Prekärer Quellenschutz im digitalen Zeitalter


Urs Paul Engeler, preisgekrönter Schweizer Recherchejournalist, hat Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht, weil seine Kommunikation mit den SVP-Politikern Christoph Blocher und Hermann Lei im Fall Hildebrand von Polizei und Staatsanwaltschaft ausgewertet wurde. Die Zürcher Staatsanwaltschaft beteuert, sie habe Engeler nicht überwacht. Seine Kommunikationsdaten seien bloss «Beifang» der Überwachung der beiden Beschuldigten Blocher und Lei gewesen. Müssen Journalisten mit Überwachung rechnen? Taugt der Quellenschutz im digitalen Zeitalter gar nichts mehr? Dürfen sie nicht mehr digital kommunizieren, wenn sie den Quellenschutz ernst nehmen? 6 Fragen und 6 Antworten.

1. Wie gelangte die Abschrift an die Öffentlichkeit?
Wie so oft steht am Anfang einer wichtigen Geschichte der Zufall Nach der Affäre Hildebrand im Januar 2012 liefen gleich drei Strafverfahren parallel: Gegen Reto T., der die geheimen Bankunterlagen Hildebrands beschafft, gegen Hermann Lei, der sie an die Weltwoche weitergegeben haben soll und gegen Christoph Blocher, der sie ermuntert haben soll, die Dokumente weiterzugeben.

Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Computer und Mobiltelefone von allen drei und beschaffte sich über den Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldewesens die Telekommunikations-Randdaten bei den Fernmeldedienstanbietern. Daraus erstellte sie eine 19-seitige Liste der SMS, E-Mails, Combox-Nachrichten und Telefongespräche, die Christoph Blocher, Rechtsanwalt Hermann Lei, die Journalisten Roger Köppel und Urs Paul Engeler sowie weitere Personen ausgetauscht haben. Teilweise steht da nur, wer mit wem wann kommuniziert hat (Randdaten), teilweise ist auch der Inhalt notiert. Schön datiert und geordnet.

Hermann Lei und Reto T. akzeptierten, dass die Staatsanwaltschaft sowohl ihre Datenträger wie auch ihre Randdaten vollumfänglich auswerteten. Sie beriefen sich auch nicht auf Quellenschutz. Einzig Christoph Blocher wollte, dass jene Daten auf seinem Computer und Mobiltelefon im Strafverfahren ausgesondert werden, die aus einer Kommunikation mit Journalisten stammen. Und er wehrte sich bis vor Bundesgericht. Deshalb schickte der Staatsanwalt, der gegen Blocher ermittelte, die 19-seitige Liste ans höchste Schweizer Gericht. Das Bundesgericht entschied im Juli 2014, dass die Daten auf Blochers Computer und seinem Mobiltelefon wegen Quellenschutz im Verfahren nicht verwendet werden dürfen (Urteile des Bundesgerichts 1B_424/2013 und 1B_436/2013). Nichts gesagt hat das Bundesgericht aber zur Frage, ob auch die Randdaten aus der rückwirkenden Telefonüberwachung verwendet werden dürfen, weil Blocher es in einer separaten Beschwerdenicht geltend gemacht hat.

Nach diesen beiden Urteilen hat die Zürcher Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben alle Listen versiegelt, die sie noch hatte, und auch Blochers Randdaten nicht verwendet, um dem Anliegen nach weit gefasstem Quellenschutz nachzukommen, wie sie gegenüber der NZZ am Sonntag betonte. Allerdings habe man vergessen auch jene Liste, die vom Bundesgericht erst später zurückgeschickt und in den Verfahrensakten abgelegt wurde, ebenfalls zu versiegeln.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren gegen Blocher im Dezember 2015 ein, brachte aber jene gegen Hermann Lei und Reto T. zur Anklage. Bei der Vorbereitung zum Prozess von Ende März 2016 schaute sich Reto T.s Anwalt die Akten des eingestellten Verfahrens Blocher an und fand die Liste. Der Anwalt verwendete sie bei seinem öffentlichen Plädoyer, der Tages-Anzeiger wertete die Informationen für einen Artikel aus und beschrieb auch die elektronische Kommunikation des Journalisten Urs Paul Engeler.

2. Wieso hat Urs Paul Engeler erst aus der Zeitung erfahren, dass seine Kommunikation aufgezeichnet und ausgewertet wurde?
Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat Urs Paul Engelers Telefon und E-Mail nicht direkt überwacht. Die Staatsanwaltschaft konnte seine Kommunikation nur nachverfolgen, weil sie die Kommunikation von Engelers Gesprächspartnern – Hermann Lei und Christoph Blocher – ausgewertet hat. Das bezeichnet die Staatsanwaltschaft als «Beifang». Die Kommunikationspartner werden nie informiert, wenn sie mitüberwacht werden. Deshalb hat Engeler es erst erfahren, als es der Tages-Anzeiger publik gemacht hat. Daraufhin hat der Journalist Anzeige gegen Unbekannt erstattet.

3. Was kann Engeler mit seiner Strafanzeige erreichen?
Nun muss ein Staatsanwalt prüfen, was genau passiert ist, und ob jemand sich strafbar gemacht hat. Dabei stellen sich unter anderem folgende Fragen:

  • Wer ist dafür verantwortlich, dass nicht alle der 19-seitigen Listen mit Kommunikationsdaten aus den Akten von Blochers Strafverfahren entfernt wurden? Ist es der Kanzleibeamte, der die Liste wieder in Blochers Verfahrensakten gelegt hat, als sie vom Bundesgericht zurückkam? Ist es der Staatsanwalt, der dies nicht gemerkt hat? Ist es Blochers Anwalt, der die Liste nicht aus den Akten entfernen liess?
  • Und ist dieser Fehler strafbar? Die Prognose sei gewagt: Für diesen Fehler ist wohl niemand strafrechtlich verantwortlich. Aber die Staatsanwaltschaft muss ihre Aktenverwaltung besser organisieren, damit dies nicht wieder passieren kann.
  • Hätte das Zwangsmassnahmengericht nicht eh von sich aus in allen drei Verfahren alle Kommunikationsdaten mit Journalisten entfernen müssen?

Dabei gilt es zwischen Daten, die auf Computern und Mobiltelefonen liegen, und jenen zu unterscheiden, die via rückwirkende Telefonüberwachung bei den Fernmeldedienstanbietern erhoben werden. Daten auf Computern und Mobiltelefonen sind Eigentum der Quelle. Wenn die Quelle sie von sich aus frei gibt und auf Quellenschutz verzichtet (wie das im konkreten Fall die beiden Beschuldigten Hermann Lei und Reto T. getan haben), kann der Journalist nicht dagegen opponieren. Ein Staatsanwalt kann sie im Verfahren verwenden. Und das Zwangsmassnahmengericht muss sich gar nicht damit befassen.

Anders hingegen ist die Rechtslage bei den Daten, die via rückwirkende Telefonüberwachung erhoben wurden. GemässArtikel 271 Absatz 3 der Strafprozessordnung muss das Zwangsmassnahmengericht alle Informationen aussondern, über die ein Berufsgeheimnisträger (also Journalist, aber auch Arzt oder Anwalt) «das Zeugnis verweigern könnte». Diese Informationen sind «sofort zu vernichten; sie dürfen nicht verwendet werden.» Das muss das Zwangsmassnahmengericht spätestens innert fünf Tagen tun, nachdem der Staatsanwalt die Daten verlangt hat. Zu diesem Zeitpunkt weiss die Quelle noch gar nicht, dass ihre Kommunikation rückwirkend erhoben werden soll. Sie erfährt es erst Monate später, spätestens am Ende des Vorverfahrens. Muss das Zwangsmassnahmengericht also von Gesetzes wegen und unabhängig vom Willen der Quelle sämtliche Kommunikationsspuren mit Journalisten vernichten? Der Gesetzeswortlaut sowie Sinn und Zweck des Artikels legen dies nahe. Im konkreten Fall hat es das Zwangsmassnahmengericht nicht getan – weder im Verfahren gegen Reto T., noch gegen Hermann Lei noch gegen Christoph Blocher. Damit hat es die Strafprozessordnung verletzt. Strafbar ist das aber wohl kaum. Urteile zu dieser wichtigen Frage gibt es leider noch keine.

4. Müssen Journalisten mit Überwachung rechnen?
Der Fall Engeler führt Journalisten unangenehme Tatsachen vor Augen:

  • Ja, Journalisten werden überwacht. Die Randdaten ihrer elektronischen Kommunikation werden von den Fernmeldedienstanbietern 6 Monate lang gespeichert.
  • Und ja, Staatsanwälte können sie bei dringendem Verdacht auf ein Verbrechen oder Vergehen gegen einen Beschuldigten sichten (also auch bei Amtsgeheimnis- oder Bankgeheimnisverletzung).
  • Und ja, Staatsanwälte können die Kommunikation auf jeden Fall bis zu fünf Tage lang auswerten. Denn die Daten werden ihnen von den Fernmeldedienstanbietern unverzüglich zugestellt. Das Zwangsmassnahmengericht prüft die Rechtmässigkeit erst nachträglich und nur innert fünf Tagen nach Anordnung der rückwirkenden Telefonüberwachung.
  • Und ja, offenbar sind Zwangsmassnahmengerichte bei der zwingenden Aussonderung von Kommunikationsdaten von Berufsgeheimnisträgern zu wenig am Gesetz orientiert. Deshalb können Strafverfolger solche Kommunikationsdaten oft wochen- oder monatelang nutzen, bis nämlich die Quelle informiert wird und dann allenfalls Beschwerde einlegt. Dringt die Beschwerde durch, kann der Staatsanwalt die Kommunikationsdaten zwar als Beweise nicht verwenden, doch das daraus gewonnene Wissen gibt ihm bei den Ermittlungen einen grossen Vorteil.
  • Und ja, Journalisten müssen nicht informiert werden, wenn ihre Kommunikation mit Quellen nachträglich ausgewertet wird. Sie haben nicht einmal die Möglichkeit, die entsprechenden Entscheide einzusehen, da die Zwangsmassnahmengerichte sie nicht herausgeben.
  • Und ja, auch im Bereich der präventiven Überwachung durch Nachrichtendienste wird Überwachung von Journalisten der Fall sein, wie die Snowden-Enthüllungen gezeigt haben.

5. Können Journalisten den Quellenschutz trotzdem sichern?
Es ist wichtig, dass Journalisten ihren Informanten sagen, dass sie sofort eine Versiegelung verlangen sollen, wenn ein Staatsanwalt Computer oder Mobiltelefone beschlagnahmen will (vgl. dazuInfoblatt für Informanten). Denn das Recht, dass Unterlagen von und (Kommunikations)daten mit Journalisten nicht beschlagnahmt werden, gilt gemäss Gesetz (Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO) und einschlägigem Bundesgerichtsentscheid (Urteile 1B_424/2013 und 1B_436/2013) «ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden».

Zudem sollten Journalisten nur mit verschlüsselten E-Mails über Tor-Browser oder per Post mit heiklen Quellen kommunizieren. So schützen sie die Kommunikation gegen rückwirkende Telefonüberwachung. Redaktionen und Verlage müssen ihren Journalisten die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellen.

6. Welche Forderungen stellen sich an Justiz und Politik?

  1. Zwangsmassnahmengerichte müssen den Quellenschutz von Amtes wegen zwingend berücksichtigen und entsprechende Kommunikationsspuren von Amtes wegen vernichten. Art. 271 Abs. 3 StPO ist konsequent anzuwenden.
  2. Die Überwachung muss nicht nur dem Beschuldigten, sondern auch dem Geheimnisträger, wie z.B. Journalisten, mitgeteilt werden.
  3. Entscheide von Zwangsmassnahmengerichten müssen öffentlich einsehbar sein, damit wichtige Entscheide wie die Aussonderung von Quellenschutzdaten oder die Bewilligung von Staatstrojanern von der Öffentlichkeit kontrolliert werden können.
  4. Der Gesetzgeber sollte die Vorratsdatenspeicherung abschaffen, da sie mit wichtigen Grundsätzen wie dem Quellenschutz offensichtlich nicht vereinbar ist.

Interessenbindung des Autors: Der Autor ist Co-Präsident des Schweizer Recherchenetzwerkes investigativ.ch und hat beim Dienst für Überwachung des Post- und Fernmeldewesens (Dienst ÜPF) die Löschung seiner Vorratsdaten verlangt. Eine Beschwerde gegen die ablehnende Verfügung des Dienstes ÜPF liegt zur Zeit vor Bundesverwaltungsgericht.

(Erschienen in http://www.medienwoche.ch vom 11. April 2015)

2 Gedanken zu “Prekärer Quellenschutz im digitalen Zeitalter

  1. Die Fernmeldedienstanbieter müssen die Randdaten _mindestens_ 6 Monate lang speichern. Es gibt aber (viele?) Fälle, wo diese Daten sehr viel länger aufbewahrt und auch über diese Frist hinaus zur Verfügung gestellt werden.

    Es wäre äusserst verdienstvoll, wenn engagierte Journalisten diesen wenig bekannten Missstand bekannt machen (und bekämpfen) würden.

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