Anwaltsbüro Quinn Emanuel, das die interne Untersuchung der Fifa durchführt, in einer Medienmitteilung vom 3. Juni 2016. Und: «Diese zwei Klauseln scheinen gegen zwingendes Schweizer Recht zu verstossen.»

«Das ist eine klare Verletzung» 

Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen, gibt den Fifa-Anwälten recht: «Das ist eine klare Verletzung des Schweizer Arbeitsvertragsrechts und der Versuch einer Rechtsumgehung.» Ab Kündigung dürfe die Fifa keine Entschädigungen mehr zahlen. Bereits bezahlte Summen könnten aber nur schwer zurückgefordert werden. Die Klausel, dass die Fifa alle Kosten von zivil- oder strafrechtlichen Verfahren übernimmt, hält Geiser für «sicher nicht voll gültig». Es könne doch nicht sein, dass die Fifa auch die Anwalts- und Gerichtskosten von Valcke und Kattner zahlen muss, wenn sie die beiden verklagt. «Bussen muss zudem sicher der Betroffene bezahlen.»

«Völlig unüblich» – aber legal? 

Etwas anders sieht es der Zürcher Arbeitsrechtler Georges Chanson. «Das ist sicher ein goldenes Geschenk», räumt der Fachanwalt ein. «Eine volle Abfindung bei gerechtfertigter fristloser Entlassung ist zwar völlig unüblich, verstösst aber nicht offensichtlich gegen zwingendes Arbeitsvertragsrecht.» Das Schweizer Recht lässt viele Vertragsklauseln zu, wenn sie zugunsten des Arbeitnehmers sind. Nur wenige Bestimmungen schützen hingegen den Arbeitgeber. Die sind gemäss Chanson nicht verletzt.

Einen Weg, die Verträge von Valcke und Kattner anzufechten, sieht aber auch Chanson. «Es ist zu prüfen, ob der Vertragsschluss den strafrechtlichen Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung erfüllt», meint er. Dann könnte der Vertrag als widerrechtlich angefochten und die Zahlung der Entschädigungen verweigert werden.

Die Fifa strich Blatter den Bonus und griff auch bei Valckes Entschädigungen ein. Gegen beide hat die Bundesanwaltschaft bereits vor Bekanntwerden dieser Verträge ein Strafverfahren eingeleitet. Die Fifa-Anwälte haben die gefundenen Dokumente der Bundesanwaltschaft, der Fifa-Ethikkommission und den US-Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet. Ob die Fifa die Verfahrens- und Anwaltskosten des Ex-Generalsekretärs Valcke auf Grundlage dieser Vertragsklausel zu übernehmen hat, wird das zuständige Gericht entscheiden müssen.

(Dieser Text basiert auf einem Artikel des Autors im Tages-Anzeiger vom 4. Juni 2016)