Strassburg schränkt Justizöffentlichkeit ein

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rügt den Generalstaatsanwalt des Kantons Genf: Wird ein Strafverfahren wegen Verjährung eingestellt, dürfen die Strafverfolger den Beschuldigten in der Begründung nicht in der Sache trotzdem für schuldig erklären. Dieses Urteil ist richtig, hat aber Folgen für die Recherche in der Schweiz: Einstellungsverfügungen sind in Zukunft als Informationsquelle weniger ergiebig, weil Staatsanwaltschaften sie aus Vorsicht weniger detailliert begründen werden.

Der Generalstaatsanwalt hatte in der Einstellungsverfügung festgehalten, dass der Betroffene die Tat zwar begangen habe, aber eben wegen Verjährung nicht zur Rechenschaft gezogen werden könne. Gemäss dem neuen Entscheid des EGMR verletzt dies die Unschuldsvermutung.

Im Januar 2008 hatte der Generalstaatsanwalt des Kantons Genf gegen einen katholischen Priester ein Strafverfahren wegen sexuellen Handlungen eröffnet, es im September aber wegen Verjährung gleich wieder eingestellt. In der Begründung schrieb der oberste Strafverfolger des Kantons Genf:

« Au vu de ce qui précède, il doit être considéré comme établi que [le requérant] a commis à tout le moins sur les personnes de [victime no 1] et [victime no 2] des actes d’abus de la détresse, (…). »

« Il en découle qu’il existait manifestement un lien de subordination et de dépendance, dont [le requérant] a profité de manière éhontée pour commettre les actes décrits par les victimes. »

« L’action pénale (…) ne pourra s’exercer en raison de la prescription même si les faits conduisent au constat qu’une infraction a bel et bien été commise sur les victimes. »

Die Presse griff die Einstellungsverfügung auf und schrieb, der Priester habe die Straftaten begangen und zugegeben.

Gemäss Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte verstösst der Wortlaut der Einstellungsverfügung gegen die Unschuldsvermutung. Deshalb verurteilt er die Schweiz und spricht dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von 12.000 Euro als Genugtuung und von 15’000 Euro für Verfahrenskosten zu.

Dieser Entscheid ist juristisch zu begrüssen, hat aber Konsequenzen für Rechercheure in der Schweiz: Einstellungsverfügungen werden in Zukunft wohl entscheidende Informationen zu Strafermittlungen nicht mehr enthalten. Wichtige investigative Artikel wie zum Beispiel der Artikel im Bieler Tagblatt über den prominenten Geschäftsmann und Lokalpolitiker Theo Griner können in Zukunft nicht mehr geschrieben werden.

Humanrights hat eine gute Zusammenfassung auf Deutsch und einen Kommentar aus Sicht der NGO veröffentlicht.

Bald Post aus Pakistan für Genfer Generalprokurator?

Der Genfer Generalprokurator Daniel Zappelli könnte bald Post von der pakistanischen Regierung erhalten: Ein Rechtshilfegesuch, die Ermittlungen wieder aufzunehmen gegen den Genfer Anwalt, der dem pakistanischen Präsidenten Zardari geholfen haben soll, Geld zu waschen. Grund für das Begehren ist ein Artikel des Beobachters.

Gestern erschien ein Artikel im Business Recorder, einer pakistanischen Wirtschaftstageszeitung, welcher hohe Wellen warf – bis hin zu einem Interview des pakistanischen Newschannels www.geo.tv mit Justizblog. Im Business Recorder wird in weiten Teilen ein Artikel des Beobachters wiedergegeben, der zeigt, dass der Genfer Generalprokurator Zappelli das Geldwäschereiverfahren gegen den heutigen Präsidenten Pakistans oder zumindest gegen seinen Genfer Anwalt sehr wohl wieder aufnehmen könnte – ja aufgrund der Aktenlage eingentlich müsste.

Wenn Zappelli es nicht von sich aus macht, kann Pakistan ein Rechtshilfegesuch an die Schweiz richten mit einem doppelten Inhalt – zum einen verlangen, dass die Schweiz Auskunft gibt darüber, wohin Zardaris 12 Millionen geflossen sind, nachdem sie 2008 deblockiert wurden, als Zappelli das Verfahren gegen ihn einstellte.

Zum andern verlangen, dass die Ermittlungen gegen Zardari und vor allem seinen damaligen Genfer Anwalt wiederaufgenommen werden. Dafür bleibt wenig Zeit: Die letzten strafbaren Handlungen verjähren 2012.

Mit diesen Hinweisen widersprechen Beobachter und Justizblog den Interviews Zappellis in pakistanischen Zeitungen, worin der Genfer Generalprokurator behauptete, die Immunität Zardaris als amtierender Staatschef verunmögliche die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Zweifel am Genfer Chefankläger Zappelli

Was im Kanton Genf derzeit abgeht, lässt nichts Gutes ahnen für das neue Wahlverfahren des Bundesanwalts und die neue Aufsicht über den eidgenössischen Chefankläger. Strafverfolgung wird verpolitisiert.

Im Kanton Genf wird der Chefankläger – einzigartig für die Schweiz – vom Volk gewählt. Mitentscheidend ist dabei das kriminalpolitische Konzept des Kandidaten. So segnete das Genfer Stimmvolk 2002 die Wahl des bürgerlichen Daniel Zappelli ab (wenn auch mit weniger als 150 Stimmen), der in seinem Wahlkampf klar das Primat auf die Verfolgung von Hausbesetzern und Drogendelinquenten gesetzt hat. Damit versprach er einen kriminalpolitischen Wechsel im Vergleich zu seinem Vorgänger Bernard Bertossa , der die Verfolgung von Geldwäscherei und internationaler Kriminalität zuoberst auf seine Agenda gesetzt hatte.

Nun aber zeigt dieser Wechsel Konsequenzen, die nicht nur für Genf, sondern für den ganzen Bankenstandort Schweiz zum Problem werden. Der bürgerliche Chefankläger Daniel Zappelli steht nämlich zumindest in zwei Fällen von schwerer Geldwäscherei im Verdacht, die Strafverfahren nicht mit dem nötigen Biss voranzutreiben. Davon profitiert vor allem seine eigene politische Klientel (Genfer Anwälte und Financiers) . Eines der Verfahren richtet sich gegen den aktuellen Staatspräsident Pakistans und einen ehemaligen Genfer Anwalt, der ihm geholfen haben soll, Schmiergelder zu waschen. Mehr dazu im aktuellen Beobachter.

Die Genfer Aufsichtsbehörde – der conseil supérieur de la magistrature – überzeugt gerade in diesen problematischen Fällen auch nicht: Wiederholt traten Mitglieder, die selbst bei den betroffenen Verfahren als Anwälte tätig waren, erst in den Ausstand, als sie dazu angehalten wurden  – oder wirkten bei Entscheiden gar mit. Dies führte dazu, dass Sanktionen von der nächsthöheren Aufsichtsinstanz wieder aufgehoben werden mussten.

In Genf scheint die Zusammensetzung der Aufsichtsbehörde aus Richtern, Anwälten und Professoren nicht wirklich zu einer Verbesserung der Strafverfolgung beigetragen zu haben. Ein Unikum: Der Chefankläger selbst ist teil der Aufsichtsbehörde und hat soeben eine Anzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung eingereicht, weil eine Sanktion gegen ihn publik geworden war. Als Täter kommen wohl nur die andern Mitglieder der Aufsichtsbehörde in Frage.

Auch auf Bundesebene soll auf Anfang 2011 eine vergleichbare Aufsichtsbehörde ihre Tätigkeit aufnehmen – und der Bundesanwalt soll neu vom Parlament gewählt werden. Es ist zu hoffen, dass nicht dieselben Dysfunktionen auftreten.

Unabhängig davon zeigt aber Genf, dass endlich ein Verbandsbeschwerderecht von NGOs im Bereich Korruption und Menschenrechte gesetzlich verankert werden sollte. Stellt nämlich ein politisch gewählter Chefankläger wichtige Verfahren von Korruption oder Geldwäscherei trotz erheblicher Beweise sang- und klanglos ein, kann niemand die Einstellung anfechten – sie wird nie überprüft.