Luzerner Staatsanwaltschaft: Rückfall in die Geheimjustiz

Seit Jahren ist klar, dass Journalisten Strafbefehle einsehen dürfen. Die Luzerner Staatsanwaltschaft verweigert nun aber den Zugang – mit einer juristisch unhaltbaren Begründung und ohne sich auch nur mit einem Wort mit der geltenden Praxis des Bundesgerichts auseinanderzusetzen. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft wirkt rein schikanös.

Seit 1998 ist klar, dass auch Strafbefehle unter das Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung fallen und öffentlich verkündet werden müssen.

Der Grund ist so einfach wie überzeugend: Das Bundesgericht will keine Geheim- oder Kabinettsjustiz – auch nicht bei Erledigungsentscheiden der Staatsanwaltschaften, die mehr als 95 Prozent der Entscheide im Strafrecht ausmachen. „Ohne Gerichtsöffentlichkeit sind Spekulationen, ob die Justiz einzelne Prozessparteien ungebührlich benachteiligt oder privilegiert, unvermeidlich. Kritik an einseitiger oder rechtsstaatlich fragwürdiger Ermittlungstätigkeit oder mangelhafter Verfahrensleitung bliebe ausgeschlossen.“

Anfänglich verlangte das höchste Schweizer Gericht für die Einsicht in Strafbefehle noch ein „berechtigtes Interesse“, an das aber keine hohen Anforderungen zu stellen sei (BGE 124 IV 234 E 3d).  Doch spätestens vor fünf Jahren stellte das Bundesgericht klar, dass Medienschaffende dieses „berechtigte Interesse“ kraft ihrer Funktion beibringen: „Die Kenntnisnahme von Urteilen ist nicht von einem besonderen schutzwürdigen Informationsinteresse abhängig. Vielmehr ergibt sich das schutzwürdige Informationsinteresse bei Medien ohne Weiteres aus deren Kontrollfunktion. Allein schon die mit der Justizöffentlichkeit verbundene Möglichkeit der Kontrolle der Justiz vermag auch ohne weitere Begründung ein hinreichendes Einsichtsinteresse zu begründen“ (vgl. etwa 137 I 16, E 2.4; zuletzt BGE 1C_123/2016).

Darum haben der Kanton Luzern wie auch die meisten andern Kantone und die Bundesanwaltschaft ab 2012 Strafbefehle und Einstellungsverfügungen vor Ort während einer gewissen Frist nicht anonymisiert öffentlich zur Einsicht aufgelegt. Simon Kopp, Mediensprecher der Luzerner Staatsanwaltschaft, hat dies noch im Januar 2016 am MAZ-Recherchetag auch für den Kanton Luzern als geltende Regelung beschrieben.

Doch nun ist plötzlich alles anders. Einer Journalistin der „Zentralschweiz am Sonntag“ hat die Luzerner Staatsanwaltschaft die Einsicht in die vom 5. bis 12. September 2016 erlassenen Strafbefehle verweigert (vgl. Zentralschweiz am Sonntag vom 25. September 2016). Begründung des stellvertretenden Oberstaatsanwalts: „Kosten“, „grosser personeller Aufwand“, „fehlende Begründung sowohl betreffend Spezifikation der Thematik in den Strafbefehlen als auch des schutzwürdigen Interesses“. Mit keinem einzigen Wort setzt sich der Oberstaatsanwalt dabei aber mit Rechtsprechung und Lehre auseinander. ablehnung_einsichtnahme_in_die_strafbefehle

Im Gegenteil: Die Argumentation der Luzerner Staatsanwaltschaft widerspricht sämtlichen Entscheiden des Bundesgerichts der letzten Jahre und der einhelligen Rechtslehre – vom Kommentar zur Bundesverfassung (Rz 64 zu Art. 30 Abs. 3 BV. „Eingeschlossen sind … auch Strafbefehle, Einstellungs- bzw. Nichtanhandnahmeverfügungen und Einstellungen nach Art. 53 StGB“) bis zum Kommentar zur Strafprozessordnung (Rz 39 zu Art. 69 Abs. 2 der Strafprozessordnung – „Es ist kein Interessensnachweis erforderlich“). Die Luzerner Staatsanwaltschaft verfällt einer unzeitgemässen Geheimniskrämerei, spielt auf Zeit, arbeitet juristisch krass mangelhaft und verschleudert Steuergelder.

Die Zeitung hat Beschwerde gegen den Entscheid eingereicht. Und die Prognose sei gewagt: Sie wird Recht erhalten – spätestens vor Bundesgericht. Und es ist zu wünschen, dass die Gerichte deutliche Worte finden.

Und hoffentlich erlässt die Schweizer Staatsanwälte-Konferenz, die zur Zeit an einer Vereinheitlichung der Einsichtsregeln arbeitet, nicht eine juristisch so schlecht begründete Regelung.

Nachtrag vom 31. Oktober 2016: Das Kantonsgericht Luzern hat deutliche Worte gefunden und die Beschwerde der Luzerner Zeitung gutgeheissen. Siehe separate Posts hier (Januar 2017) und hier (März 2017).

Zugang zu Urteilen – Bunkermentalität der Gerichte ändert sich nur langsam

Mitte Mai 2015 hat das Obergericht des Kantons Schaffhausen einen wegweisenden Entscheid zur Einsicht in Urteile gefällt: Jedermann kann Urteile zeitlich unbeschränkt einsehen. Doch dies ist erst ein Etappensieg für die Justizöffentlichkeit. Das Verfahren ist ein Lehrstück in drei Akten.

Zusammenfassung für eilige Leser:

_ Urteile sind im Kanton Schaffhausen in Zukunft zeitlich unbefristet und von jedermann einsehbar. Es kann eine Kopie gegen eine mässige Gebühr verlangt werden.

_Für den Zugang zu Urteilen braucht es kein schutzwürdiges Interesse.

_Aus Rücksicht auf die Privatsphäre der betroffenen Privatpersonen werden die Urteile anonymisiert.

_Der Einsichtsanspruch betrifft das ganze Urteil mit Rubrum, Sachverhalt, Begründung und Dispositiv, einschliesslich Bekanntgabe des Spruchkörpers, nicht aber das Verhandlungsprotokoll, welches den ganzen Ablauf der Verhandlung von deren Eröffnung bis zum Urteilsspruch nachzeichnet.

_Wird ein Urteil nur mündlich begründet, besteht ein Anspruch auf Zugang zum Urteilsdispositiv und zu einer allfälligen Protokollbegründung, nicht aber zu persönlichen Notizen der Richter oder zu nicht autorisierten Tonaufzeichnungen des Gerichts.

_Grundsätzlich gilt dieser zeitlich unbeschränkte Anspruch auch für die Entscheide der Schaffhauser Staatsanwaltschaften (Strafbefehl, Einstellungsverfügungen, Nichtanhandnahmeverfügungen).

_Die Akten eines Strafverfahrens unterliegen hingegen dem Archivrecht und damit langen Sperrfristen von 50 bis 100 Jahren. Zugang ist auch für Journalisten in der Regel nicht möglich (Ausnahme z. B. wissenschaftliche Arbeit).

_Die Tragweite des Entscheides ist rechtlich auf den Kanton Schaffhausen beschränkt. Die entsprechenden Richtlinien des Kantonsgerichts vom 29. April 2013 müssen überarbeitet werden. Zudem muss das Kantonsgericht seine Praxis ändern, dass die Richter, die für das Strafverfahren zuständig waren, auch die Einsichtsgesuche beurteilen.

_Für Gerichte und Staatsanwaltschaften anderer Kantone hat der Entscheid nur – aber immerhin – Signalwirkung.

 

  1. Akt: Engagierte Journalisten prallen auf befangenen erstinstanzlichen Richter.

Eine Journalistin des Radio Munot, ein Redaktor des Landboten (März und April 2013) und etwas später ein Journalist des Beobachters (Juli 2013) wollten ein rechtskräftiges Urteil des Kantonsgerichts Schaffhausen einsehen, mit dem ein Physiotherapeut im August 2012 wegen mehrfacher sexueller Nötigung und Belästigung zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Der Physiotherapeut behielt trotz dieser Verurteilung seine Praxisausübungsbewilligung. Das Gesundheitsamt, das für Erteilung und Entzug zuständig ist, hatte vom Urteil nichts erfahren. Die Journalisten wollten die Abläufe überprüfen, die Justiz kontrollieren und so ihre Rolle als 4. Gewalt wahrnehmen.

Doch Kantonsrichter Markus Kübler, der auch das Strafverfahren gegen den Physiotherapeuten präsidiert hatte, wies die Einsichtsgesuche ab. Seine Begründung: Da das Verfahren öffentlich verhandelt, das Urteil mündlich öffentlich verkündet und das Strafurteilsdispositiv 30 Tage lang auf der Gerichtskanzlei zur allgemeinen Einsicht aufgelegt worden war, sei das Urteil ja bereits korrekt öffentlich verkündet worden. Deshalb behandelte der Kantonsrichter nicht nur die Verfahrensakten, sondern sogar das Urteilsdispositiv als Archivgut und beurteilte die Gesuche nach der kantonalen Archivverordnung.

Er verneinte das nötige Interesse an einer Einsicht in dieses Archivgut: „Dem Einsichtsgrund der Justizkontrolle (…) ist die Schutzwürdigkeit abzusprechen, weil eine solche zu einem früheren Zeitpunkt umfassend möglich war.“ Auch hier: Pech gehabt. Wer an der öffentlichen Urteilsverkündung nicht dabei war oder auf der Gerichtskanzlei das Urteil angeschaut hat, darf das Urteil nicht mehr sehen. Beim Gesuch des Beobachters sah Kübler zudem kein berechtigtes öffentliches Interesse, weil er in Medienberichten bereits geschildert habe, weshalb die Verurteilung des Physiotherapeuten nicht ans Gesundheitsamt gemeldet worden war: Der Physiotherapeut habe die beiden Nötigungshandlungen nicht als Physiotherapeut, sondern als Pfleger in einer Institution, und nicht an Insassen, sondern an einer Mitarbeiterin begangen. Zudem arbeite der Pfleger unterdessen auf dem Bau. Der einzige auffindbare Medienbericht wurde erst nach den Gesuchen von Landbote und Radio Munot publiziert und stützte sich nur auf Erklärungen Küblers (siehe Infosperber vom 18. April 2013).

Kommentar: Die Argumentation von Kantonsrichter Markus Kübler ist typisch für die Bunkerhaltung, die in Justizkreisen noch immer verbreitet ist. Dabei übersehen die Richter, dass sie befangen sind, wenn es darum geht zu beurteilen, ob es im öffentlichen Interesse ist, ihre Arbeit zu kontrollieren. Gerade erstinstanzliche Richter verneinen oft das schutzwürdige Interesse an Einsicht in Urteile und halten ihre mündlichen Auskünfte, die sie notabene erst unter Druck abgeben, sogar für einen Ersatz. Die Praxis des Kantonsgerichts, dass der für das Strafverfahren zuständige Richter auch die Einsichtsgesuche beurteilt, ist zudem untauglich und verstösst gegen den Anspruch auf einen unbefangenen Richter.

 

  1. Akt: Medienfreundliches Obergericht schafft ein Präjudiz

Das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 19. Mai 2015 hält fest, „dass das Bundesgericht heute aus dem Gebot der öffentlichen Urteilsverkündung gemäss Art. 30 Abs. 3 BV (…) ein zeitlich nicht beschränktes Einsichtsrecht in die ergangenen Urteile ableitet, wobei ein Gesuchsteller kein besonderes oder schutzwürdiges Interesse nachweisen muss.“

Wird ein Urteil nur mündlich verkündet, nicht aber schriftlich begründet, haben Journalisten, aber auch beliebige Dritte, einen Anspruch auf das (anonymisierte) Urteilsdispositiv und die Protokollbegründung. „Dem Sinn des Verkündungsgebots von Art. 30 Abs. 3 BV, welches die gerichtlichen Urteilssprüche zugänglich und nachvollziehbar machen will, entspricht es unter diesen Umständen, auch eine teilweise Einsicht ins Verhandlungsprotokoll, nämlich in die erwähnte Protokollbegründung, zu gewähren bzw. diesen Teil in Kopie herauszugeben.“

Die Namen der betroffenen Privatpersonen sind zu anonymisieren, wenn Journalisten im Nachhinein Einsicht in die Urteile verlangen.

Verfahrensakten unterstehen hingegen dem Archivrecht und sind nur bei besonderen Ausnahmen (zum Beispiel ein nachgewiesenes prozessuales oder wissenschaftliches Interesse) einsehbar.

Das Obergericht begründet sein wegweisendes Urteil mit Verweis auf einen Bundesgerichtsentscheid vom 26. März 2013 (139 I 129 ) und gestützt auf den St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung. Der Verweis auf den Bundesgerichtsentscheid ist gewagt, denn dieser höchstrichterliche Entscheid bezieht sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das gerade nicht öffentlich verkündet und nur teilweise publiziert worden war. Daraus kann nicht ohne weitere Begründung abgeleitet werden, dass auch das Urteilsdispositiv eines mündlich verkündeten Urteils oder eines vollständig öffentlich aufgelegten Urteils nachträglich auf Gesuch hin herausgegeben werden muss. Zudem stützt sich das Obergericht auf den St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung. Darin kommt Gerold Steinmann, ehemaliger langjähriger Gerichtsschreiber des Bundesgerichts und hervorragender Jurist, zum Schluss, dass „der Zugang zu Urteilen (mündliche Eröffnung, Einsicht, Herausgabe) nach Art. 30 Abs. 3 BV von keinem besonderen oder gar schutzwürdigen Interesse abhängig ist.“ Und dass Private – somit auch Journalisten – ohne besonderes Interesse einer mündlichen Urteilsverkündung beiwohnen und „die Bekanntgabe bei (…) abgeschlossener Verkündung verlangen“ können.

Dabei bezieht sich Steinmann auf das oben erwähnte Urteil sowie auf zwei Bundesgerichtsentscheide zu den Einsichtsgesuchen in Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB in Sachen Fifa (Urteil 1B_68/2012 vom 3. Juli 2012) und Roland Nef .

Die grundsätzliche Einschätzung Steinmanns ist richtig. Doch sind auch die zwei weiteren Entscheide, die Steinmann zitiert, keine präzisen Präjudizien: In beiden Fällen geht es um Einsicht in Entscheide, die (nach damaliger Praxis) nicht verkündet worden waren. Der Anspruch auf unbefristeten nachträglichen Zugang zu einem korrekt öffentlich verkündeten Entscheid kann sich also nur bedingt auf diese höchstrichterlichen Präjudizien stützen. Als Journalist hätte man sich vom Schaffhauser Obergericht eine detailliertere Begründung gewünscht.

 

  1. Akt: Nur Schaffhauser Journalisten können aufatmen

Das Urteil des Schaffhauser Obergerichts ist rechtskräftig: Für die Einsicht in Urteile braucht es zukünftig also kein schutzwürdiges öffentliches Interesse mehr. Jedermann – also auch Nicht-Journalisten – kann im Kanton Schaffhausen grundlos (anonymisierte) Urteile herausverlangen und dies zeitlich unbefristet. Deshalb muss das Kantonsgericht nun auch seine Richtlinien über die Einsicht in Entscheide ändern. (Bis Redaktionsschluss ist dies noch nicht geschehen).

Da das Bundesgericht den Zugang zu Urteilen der Gerichte und zu den Entscheiden der Staatsanwaltschaften gleich behandelt (BGE 124 IV 234; 137 I 16; Urteil 1B_68/2012; vgl. dazu auch Gerold Steinmann im St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, Art. 30, Rz 64), kann aus dem Entscheid des Schaffhauser Obergerichts auch ein zeitlich unbefristeter Zugang zu Strafbefehlen, Einstellungsverfügungen und Nichtanhandnahmeverfügungen der Staatsanwaltschaften des Kantons Schaffhausen abgeleitet werden.

Die gerügte Praxis des Kantonsgerichts Schaffhausen ist in einigen andern Kantonen ebenfalls üblich. So werden etwa im Kanton Aargau gemäss einem Kreisschreiben des Obergerichts Urteile vier Wochen lang öffentlich aufgelegt, danach muss ein begründetes Interesse nachweisen, wer Einsicht nehmen will.

Ändert das Urteil des Obergerichts Schaffhausen etwas an solch restriktiven Regelungen? Rechtlich leider nein. Das Urteil des Obergerichts Schaffhausen ist zwar rechtskräftig, bindet aber nur die Gerichte des Kantons Schaffhausen (sowie deren Staatsanwaltschaften). Und das Schaffhauser Urteil bezieht sich nicht auf präzise Präjudizien des Bundesgerichts, aus denen auch für andere Kantone zwingend rechtliche Ansprüche abgeleitet werden könnten.

Bis das Bundesgericht einen eigentlichen Leitentscheid zu dieser Frage gefällt hat, hat der Entscheid des Obergerichts Schaffhausen immerhin eine Signalwirkung für andere Kantone, denn – diese Einschätzung sei gewagt – das Bundesgericht hätte gleich entschieden wie die Schaffhauser Oberrichter. Das zeigt die grundsätzliche Haltung, die oben erwähnte Bundesgerichtsurteile prägte: Das höchste Schweizer Gericht will eine möglichst offene Justiz. Und das zeigen auch die Worte des ehemaligen Bundesrichters Heinz Aemisegger in seinem Vortrag an einer Veranstaltung zur Kommunikation der Gerichte im Juni 2013: „Was einmal öffentlich ist, bleibt öffentlich. Öffentlich verkündete Urteile bleiben deshalb öffentlich zugänglich.“

Beugehaft für Journalisten

Der Fall Nef wird um ein Kapitel reicher: Das Zürcher Obergericht will den Journalisten Karl Wild per Beugehaft zur Aussage zwingen – ein rechtliches Unikum, das einer alten Zürcher Strafprozessordnung zu verdanken ist, die nur noch für Verfahren gilt, die vor Januar 2011 eingeleitet wurden.

So sieht es zumindest der Medienrechtler Peter Studer in einem Blogeintrag auf http://www.investigativ.ch: „Es mutet tatsächlich seltsam an, dass die obrigkeitsstaatliche Beugehaft im Schatten der modernen eidgenössischen Strafprozessordnung an der Limmat (anders als in den meisten Kantonen) belebt werden soll“.
Mehr dazu unter http://www.investigativ.ch/

Sieg für die Transparenz in St. Gallen

Im Kanton St. Gallen müssen Strafbefehle an Medien herausgegeben, wenn nicht ein überwiegendes privates Interesse dagegensteht. Ein Sieg für die Medienfreiheit – erkämpft vom Beobachter.

Der erste Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, Thomas Hansjakob, hatte Anfang Jahr einen Bürger den Beobachter und Justizblog mit knappen Sätzen abgewimmelt: Nein, den Strafbefehl gegen zwei Jugendliche, die mit Tempo 260 auf der Autobahn und 160 innerorts vor der Polizei geflohen sind, dürfe man nicht einsehen, denn darauf bestehe kein Anspruch.

Dagegen wehrte sich der Beobachter – mit Erfolg: Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen hat Ende Juni 2011 festgehalten, dass in Strafbefehle grundsätzlich «Einsicht zu gewähren ist, sofern keine überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen». Im konkreten Fall haben die Richter diese Interessenabwägung gleich selbst gemacht: Weil der Beobachter nur einen anoymisierten Entscheid verlange, gebe es gar kein Interesse, den Strafbefehl geheim zu halten. Fazit: «Die Staatsanwaltschaft hat den Strafbescheid in anonymisierter Form auszuhändigen.»

Damit ist auch klar, dass die Interessenabwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Einsicht und der Geheimhaltung in Zukunft vom Staatsanwalt allein gemacht werden muss – ohne dass der Beschuldigte zur Stellungnahme eingeladen wird.
Das ist erfreulich. Der Entscheid ist rechtskräftig.

Damit kann man unterdessen im Kanton St. Gallen wie in Luzern und Basel Strafbefehle innert nützlicher Frist und ohne Kosten einsehen. In den Kantonen Zürich, Zug und Bern hingegen wird weiterhin ein langwieriges kostspieliges Verfahren durchgeführt, das Justizkontrolle verunmöglicht.

Das Informationsverhinderungsgesetz

In den letzten Jahren sorgte das Bundesgericht für mehr Transparenz in der Justiz. Die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft hat aber einen Weg gefunden, um die Geheimjustiz bei Strafbefehlen und Einstellungsverfügungen weiterzuführen. Absurderweise mit Hilfe des so genannten Informations- und Öffentlichkeitsgesetzes.

Mutig hat das Bundesgericht 1998 entschieden, dass auch Strafbefehle dem Verkündigungsgebot von Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung unterliegen – Medien können sie also wie Urteile einsehen. Ein konsequenter Schritt, denn mehr als 90 Prozent aller Strafurteile werden nicht mehr von Richtern, sondern von den Staatsanwälten gefällt. Eine Entwicklung, die durch die eidgenössische Strafprozessordnung noch massiv verstärkt werden wird.

Einen bedingten Anspruch auf Einsicht gab das höchste Schweizer Gericht den Journalisten 2008 auch bei Einstellungsverfügungen. Und so erfuhr die Öffentlichkeit zum Beispiel, auf wie dürftiger Grundlage das Strafverfahren wegen Nötigung und Pornographie gegen Ex-Armeechef Roland Nef eingestellt wurde. Beobachter und Weltwoche konnten die Einstellung wegen Wiedergutmachung gegen den Willen der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft einsehen. Und prompt löste die Berichterstattung darüber parlamentarische Vorstösse aus, die zum Ziel haben, die Einstellung bei Wiedergutmachung massiv einzuschränken.

Jetzt haben Oberstaatsanwalt Brunner und Co einen Weg gefunden, allzu kritische Journalisten trotzdem fernzuhalten. In einem neuen Entscheid verweigern sie die Einsicht in einen Strafbefehl und eine Einstellungsverfügung und auferlegen dem Journalisten, dessen Gesuch vom entscheidenden Staatsanwalt zuerst gutgeheissen wurde, die Entscheidgebühr von 2000 Franken und eine Parteientschädigung von 4000 Franken. Gegen diesen Kostenentscheid rekurrierte der Tages-Anazeiger-Journalist vergebens vor Zürcher Verwaltungsgericht.

Die Oberstaatsanwaltschaft verfüge in dieser Frage über ein weites Ermessen. Es liege deshalb keine Verletzung des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vor, meinten die Richter.

Die Konsequenz für die Journalisten: Sobald gegen ein Einsichtsgesuch rekurriert wird, müssen sie das Gesuch zurückziehen, sonst laufen sie Gefahr bei der eher medienfeindlichen Oberstaatsanwaltschaft ins Kostenmesser zu rennen. Somit hat der Rekursgegner, der die Einsicht verweigern will, ein simples und effizientes Mittel, Transparenz zu unterbinden.

Oberstaatsanwalt Brunner wehrt sich gegen den Vorwurf, so Geheimjustiz zu schaffen. Die Strafbefehle würden einen Monat kostenlos zur Einsicht aufgelegt. Erst wenn man danach Einsicht verlange, würden Kosten auferlegt. Dies genüge den Ansprüchen des Bundesgerichts.

Mag sein, aber es verunmöglicht Justizkontrolle. Denn in wichtigen Fällen – wie zum Beispiel im Fall Nef – wird erst im Nachhinein klar, dass Kontrolle nötig ist.

Die absurde Situation entsteht durch das Zürcher Informations- und Datenschutzgesetz IDG. Denn dieses wird neu angewendet, wenn Journalisten einen Strafbefehl oder eine Einstellungsverfügung herausverlangen. Das heisst, dass das Einsichtgesuch den Betroffenen zur Stellungnahme zugestellt wird. Das verlängert zum einen das Einsichtsverfahren, zum andern macht es eine Beschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft erst möglich. Falls diese dann gegen die Einsicht entscheidet, fallen gestützt auf das Verwaltungsrechtspflegegesetz die prohibitiv hohe Kosten an – wenn es der Oberstaatsanwaltschaft gerade so passt.

Damit aber kann ein bundesverfassungsrechtlicher Anspruch auf Einsicht in Urteile und Strafbefehle durch ein kantonales Gesetz ausgehebelt werden. Das kann nicht richtig sein.

Vergleicht man den Ablauf mit der Einsicht in Urteile wird die stossende Situation sofort klar: Bei der Einsicht in Urteile entscheidet das Gericht darüber – ohne Anhörung der vom Urteil Betroffenen – allein gestützt auf Art. 30 Abs. 3 BV. Die Einsicht wird fast immer gewährt – ausser natürlich zum Beispiel in Vormundschaftssachen. Eine Parteianhörung findet nicht statt. Kosten fallen keine an. Justizkontrolle ist möglich.

Einstellungsverfügung im Fall Nef

Die Einstellungsverfügung im Fall Nef zeigt: Wer zahlt, kann sich viel zu einfach von einem Strafverfahren freikaufen. Deshalb muss dringend das Strafgesetz geändert werden.

Jetzt ist sie öffentlich, die Einstellungsverfügung im Fall Nef. Es sind sechs Seiten. Darin begründet die Zürcher Staatsanwältin Judith Vogel, weshalb sie das Strafverfahren wegen sexueller Belästigung, Nötigung und Pornographie gegen Armeechef Roland Nef im Oktober 2007 eingestellt hat. Nef hat sich mehr als zwei Jahre lang dagegen gewehrt, dass dieses Papier öffentlich wird.

Und jetzt wird klar: Es steht fast nichts Neues drin. Weder die Summe, die Nef dem Opfer – seiner Ex-Partnerin – als Wiedergutmachung gezahlt hat, noch Details zur Strafuntersuchung selbst. Aufhorchen lässt einzig, dass Nef „in Würdigung aller Gesamtumstände noch mit einer bedingten Strafe rechnen hätte können“.

Im Klartext: Die Vorwürfe haben sich in der Strafuntersuchung offenbar erhärtet. Nef hat seine Ex-Partnerin „mittels Mobiltelefonen, Briefen und SMS, meist sexuellen Inhalts, sowie durch die Zusendung von Sex-Zeitschriften und einer ebensolchen DVD belästigt“ – 18 Monate lang. Zudem hat er offenbar im Namen der Ex-Partnerin auf Sex-Inserate geantwortet. Das Ganze war so schlimm, dass in den Augen der Staatsanwältin eine bedingte Strafe gerade noch drinlag.

Offenbar war es also ein schwerer Fall von Nötigung. In solchen Fällen will das Gesetz, dass ein Strafverfahren durchgeführt wird – egal, ob das Opfer dies möchte oder nicht. Solch schwere Straftaten sollen einfach geahndet werden, weil ein grundsätzliches öffentliches Interesse daran besteht, dass solche Täter nicht ohne Strafe herumlaufen können. Deshalb sind Delikte wie Nötigung oder Pornographie Offizialdelikte, und der Staat muss von Amtes wegen ermitteln. So will es der Gesetzgeber.

Einzige mögliche Ausnahme: Wenn der Täter Wiedergutmachung geleistet hat und „das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung gering ist“ (Art. 53 StGB).

Staatsanwältin Judith Vogel wischt die Frage, ob dies bei Nef zutrifft, mit einem einzigen Satz vom Tisch: „Die strafbaren Handlungen richteten sich nicht gegen eine Vielzahl von Menschen, sondern gegen eine bestimmte Person, und diese hat eine ausdrückliche Desinteresseerklärung abgegeben.“ Darum sei das Interesse an einer Strafverfolgung gering.

Im Klartext heisst das: Das Opfer kann bestimmen, ob der Staat einen Täter vor Gericht bringen soll – selbst bei Nötigung und Pornographie. Und wenn der Täter genug zahlt, kommt er nicht vor Gericht. Offizialdelikte werden so zu Antragsdelikten mit Kostennote.

Das darf nicht sein. Vordringliche Aufgabe von Staatsanwälten ist es, Täter vor Gericht zu bringen, wenn sich ein Verdacht auf ein schweres Delikt erhärtet. Wenn Art. 53 trotzdem die Einstellung ermöglicht, muss dies erstens zurückhaltend angewendet und zweitens ausführlich begründet werden.

Ansonsten kann man sich allzu leicht von Strafverfahren loskaufen – was Reichen möglich ist, Armen hingegen nicht. Für eine solche Klassenjustiz gibt es bereits Anzeichen: Der Milliardär Viktor Vekselberg konnte sich unlängst zusammen mit Mitangeklagten von einem Strafverfahren wegen Börsenvergehen freikaufen – für 10 Millionen Franken. Die Fifa konnte dank einer Zahlung von 5,5 Millionen Franken ein Verfahren gegen zwei ausländische Mitarbeiter beilegen, die Schmiergelder empfangen hatten. Und Carl Hirschmann, am Pranger wegen Körperverletzung, einigte sich dank einer Wiedergutmachung in unbekannter Höhe ebenfalls ohne vors Gericht stehen zu müssen.

Deshalb ist der Entscheid des Bundesgerichts so wichtig: Medien können nun kontrollieren, wie die Staatsanwälte in solchen Fällen genau entscheiden. Auch wenn bei so rudimentär begründeten Entscheiden wie im Fall Nef kaum eine vertiefte Kontrolle möglich ist. Wenigstens wird deutlich, wie einfach Täter sich freikaufen können.

Und wie schnell das Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung auf der Strecke bleibt, denn es ist bei den Staatsanwälten in schlechten Händen. Die Untersuchungsbehörden haben nämlich ein Interesse, dass Fälle eingestellt werden, wenn der Täter zahlt: So gehts schnell, so ist man effizient, so steigert man die Erledigungszahlen und wird Ende Jahr gelobt. Der Gesetzgeber hat den Strafverfolgern kaum Schranken gesetzt: Bei Strafen bis zu 24 Monaten bedingt besteht diese Möglichkeit. Also auch bei schweren Körperverletzungen, Betrug, Vergewaltigungen.

Darum muss jetzt dringend das Parlament über die Bücher und den Artikel 53 des Strafgesetzbuchs abschaffen oder in der Anwendung einschränken.

Einstellungsverfügung und Bundesgerichtsentscheid sind aufgeschaltet unter www.beobachter.ch

Verwirrung im Fall Nef

Das Bundesgericht hat noch nicht beurteilt, ob die Einstellungsverfügung im Fall Nef an die Medien herausgegeben werden muss. Es hat erst entschieden, dass Nefs Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wird. Dieser Entscheid war zu erwarten.

Im Verfahren um die Herausgabe der Einstellungsverfügung, womit die Zürcher Staatsanwältin Judith Vogel das Strafverfahren wegen Nötigung und anderer Delikte gegen Ex-Armeechef Roland Nef einstellte, ist inzwischen ziemlich unübersichtlich.

Für alle Interessierte: Der Fall steht kurz vor dem höchstrichterlichem Entscheid. Wenn nun aber in einigen Medien der Eindruck entstand, das Bundesgericht habe Nefs Beschwerde gutgeheissen und die Verfügung bleibe definitiv unter Beschluss, ist das falsch.

Das Bundesgericht hat erst entschieden, dass Nefs Beschwerde gegen den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts, die Verfügung zugänglich zu machen, aufschiebende Wirkung zuerkannt wird.

Das ist auch kein Wunder: Hätte das höchste Gericht dies nicht gemacht, hätten die Medien die Verfügung erhalten. Die eigentliche Streitsache wäre also im bloss summarischen Verfahren entschieden worden. Und das wäre ja angesichts des anstehenden Präjudizes zur Einsicht in Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB etwas gar flapsig gewesen.

Fall Nef: Grundsatzfrage vor Bundesgericht

Ex-Armeechef Roland Nef geht ans Bundesgericht, um zu verhindern, dass die Medien die Einstellungsverfügung einsehen können, mit der das Strafverfahren gegen ihn durch eine Wiedergutmachung kurz vor seinem Amtsantritt als Armeechef beendet wurde. Er hat den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts, welches Einsicht gewähren wollte, angefochten.

Damit erhält das Bundesgericht Gelegenheit, die Frage zu entscheiden, ob kantonale Datenschutzgesetze bei der Einsicht in Einstellungsverfügungen überhaupt anzuwenden sind. Dies ist problematisch, weil viele kantonale Öffentlichkeitsgesetze verlangen, dass die Parteien zum Einsichtsbegehren angehört werden.

Die Parteianhörung verlängert die Einsicht in richterliche Entscheide von 24 Stunden auf zwei und mehr Jahre. Denn Staatsanwälte entscheiden nicht mehr selbständig, ob Einsicht gewährt wird, sondern haben ein im Endeffekt jahrelanges Verfahren einzuleiten, das faktisch auf eine Vereitelung des Einsichtsanspruchs von Art. 30 BV hinausläuft.

Damit würde genau jene Transparenz verhindert, welche das Bundesgericht mit seinem Präjudiz vom April 2008 auch bei Einstellungsverfügungen herstellen wollte.

Und: Wer sagt, dass nicht bald auch bei der Einsicht in Strafbefehle, ja sogar in Urteile die Parteien angehört werden müssen und die Einsichtsgesuche erst nach Jahren entschieden sind? Damit würde Justizkritik massiv erschwert.

Fall Nef: Zürcher Verwaltungsgericht will Transparenz

Beobachter und Weltwoche sollen Einsicht in die Einstellungsverfügung im Fall Nef erhalten. Das hat das Zürcher Verwaltungsgericht entschieden – und auch gleich einen Artikel des Zürcher Datenschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Nur knapp ist es aber an einer Neuauflage einer Justizposse vorbeigeschlittert.

Der Beobachter verlangte im Juli 2008 Einsicht in die Einstellungsverfügung im Fall Nef. Der Verdacht drängte sich nämlich auf, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft Nef begünstigt hatte, als sie das Strafverfahren wegen Nötigung, Pornographie und weiterer Delikte am 23. Oktober 2007 eingestellt hatte (vgl. Justizblog). Der zuständige Staatsanwalt hiess das Gesuch gut, die Oberstaatsanwaltschaft untersagte danach aber die Einsicht auf Intervention Nefs hin. Beobachter und Weltwoche gelangten deshalb ans Verwaltungsgericht. Dieses erklärte sich zuerst für unzuständig und schob die Beschwerde ans Obergericht weiter. Dieses wollte die Beschwerde ebenfalls nicht behandeln, worauf das Bundesgericht ein Machtwort sprach und das Verwaltungsgericht am 14. Januar 2010 anwies, die Beschwerde „beschleunigt“ zu behandeln.

Das hat das Zürcher Verwaltungsgericht nun getan und die Beschwerde der beiden Medien gutgeheissen. „An der Klärung der Vorwürfe besteht ein gewichtiges Interesse – zumal die Vorwürfe zumindest nicht abwegig erscheinen“, halten die Richter fest. Die privaten Interessen Nefs an Geheimhaltung würden hingegen nicht schwer wiegen.

Soweit das Urteil in der Hauptsache. Interessant sind aber noch zwei Nebenresultate: Die Verwaltungsrichter erklären nämlich Art. 26 Abs. 2 des Zürcher Gesetzes über die Information und den Datenschutz (IDG) für verfassungswidrig. Dieser Artikel erlaubt die Bekanntgabe von „besonderen Personendaten“ nämlich nur, wenn der Betroffene zustimmt.

Das Gebot der Verhandlungs- und Entscheidöffentlichkeit nach Art. 30 Abs. 3 BV gebiete nun aber eine Einsicht in Einstellungsverfügungen, auch wenn darin besondere Personendaten enthalten sind, falls das öffentliche Interesse an der Einsicht überwiege. Diese Klarstellung ist sehr zu begrüssen.

Es fällt sowieso auf, dass Gerichte und Behörden ziemlich hilflos sind, was die Einsicht in Einstellungsverfügungen und die Gesuche nach Zürcher IDG betreffen. So prüft die Oberstaatsanwaltschaft Zürich derzeit zum Beispiel, ob sie überhaupt berechtigt ist, gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts ans Bundesgericht zu gelangen.

Eine weitere grundlegende Frage scheint zudem noch immer nicht richtig geklärt. So hält eine Minderheit der Verwaltungsrichter in einer (sehr seltenen) Dissenting Opinion fest, dass das Verwaltungsgericht gar (noch) nicht zuständig sei, da Beobachter und Weltwoche vorgängig an die Zürcher Justitzdirektion hätten gelangen müssen.

Zum Glück blieben diese Richter in der Minderheit. Denn unterdessen dauert das Einsichtsverfahren beinahe zwei Jahre. Das darf aber bei Einsichtsbegehren nicht die Regel werden, sonst sind sie für Medien meist nutzlos.

Nef den Entscheid des Verwaltungsgerichts mit Beschwerde vom 28. Juni 2010 angefochten hat.

Fall Nef wird zu Fall Vogel

Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat das Strafgesetzbuch strapaziert und damit Roland Nef den Amtsantritt als Armeechef ermöglicht.

Der Fall Nef wird definitiv zum Fall Vogel: Die Zürcher Staatsanwältin Judith Vogel hat das Strafverfahren gegen Armeechef Roland Nef wegen Nötigung, Pornographie und anderer Delikte kurz nach seiner Wahl zum Armeechef eingestellt, weil die Öffentlichkeit kein Interesse an der Strafverfolgung habe. Das geht aus der Einstellungsverfügung hervor, aus der dem Beobachter eine kurze Passage vorliegt.

Zur Erinnerung: Roland Nef soll seine ehemalige Lebenspartnerin über 18 Monate hinweg massiv belästigt und in ihrem Namen gar Sexinserate geschaltet haben. Deshalb musste er im Sommer 2008 zurücktreten. Die in den Medien erhobenen Vorwürfe wurden in der Strafuntersuchung zumindest teilweise erhärtet: Staatsanwältin Vogel schreibt in der Einstellungsverfügung von «strafbaren Handlungen». Trotz den massiven Vorwürfen sieht sie aber kein Interesse der Öffentlichkeit an einer Strafverfolgung. Sie begründet das mit einem einzigen Satz: «Die strafbaren Handlungen richteten sich nicht gegen eine Vielzahl von Menschen, sondern gegen eine bestimmte Person, und diese hat eine ausdrückliche Desinteresseerklärung abgegeben.»

Diese dürftige Begründung provoziert Fragen: Richten sich nicht die meisten Straftaten nur gegen einen Einzelnen? Haben sich die schweren Vorwürfe erhärtet? Wenn ja: Liegt nicht ein schwerer Fall von «Stalking» und Nötigung vor, den der Staat von Amtes wegen aufklären muss – Desinteresse der Geschädigten hin oder her?

Falls es sich wirklich nur um einen leichten Fall handelt, stellt sich die Frage, wieso Judith Vogel nicht das dafür vorgesehene Verfahren eingehalten hat. Auf Antrag des Opfers kann das Strafverfahren zwar eingestellt werden, aber nur provisorisch. Der Täter muss sich sechs Monate bewähren. Erst dann wird definitiv eingestellt (Art. 55a StGB). Vogel hat Nef jedoch keine Bewährungsfrist verpasst. Damit hat sie es ihm überhaupt ermöglicht, sein Amt als Armeechef anzutreten, denn gewählt wurde er unter der Bedingung, dass das Strafverfahren bis zu seinem Amtsantritt eingestellt sein müsse. Hat sie Nef also protegiert?

Volle Einsicht nötiger denn je

Auf all diese Fragen möchte der Beobachter Antworten und deshalb die ganze Einstellungsverfügung, die der «NZZ am Sonntag» bereits zugespielt wurde. Ein entsprechendes Gesuch hat die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft abgelehnt.

Eine Beschwerde von Beobachter und «Weltwoche» gegen diesen Entscheid ist noch immer vor dem Zürcher Verwaltungsgericht hängig, weil es sich zuerst für unzuständig erklärt hatte. Das Bundesgericht hat das Verwaltungsgericht nun aber angewiesen, über die Beschwerde zu entscheiden, und zwar «beförderlich».